Berlin. Regierung bringt E-Health-Gesetz auf den Weg. Kritiker befürchten gläsernen Patienten

Seit Januar ist sie Pflicht für alle gesetzlich Versicherten – doch sie kann noch lange nicht, was sie können sollte: Die elektronische Gesundheitskarte soll künftig der Schlüssel für die digitale Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten, Kliniken, Kassen und Apotheken sein. Doch der Schritt zu einem sicheren und verlässlichen elektronischen Datenverkehr im Gesundheitswesen ist eine schwere Geburt: Per Gesetz will Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) jetzt mit Fristen, Anreizen und Strafzahlungen aufs Tempo drücken.

„Viel zu lang wurde schon gestritten“, erklärte Gröhe am Mittwoch nach dem Kabinettsbeschluss zur Einführung des E-Health-Gesetzes. Dabei sei der Nutzen für die Patienten „enorm“. Bei einem Unfall etwa soll der Notarzt künftig lebensnotwendige Patientendaten sofort von der elektronischen Gesundheitskarte abrufen können. Gibt es Allergien oder Vorerkrankungen? Welche Medikamente nimmt der Verunglückte – und drohen Wechselwirkungen? Vorteile soll es auch im Praxisalltag geben: Etwa mit der elek­tronischen Patientenakte, mit digitalen Medikationsplänen und papierlosem Schriftverkehr zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten. 2018 soll das neue System endlich eingeführt sein – anderthalb Jahrzehnte nach dem Startschuss für die elektronische Gesundheitskarte.

Die Patienten sollen dabei selbst entscheiden können, welche Informationen sie neben den bisher üblichen Abrechnungsdaten auf ihrer Krankenkassenkarte speichern lassen. So liegt es bei jedem Einzelnen, ob er seine Notfalldaten, Medikationspläne oder seine Bereitschaft zur Organspende online sichtbar machen will. Wer möchte, kann sich seine Daten ausdrucken lassen oder auch wieder löschen. Beim Auslesen der Daten wird mit zwei Schlüsseln gearbeitet: Wie bei einer EC-Karte muss der Patient die medizinischen Daten mit einer PIN freischalten. Der Arzt benötigt für den Zugriff seinen Heilberufsausweis. Nur auf die Notfalldaten kann im Ernstfall auch ohne PIN zugegriffen werden. Das E-Health-Gesetz sei „ein Meilenstein“ für die IT-Sicherheit im Gesundheitswesen, bekräftigte Michael Hange, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik.

Die Einführung kommt schrittweise: Ab Herbst sollen bundesweit 1000 Ärzte und zehn Krankenhäuser in einer Testphase erproben, ob die Online-Aktualisierung von Versicherten-Stammdaten auf der Gesundheitskarte funktioniert. Ab Juli 2016 haben Kassen und Ärzte dann zwei Jahre Zeit, das System flächendeckend einzuführen. Ärzte und Zahnärzte, die die Frist verstreichen lassen, müssen mit Kürzungen bei der Vergütung rechnen. Auch die Notfalldaten sollen ab 2018 auf der Gesundheitskarte gespeichert werden können. Bereits ab Herbst 2016 sollen Versicherte, die mindestens drei Medikamente gleichzeitig nehmen müssen, Anspruch auf einen Medikationsplan bekommen – nach Ministeriumsangaben sterben immer noch mehr Menschen an unerwünschten Nebenwirkungen als im Straßenverkehr.

Gröhe widersprach Befürchtungen, dass die digitale Übermittlung von sensiblen Patientendaten zu Missbrauch führen könne: Das medizinische Datennetz, über das Ärzte, Kassen und Patienten künftig Gesundheitsdaten austauschen sollen, biete „bestmöglichen“ Schutz. Die Opposition dagegen hat Zweifel an der Datensicherheit: Der Gesetzentwurf enthalte keine konkreten Ideen, „wie Patienten die Hoheit über die sie betreffenden Gesundheitsdaten bekommen können“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink. Auch Linken-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler ist skeptisch: „Die e-Card verschlingt Milliarden Euro und gefährdet höchst sensible Daten der Versicherten.“ CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn konterte: Ein schnellerer Austausch der Daten verbessere die Behandlung der Patienten enorm. „Zugespitzt: Übertriebener Datenschutz ist nur was für Gesunde.“

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Kassen begrüßte gestern die Initiative der Bundesregierung: „Es wird Zeit, dass auch das Gesundheitswesen im 21. Jahrhundert ankommt“, erklärte die GKV-Vorsitzende Doris Pfeiffer. Die Kassen forderten jedoch mehr Mitsprache – und weniger Druck durch Fristen und Strafandrohungen.

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