Berlin. Parteichef Özdemir stößt Debatte um Führungsstruktur an – und erntet deutlichen Widerspruch

Grünen-Parteichef Cem Özdemir hat eine Debatte über den Sinn von Doppelspitzen in der Grünen-Führung angestoßen und dafür innerparteilich erhebliche Kritik ausgelöst. Özdemir sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS): „Die doppelte Doppelspitze der Grünen macht es nicht leichter, personelles Profil zu gewinnen und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zuzuspitzen.“

Bei den Grünen gibt es sowohl in der Parteiführung als auch in der Bundestagfraktion jeweils zwei Vorsitzende. In der Doppelspitze muss mindestens eine Frau vertreten sein. Auch bei den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 soll es eine doppelte Besetzung geben.

Özdemirs Co-Vorsitzende Simone Peter wies Kritik am Prinzip der Doppelspitzen zurück. Der „Welt“ sagte Peter: „Doppelspitzen und Frauenquote haben sich für die Grünen bewährt. Sie sind ein Grund, warum wir so viele starke Frauen in der Spitze haben und als Partei für Frauen besonders attraktiv sind.“ In der für mögliche Reformen eingesetzten Strukturkommission der Grünen habe es „keinen einzigen Vorstoß in diese Richtung“ gegeben, sagte Peter.

Auch Fraktionschef Anton Hofreiter erklärte zu dem Özdemir-Vorstoß: „Ich sehe da keinen Änderungsbedarf.“ Doppelspitzen hätten sich bei den Grünen bewährt. „Nicht zuletzt dieser Regel verdanken wir viele profilierte Personen und starke Frauen.“

Auf deutliche Ablehnung stieß der Vorschlag auch in den Landesverbänden. Die beiden baden-württembergischen Landesvorsitzenden Thekla Walker und Oliver Hildenbrand betonten: „Wir halten diese Debatte für ebenso unnötig wie unsinnig.“ Die nordrhein-westfälischen Vorsitzenden Mona Neubaur und Sven Lehmann erklärten: „Doppelspitzen teilen Macht und Verantwortung. Daran halten wir fest.“

In Hamburg gibt es keine Doppelspitze, die Partei wird von einer Frau geführt

Die am Wochenende neu gewählte Hamburger Landeschefin Anna Gallina sagte: „Das Modell der Doppelspitze finde ich nach wie vor richtig.“ In Hamburg gibt es zwar keine Doppelspitze in der Parteiführung, nach einem ungeschriebenen Gesetz aber wird die Partei von einer Frau geführt.

Der Berliner Co-Vorsitzende Daniel Wesener sagte: „Ich halte diese Äußerungen auch in dieser Form nicht für sonderlich klug.“ Auch in Niedersachsen findet Özdemir keine Unterstützung: „Die Doppelspitze hat sich bei uns bewährt und läuft sehr gut“, sagte Grünen-Landeschef Stefan Körner am Sonntag. Er führt den Landesverband seit Februar gemeinsam mit Meta Janssen-Kucz.

Özdemir wehrte sich am Sonntag gegen die nach seiner Ansicht überzogenen Reaktionen auf seinen Denkanstoß. „Aus dieser Analyse abzuleiten, dass ich die Abrissbirne an die Quote oder unser Frauenstatut ansetze, ist unzutreffend. Reflexartige Reaktionen sind genau das, was uns gemeinsam schwächt“, betonte er auf Twitter und Facebook.

Der grüne Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, der sich um eine Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl bewerben will, warf seiner Partei politische Verzagtheit vor. Um in die Regierungsverantwortung zu kommen, müsse die Partei bereit sein, Abstriche an ihren Forderungen zu machen. „Regieren bedeutet, Kompromisse einzugehen“, sagte er der FAS.