Hamburg . Bezahlte Informanten sind umstritten: Doch seit dem NSA­Datenskandal sagen manche: „Menschliche Quellen“ sind besser zu kontrollieren.

In Bremen sprechen sie jetzt von der „Beobachtungslücke“. Zu Beginn des Jahres lagen Polizei und Verfassungsschutz Hinweise auf einen geplanten Anschlag in der Innenstadt vor. Islamisten sollten sich bewaffnet haben. Also setzten die Behörden ihre Leute in Bewegung. Telefonüberwachungen liefen an, Gebäude wurden observiert, V-Leute angezapft. Im Visier stand eine Moschee. Ende Februar verdichteten sich die Hinweise. Doch bis am Tag der Polizeiaktion in der Moschee der Richterbeschluss vorlag, vergingen Stunden. In dieser Zeit, für etwa fünf Stunden, war das Ziel der Ermittler nicht durch Beamte observiert. Ein gravierender Fehler in der Kommunikation zwischen Polizeiführung und Kriminalpolizei. Waffen fanden die Beamten nirgends.

Im Bericht des Bremer Sonderermittlers heißt es kurz darauf, dass der Einsatz durch eine „Vielzahl geheimer Informationen“ geprägt war. Doch wie glaubwürdig waren die Quellen von Polizei und Verfassungsschutz? Waren die Tipps gut, nur der Einsatz lief schief? Geheimdienste und Polizei arbeiten mit Verdeckten Ermittlern, Beamte, die sich mit einer Tarnidentität in eine kriminelle oder extreme Szene einschleusen. Die Sicherheitsbehörden haben geheime Informanten, und sie werben Vertrauenspersonen an, sogenannte V-Leute: Extremisten aus einer Szene, die den Ämtern gegen Geld Informationen liefern. Der Fall in Bremen ließ die Debatte über die geheime und verdeckte Arbeit der Sicherheitsbehörden wieder aufflackern. Vor allem die V-Leute stehen nach den Fehlern und Versäumnissen der Ermittler in Sachen rechtsterroristischer NSU-Mordserie in der Kritik. Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen will als erstes Bundesland bis auf wenige Ausnahmen alle V-Leute abschalten. Das Sicherheitsrisiko sei zu hoch, die Kontrolle zu vage. Doch Thüringen bleibt mit dieser Entscheidung allein.

Nach den jüngsten Terroranschläge wie in Paris und Kopenhagen oder nach der Aufdeckung geplanter Attentate stärken Länder wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen Polizei und Verfassungsschutz – und damit auch ihre geheimen Operationen. Hamburgs Verfassungsschützer haben drei Stellen befristet auf zwei Jahre zusätzlich erhalten. Das Bundesamt soll nach Willen der Regierung auch bei geheimen Aktionen stärker aktiv werden.

Die Behörden setzen auf beides: Dateien und Menschen

Dafür gibt es Gründe: Die Gefahr durch Islamisten ist groß, die Zahl der Rückkehrer aus dem Syrien-Krieg steigt, auch Neonazis und Autonome greifen zu Gewalt. Doch noch etwas könnte den Einsatz Verdeckter Ermittler und V-Leute bestärken: „Big Data“. Vor allem der US-Geheimdienst saugt massenhaft Daten ab. Nun soll auch der Bundesnachrichtendienst verstrickt sein. Das ist die globale Dimension des Datensammelns, die nationale heißt: Vorratsdatenspeicherung. Die Bundesregierung nimmt einen neuen Anlauf, das Speichern von Telefon- und Handydaten durchzusetzen. Und bei vielen Politikern und Sicherheitsexperten wachsen die Bauchschmerzen, ob das große Datensammeln zu kontrollieren ist. Manch einer sagt: Vielleicht ist der V-Mann am Ende doch das besser kalkulierbare Risiko. Und die effektivere Quelle für Informationen.

Jan Reinecke, der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten in Hamburg, sagt: „Gerade die aktuelle Debatte um den Datenmissbrauch durch Geheimdienste verdeutlicht: Der Einsatz von Beamten vor Ort, nah dran an den Fahndungsobjekten, ist zielgenauer und ergiebiger als die Aus- und Bewertung großer Datenmassen.“ Reinecke hebt hervor, dass auch die Arbeit mit V-Leuten Risiken birgt. „Aber im Vergleich zum massenhaften Sammeln von Daten ist das Risiko lokal und zeitlich begrenzt. Die Sicherheitsbehörden können ihre Ermittler und V-Leute steuern.“ Zudem bringe die „Unmenge an Daten“ auch Risiken für die Polizei mit sich. Bereits mehrfach hätten Gerichte in Verfahren die Polizei aufgefordert, Daten noch einmal genauer auszuwerten, so Reinecke.

