Berlin. Russlands Antwort auf Sanktionen des Westens wegen Ukraine-Krise. Beziehungen könnten sich noch weiter verschlechtern

Rebecca Harms, die Europaabgeordnete der Grünen aus dem Wendland, wurde schon im letzten September abgewiesen. Inzwischen weiß sie, dass sie kein Einzellfall war. Denn auch anderen Politikern wurde der Ausgang aus dem Moskauer Flughafen versperrt. Seit dem Wochenende kann sich Harms sicher sein, dass die Ausgrenzung System hat: Es gibt eine schwarze Liste. Sie enthält 200 Namen von Politikern, 89 aus Europa, Harms ist eine von acht aus Deutschland.

Jeder von ihnen ist unerwünscht. Jeder von ihnen hat mal Kritik an Russland geübt. So wie Michael Fuchs von der CDU, der im Zuge der Ukraine-Krise die Sanktionen gegen Russland begrüßt hatte. Sein Name steht auf der Liste. Fuchs sagt, „es gibt Schlimmeres“. Und doch ärgert er sich und findet es unerträglich, „dass Politiker auf diese Weise mundtot gemacht werden sollen.“

Europa ist empört. In Holland wurde der russische Botschafter einbestellt; unter Diplomaten ein Zeichen des schärfsten Protests. Nüchterner fiel die Reaktion in Berlin aus. Die Regierung forderte schlicht Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Wenn Sperrlisten geführt werden, sollten die Betroffenen dies „sofort erfahren“. Tatsächlich hätte das zwei Vorteile. Ein Abgeordneter wie Karl-Georg Wellmann (CDU) hätte nicht wie neulich eine Nacht im Transitbereich des Flughafens in Moskau verbringen müssen, bevor er am nächsten Morgen nach Berlin zurückfliegen konnte. Vor allem hätte er sich vorab juristisch zur Wehr setzen können. In eine ähnliche Richtung weist eine Stellungnahme der EU. Ihr lägen keine weiteren Informationen über die „rechtliche Grundlage, die Kriterien oder das Verfahren“ vor. Handeln die Russen womöglich nach eigenem Recht illegal?

Egal. Zumindest handeln sie nach eigenem Verständnis politisch legitim. Die Liste ist nämlich eine Antwort auf die „Sanktionskampagne“ von EU-Staaten, wie es in Moskau heißt. Auf der Liste stünden „Bürger, die eine antirussische Politik betreiben“, und: „Jeder Name befindet sich aus einem ganz konkreten triftigen Grund dort“, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des russischen Außenministeriums.

Tatsächlich hatte die EU führende russische Politiker mit einem Einreiseverbot belegt, darunter die Vorsitzende des Föderationsrates, Abgeordnete der Staatsduma und auch enge Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass eine der beiden Seiten die Verbote aufheben wird. Das heißt aber, dass die Beziehungen sich darob verschlechtern könnten. Die Verbotsliste beschädige das gegenseitige Vertrauen, warnte denn auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. „Falls Russland vorhatte, Druck auf die EU auszuüben, um die Sanktionen zu lockern, dann war dies der falsche Weg“, sagte eine Sprecherin des britischen Außenministeriums.

Im Westen gibt es für die Auge-um-Auge-Mentalität selten Verständnis. In Berlin erklärte der Außenpolitiker und Vizechef der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, dem Abendblatt, „das russische Einreiseverbot für europäische Politiker ist falsch und unsouverän, genauso wie die Sanktionen gegen Russland oder die Einreiseverbote für russische Persönlichkeiten in andere europäische Länder“.

Über Verbotslisten der Russen wurde schon seit Monaten gemunkelt. Jetzt wurde die Vermutung zur Gewissheit. In Moskau heißt es, man habe die Listen bereits im letzten Herbst bestätigt und in „vertraulicher Form“ den EU-Ländern übergeben. Wenn das stimmt, stellt sich wiederum die Frage, warum die Betroffenen nicht informiert wurden. Oder wurden sie unterrichtet und legten es darauf an, in Russland demonstrativ festgehalten zu werden? Von einer „Show“ sprechen russische Diplomaten.

Vieles ist unklar: etwa wann und wie vielen Botschaften die Listen mit unerwünschten Personen übergeben wurden; wer vor Monaten und wer erst am Wochenende eingeweiht wurde. Denkbar ist, dass das russische Außenministerium die Liste jetzt auch deshalb veröffentlichte, um weiteren unangenehmen Situationen wie im Fall Wellmann vorzubeugen.

Pikant: Auch ein künftiger Berater der Bundeskanzlerin steht auf der Liste

Die Quelle für die 89 Namen ist der belgische Außenminister Didier Reynders. Neben Harms, Fuchs und Wellmann finden sich darunter fünf weitere Deutsche: der CSU-Politiker Bernd Posselt, die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Katrin Suder, der Generalsekretär des EU-Ministerrats und künftige Merkel-Berater für Europa-Fragen, Uwe Corsepius, und der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner sowie Harms Kollege Daniel Cohn-Bendit. Auffällig: kein Politiker aus den Reihen von SPD oder Linkspartei. Dabei hatten die Sozialdemokraten durchaus heftige Kritik an der Annexion der Krim und an der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine geübt.

Insgesamt sind etwa 200 Personen mit einem Einreiseverbot belegt. Die größte Gruppe stellen die USA, gefolgt von kanadischen Politikern. Auf dem Index stehen mehrere frühere Außenminister wie Malcolm Rifkind (Großbritannien) und Karel Schwarzenberg (Tschechien).

Manche fühlen sich in ihren Rechten verletzt, aber einige nehmen es auch als Auszeichnung. „Das ist mir eine Ehre“, sagt Schwarzenberg. Daniel Cohn-Bendit sieht das genauso: „Es ehrt mich, wenn mich ein totalitäres System wie Russland als Feind des Totalitarismus brandmarkt.“ Auch der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament und ehemalige belgische Ministerpräsident, Guy Verhofstadt, darf nicht einreisen. Er hatte sich für eine unabhängige Untersuchung der Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow eingesetzt. Unerwünscht sind ferner drei niederländische Politiker, die Russland für den Abschuss des malaysischen Fluges MH 17 über der Ostukraine verantwortlich machen.