Berlin. Die Union ist über den Umgang der SPD mit der Affäre erbost

In der Union stehen sie Schlange, um die SPD zu kritisieren. Über das Wochenende reihten sich fast alle Stellvertreter Angela Merkels sowie ihr Fraktionsvorsitzender ein. Gestern war Horst Seehofer dran. Er halte es für „inakzeptabel“, wie Vize-Kanzler Sigmar Gabriel in der NSA-Affäre vorgehe, sagte der CSU-Chef in München. Es entspreche „nicht der Staatsverantwortung, die eine Regierungspartei hat“. Gabriel hat den Ton („Staatsaffäre“) verschärft und dazu aufgerufen, dem Parlament die umstrittenen NSA-Suchbegriffe offen zu legen. „Er hat sich sehr weit herausgelehnt“, sagte der Vize-Chef der Linksfraktion, Dietmar Bartsch. Wenn Gabriel als seriöser Politiker, als ein Mann mit Kanzlerformat gelten wolle, könne er die Affäre nicht „leise“ erledigen.

Dass die SPD schrill ist, „gleichzeitig Regierung und Opposition sein will“, wie das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn meint – damit könnten die Christdemokraten noch leben. Schwieriger ist der konkrete Umgang mit den Suchbegriffen. Es geht um Suchmerkmale wie Telefonnummern, Mail-, IP-Adressen. Die USA legten sie dem Bundesnachrichtendienst (BND) vor. Der hat von Bad Aibling aus die Satellitenkommunikation weltweit überwacht.

Um überprüfen zu können, ob dabei deutsche Interessen oder Gesetze verletzt wurden, muss das Parlament Einblick nehmen können, jedenfalls das Kontrollgremium und der BND-Untersuchungsausschuss. Schon völkerrechtlich ist die Regierung dazu verpflichtet, sich vorher mit den USA abzustimmen. Dieses sogenannte Konsultationsverfahren ist nicht abgeschlossen. Aber die Signale sind eindeutig: Die NSA beharrt auf Geheimhaltung. Das Kanzleramt kann darauf Rücksicht nehmen – nach SPD-Lesart: unterwürfig sein – oder sich darüber hinwegsetzen. Es ist eine Entscheidung des Amtsleiters, also von Minister Peter Altmaier, letzthin von Merkel.

In dem Fall werde es die Regierung schwer haben, die Anfrage des Parlaments positiv zu beantworten, meint Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Als enger Vertrauter Merkels hat er die Sprachregelung gewiss mit ihr abgestimmt. Allein, Merkel ist nicht frei, seit ihr Vize-Kanzler klargemacht hat, dass es keine isolierte Angelegenheit des Kanzleramts ist. Es ist jetzt eine Entscheidung der Regierung. Merkel soll die SPD mitnehmen, einbinden.

Es gibt drei Szenarien. Erstens, die Regierung legt die Begriffe vor und nimmt Ärger mit den USA in Kauf. Das wäre nach dem Verlauf der Debatte ein Erfolg der SPD auf ganzer Linie. Zweitens, Merkel legt sich quer und lässt es auf den Krach mit der SPD ankommen. Ihre Minister könnten zum Beispiel eine Erklärung im Kabinett zu Protokoll geben; ihre Fraktion sich den erwartbaren Klagen von Grünen und Linken anschließen. Schon über die Frage, ob der frühere NSA-Mann Edward Snowden als Zeuge vernommen werden sollte, hat faktisch das Verfassungsgericht das letzte Wort gesprochen. Das kann bequem sein. Die Regierung könnte sich mit dem Hinweis auf die höhere Instanz aus der Affäre ziehen. Die Argumentation funktioniert sogar in beide Richtungen, gegenüber den USA und dem Parlament. Aber es wäre politisch unschön, wenn ein Koalitionspartner gegen den anderen vor Gericht ziehen würde; zumal sich das Verfahren lange hinziehen dürfte. Ein Novum wäre es nicht. So gingen schon Union und FDP Anfang der 90er Jahren miteinander um.

Eine dritte Variante wird zunehmend in Betracht gezogen: Die Begriffe werden „in geeigneter Weise“ offen gelegt, aber teils geschwärzt, nur wenigen Abgeordneten oder einem Sonderermittler. Denkbar ist das Treptower Verfahren, nach dem Terrorismus-Abwehrzentrum im Berliner Stadtteil Treptow benannt. Dort lägen die Unterlagen in einem Raum zur Einsicht aus. Keine Handys, keine Fotos. Notizen blieben unter Verschluss.

Die Suchbegriffe, die Selektoren, wie es offiziell heißt, sagen isoliert sehr wenig aus. Man muss die Motive der Amerikaner kennen. Es kann sehr sinnvoll sein, den Vertreter einer Waffenfirma in einer Krisenregion zu belauschen. Man muss verstehen, warum manche Selektoren scharf gestellt blieben und andere sofort oder verspätet gesperrt wurden; und letzthin, was die ganze Sucherei an Erkenntnissen erbracht hat. Der BND hat der Regierung klargemacht, dass sich nicht mehr rekonstruieren lässt, welche Informationen an die NSA geflossen sind. Es ist möglich, dass die Abgeordneten hinterher nicht schlauer sind als vorher und dass Suchbegriffe bloß banalisiert oder skandalisiert werden, je nach Interesse. Die Aufklärung wird nur schwerlich gelingen. In Erinnerung wird bleiben, dass Merkel die Sache treiben ließ und Gabriel Aufklärung anmahnte. Und darauf spielen die Kauders oder Seehofers an, wenn sie im Chor rufen: „So geht man nicht miteinander um in einer Koalition.“