Human Intelligence, Informationen durch Menschen, so nennen Sicherheitsexperten den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten. Die Kopf- und Beinarbeit der Beamten und der Kontakt in eine Szene, stehen der Technik gegenüber. Die Behörden setzen auf alles: Abhöraktionen, Dateien, auf die unter Auflagen auch bundesweit zugegriffen werden kann, gemeinsame Terror-Abwehrzentren. Und sie setzen weiter auf menschliche Quellen. Deren Informationen könnten ein Baustein sein bei der Bewertung einer Gefahr oder den Aktivitäten einer Szene. „Viele Extremisten wissen, dass die Behörden ihr Handy oder ihre E-Mails überwachen“, sagt Joachim Krause, Direktor des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik. „Wichtige Informationen übermitteln sie deshalb nur persönlich oder in kleiner Runde.“ Für Polizei und Verfassungsschutz hieße das: Sie brauchen auch Human Intelligence.

Und mit Ausnahme von Thüringen sagen das auch alle Bundesländer: „Vertrauenspersonen sind für die Arbeit der Sicherheitsbehörden unerlässlich. Ein Verfassungsschutz ohne V-Leute oder eingeschränkt wie in Thüringen verliert wichtige Informationen aus der extremistischen Szene“, sagt der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß. „Ohne V-Leute in der rechtsextremistischen Szene werden wir erst auf dem rechten Auge blind.“ Für Hamburg seien V-Leute in allen extremistischen Szenen wichtig. Die Sicherheitsbehörden lassen sich bei ihren Operationen nicht in die Karten schauen. Quellen könnten gefährdet und Strategien entlarvt werden. Die Öffentlichkeit hat keine Belege für die Effizienz von V-Leuten. Voß nennt ein Beispiel: Im August 2000 ließ die Innenbehörde die Neonazi-Organisation „Hamburger Sturm“ verbieten. 20 Rechtsextreme gehörten zum engen Kreis der radikalen Kameradschaft. Polizisten durchsuchten die Wohnung des Anführers und beschlagnahmten Propagandamaterial. „Ohne Informationen durch V-Leute wäre dieses Verbot damals nicht möglich gewesen“, sagt Voß. Auch die Verbote der islamistischen Gruppe „Millatu Ibrahim“ 2012 oder der rechtsextremistischen Organisation „Blood & Honour“ seien ohne Informationen von V-Leuten nicht möglich gewesen. Beide Gruppen hatten auch in Hamburg ein Netzwerk aufgebaut. Beide Male sollen auch Erkenntnisse aus Hamburg beim Verbot durch den Bund geholfen haben.

Die Legitimität von geheimen Aktionen der Behörden ist wichtig. Denn kaum eine Institution hat so sehr an Image eingebüßt wie die Geheimdienste. Anders als die Polizei können sie selten öffentlich mit Erfolgen werben. Bekannt werden meist die Skandale. In Thüringen baute der V-Mann Tino Brandt in den Neunzigerjahren auch mit dem Geld der Behörde eine rechte Kameradschaft auf, in der auch die späteren Rechtsterroristen agierten. Ein Verbot der Neonazi-Partei NPD scheiterte 2003 vor Gericht, weil die Parteispitze mit V-Leuten durchsetzt war.

Dienstvorschriften für die Betreuung von V-Leuten wurden verbessert

Diese Quellen seien nun abgezogen. Und die Behörden sagen: Seit dem NSU-Skandal wurden Dienstvorschriften für die Betreuung von V-Leuten verbessert. Mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz soll es bundesweit einheitliche Standards für das Führen von V-Leuten geben. Wie weit die gehen sollen, darüber streiten Regierung und Opposition. Wer etwa zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt nicht als V-Person infrage. Und doch: V-Leute sollen Straftaten bis hin zur Sachbeschädigung begehen dürfen, wenn nicht mehr als zwei Jahre Haft zu erwarten sind.

Kritiker warnen: Nicht nur die Dienstvorschriften müssten erweitert werden, auch die Kontrolle der Dienste durch Parlamente. Ausschalten können die Behörden die Risiken von Informanten nie komplett. V-Leute seien immer noch Extremisten und Verräter ihrer Szene mit zweifelhaften Motiven, sagt Sicherheitsexperte Krause. Dem widersprechen nicht einmal Beamte.

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