Berlin. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich, über die G36-Affäre, die Verteidigungsministerin und die Probleme der Truppe

Hinter seinem Schreibtisch hängt ein schwarz-gelbes Trikot. Aha, ein BVB-Fan. Wolfgang Hellmich, Sozialdemokrat aus Soest, 57 Jahre alt und erst seit 2012 im Bundestag, ist der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Seine erste Herausforderung: G36, das Affärengewehr. Er hat Zweifel, ob die Geschichte jemals restlos aufgeklärt wird. Dabei bescheinigt er Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), sie wolle „transparent und lückenlos aufklären“ und dabei ihr Ministerium sauber halten. Sie habe drei Kommissionen mit Untersuchungen beauftragt. Einen ersten Abschlussbericht erwarte er im September, zwei weitere bis Ende November.

Ein Interview zur Bundeswehr ist in diesen Tagen immer ein Gespräch über Fehler, Versäumnisse, Mängel und über die Kunst der Vorwärtsverteidigung.

Hamburger Abendblatt: Herr Hellmich, reden wir über die G36-Affäre, oder wie nennen Sie es?

Wolfgang Hellmich: Ich spreche von Problemen. Die hat das G36 bei Hitze und Feuchtigkeit. Das Gewehr erfüllt allerdings zu 90 Prozent die Anforderungen. Für Beschwerden hat das Verteidigungsministerium eine Internetseite eingerichtet. Wissen Sie, wie viele Eingaben gemacht wurden? 36. Das ist nicht viel.

Schießt Ministerin von der Leyen übers Ziel hinaus?

Hellmich: Sie hat gesagt, dass das G36 keine Zukunft in der Bundeswehr hat, und hinzugefügt: in dieser Konstruktion. Der Zusatz wird meist vergessen.

Beim G36 hatte der Verteidigungsausschuss 2012 nach Problemen gefragt. Die Antwort aus dem Ministerium: Alles okay. Was sagt das über den Apparat aus?

Hellmich: Das ist eine Fahrlässigkeit, die ich nicht akzeptieren kann. Wir, die Abgeordneten, müssen korrekt informiert werden.

Was ist schiefgelaufen?

Hellmich: Nach meiner Beobachtung gab es im Ministerium zwei Gruppen. Die einen haben Kritik am Hersteller geübt. Die zweite Gruppe hat ihre schützende Hand über Heckler & Koch gehalten. Diese beiden Gruppen haben sich ineinander verhakt.

Bis dann die schützende Hand nicht mehr da war ...

Hellmich: Das Unternehmen war überrascht. Es war kommunikativ schlecht aufgestellt, als die Probleme auftauchten, und hatte keinen Plan B.

Muss man alle Brücken zu Heckler & Koch abbrechen?

Hellmich: Nein. Wir werden die Probleme nur mit Heckler & Koch lösen können. Man kann Teile austauschen, Veränderungen vornehmen, zum Beispiel einen neuen Lauf montieren. Das G36 muss nachgebessert werden.

Wie ist Leyens Umgang mit Pannen? Eine Vorwärtsverteidigung?

Hellmich: Sie ist ein Profi. Sie will nicht für Fehler die Verantwortung tragen, die vor ihrer Zeit passiert sind und die sie nicht verschuldet hat. Sie will transparent und lückenlos aufklären und ihr Ministerium sauber halten. Wir haben Unterlagen angemahnt – sie hat uns 2000 Seiten Papier vorgelegt. So etwas wäre vor einiger Zeit noch nicht vorstellbar gewesen. Es ist wirklich ein offensives Vorgehen.

Wie wollen Sie mit der G36-Affäre im Ausschuss umgehen?

Hellmich: Wie haben über 200 Fragen entwickelt. Die werden wir Schritt für Schritt abarbeiten. Das wird unsere Arbeit monatelang begleiten. Die Ministerin hat drei Kommissionen mit Untersuchungen beauftragt, es geht um die Beschaffung und Mängel, um die Folgen für die Soldaten im Einsatz und schließlich um den Verdacht der Korruption. Ich erwarte im September den Bericht über die Folgen für die Soldaten, die zwei weiteren Berichte bis Ende November.

Wo sehen Sie Grenzen der Aufklärung?

Hellmich: Eine Frage werden wir wahrscheinlich nie klären können, die Motive, warum sich jemand bei den Verhandlungen so und nicht anders verhalten hat. Unsere Instrumente sind im Vergleich zu einem Untersuchungsausschuss begrenzt.

Was fehlt Ihnen?

Hellmich: Wir können niemanden vorladen. Wir können einladen. Sie müssen aber nicht erscheinen.

Die Bundeswehr rettet Flüchtlinge im Mittelmeer. Künftig will die EU militärisch gegen Schlepper vorgehen. Was halten Sie davon?

Hellmich: Momentan geht es darum, die Menschen zu retten, Boote aus dem Verkehr zu ziehen und zu versenken. Um Schlepper an Land zu bekämpfen, brauchen wir ein Uno-Mandat und die Zustimmung der beteiligten Länder. Viele Fragen sind noch offen.

Das ist im Fall Libyen schwierig?

Hellmich: Das ist ein zerfallener Staat mit zwei Regierungen. Die Frage ist, ob es eine Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft gibt und man auch ohne Zustimmung Libyens eingreifen darf. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Der Klärungsprozess läuft. Dem kann ich nicht vorgreifen.

Ist Libyen das Problem?

Hellmich: Es ist das größte Problem. Andere Staaten wie Tunesien und Ägypten sind besser aufgestellt und machen es Schlepperbanden nicht so leicht.

Reden wie über ein selbst gemachtes Problem des Westens?

Hellmich: Das ist so. Wir haben in Libyen eingegriffen und das Land hinterher sich selbst überlassen. Das war ein Fehler. Wir haben lernen müssen, dass man nicht militärisch eingreifen kann, ohne ein politisches Konzept zu haben und ohne eine Mindeststaatlichkeit zu garantieren.