Berlin. Premierminister Cameron will eine Reform der EU. Bei seinem Besuch in Berlin stößt er auf Verständnis – ohne konkrete Zusagen zu bekommen

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Das ist der Satz, den die Kanzlerin ihrem Gast mit nach Hause gibt. David Cameron soll nicht mit leeren Händen dastehen. Angela Merkel will die eurokritischen Briten bei der Stange halten und ihnen entgegenkommen – ohne ihnen zu viele Versprechungen zu machen. Sie habe „die klare Hoffnung, dass Großbritannien Mitglied in der Europäischen Union bleibt“, sagte Merkel am Freitag nach einem gemeinsamen Mittagessen mit dem britischen Premier. Es gebe aber auch „rote Linien“. Dem britischen Gast reichte das Signal fürs Erste: Er sei „sehr ermutigt“, sagte Cameron.

In Europa geht das Gespenst des „Brexit“ um – die britische Regierung spielt offen mit der Option eines EU-Austritts: „Soll das Vereinigte Königreich Mitglied in der Europäischen Union bleiben?“ Das ist die Frage, die die Briten spätestens Ende 2017 in einer Volksabstimmung beantworten sollen. Und das ist der Sprengstoff, den David Cameron im Gepäck hat, bei seinem Kurzbesuch in Berlin.

Es gibt Spargel und Schnitzel mit Sauce hollandaise – und am Ende sagt der Brite, es sei „richtig“, dass sein Land in der EU sei. Er will auch, dass sich seine Landsleute bei ihrem Referendum für die EU entscheiden – doch nicht für die EU von heute, sondern für ein nach britischen Wünschen reformiertes Europa.

Camerons Wunschliste ist lang: Der Premier will die nationalen Parlamente stärken und damit mehr Entscheidungskompetenzen von Brüssel zurück nach London verlagern. Und er will den im Lissabon-Vertrag verankerten Grundsatz einer weiteren Vertiefung der Beziehungen aufweichen. Deutschland und Frankreich dagegen hatten kurz vor Camerons Europareise in einem gemeinsamen Papier genau das Gegenteil bekräftigt.

Konfliktstoff birgt auch Camerons Plan, den Zuzug von EU-Migranten zu begrenzen: Er wolle die „Freizügigkeit nicht einfach abschaffen“, sagte Cameron am Freitag in Berlin, doch die sozialen Sicherungssysteme sollten „die Leute nicht noch zusätzlich anziehen“. Einwanderer aus EU-Ländern sollten etwa bestimmte Sozialleistungen erst nach einigen Jahren bekommen. Die Briten haben ein Problem damit, dass sie Kindergeld für den Nachwuchs von Polen und Rumänen zahlen müssen, selbst wenn nur der Vater in Großbritannien lebt, die Kinder aber in der Heimat bleiben.

Der polnische Europaminister Rafal Trzaskowski stellte jedoch bereits klar, sein Land werde keiner Lösung zustimmen, die etwa polnische Einwanderer in Großbritannien diskriminiere. Polen gehören derzeit zu den größten Zuwanderer-Gruppen in Großbritannien.

Merkel dagegen baut lieber Brücken: Die Unterschiede bei Löhnen und Sozialleistungen seien in den EU-Ländern groß: „Wir haben keine Sozialunion.“ Auch sie sehe deswegen Probleme bei der Zuwanderung, auch sie spricht von Sozialmissbrauch und schließt nicht aus, dass manche Regelung auch in Deutschland noch geändert werde, etwa wenn es dazu Signale vom Europäischen Gerichtshof gebe. Die generelle Freizügigkeit aber sei wie der gemeinsame Markt ein europäischer Kerngedanke und nicht verhandelbar: „Es gibt rote Linien.“

Merkel weiß, dass Cameron in einer Zwangslage steckt – auch wenn er nach seinem Wahlerfolg mehr Macht hat denn je: Er hat das Referendum nicht eingestielt, weil er den „Brexit“ will, sondern weil er ihn als Druckmittel für die Verhandlungen mit der EU braucht. Sollten die aber scheitern, steigt die Gefahr, dass die Briten der EU den Rücken kehren. Die Mehrheit auf der Insel glaubt Umfragen zufolge sowieso nicht daran, dass sich ihr Premier bei den Verhandlungen mit der EU genug durchsetzen kann. „Sehr riskant“ findet deswegen der französische Außenminister Laurent Fabius die geplante Volksabstimmung. Frankreich jedenfalls wolle Großbritannien weiter im Boot behalten.

Merkel will das genauso. Sie will sich nur noch nicht auf Details festlegen und keine vorschnellen Zugeständnisse machen: Vertragsveränderungen seien „keine völlige Unmöglichkeit“, sagt sie. Solche Fragen aber stellten sich erst „am Ende“ der Debatte. Bei einzelnen Punkten, wie beim Bürokratieabbau, lasse sich jedoch sicher schnell eine gemeinsame Position finden. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte Cameron vor seiner Reise versprochen, er werde sich für „einen fairen Deal“ einsetzen.

Wie unterschiedlich die beiden Regierungschefs antworten, obwohl sie die gleiche Meinung haben mögen, zeigt die Frage nach Konsequenzen für den langjährigen Fifa-Präsidenten Joseph Blatter wegen der Korruption in seinem Verband. Cameron fordert Blatter unumwunden zum Rücktritt auf: „Ich finde, er sollte gehen.“ Merkel sagt: „Was für mich im Zentrum steht, ist das, dass mit der Korruption dort gebrochen wird, dass dort Transparenz einkehrt.“

In gut drei Wochen ist Cameron wieder in Berlin – zusammen mit der Queen

Auf die Frage aber, ob Deutschland und Großbritannien angesichts der umstrittenen Vergabe der Fußballweltmeisterschaften an Russland 2018 und Katar 2022 die Spiele boykottieren sollten, antworten beide nicht. Cameron reagiert jedoch spielerisch und nicht ohne politischen Hintersinn: „Vielleicht sollte es niemals mehr irgendwelche Elfmeterentscheidungen geben.“ Beim WM-Halbfinale 1990 in Italien und dem EM-Halbfinale 1996 in Großbritannien verlor England das Elfmeterschießen. Gegen Deutschland. Der britische Premierminister will nach seinen Gesprächen in Den Haag, Paris, Warschau und Berlin auch noch mit den restlichen EU-Regierungschefs sprechen und ausloten, wie weit die Gemeinschaft gehen könnte, um die Briten vor ihrem Referendum von einem Verbleib in der EU zu überzeugen. In gut drei Wochen ist der britische Premier dann wieder in Berlin – zusammen mit Queen Elizabeth II, die am 24. Juni zu ihrem fünften Staatsbesuch nach Deutschland kommt.