Berlin. Auch niedriger einheitlicher Steuersatz taucht auf Parteitag wieder auf. Legalisierung von Cannabis gefordert

Der Vorschlag war gut versteckt. 14 Seiten lang ist der Leitantrag für den Parteitag. Im vorletzten Absatz – en passant mit der Forderung nach einer Streichung des „Soli“ – schlagen die Freien Demokraten einen einheitlichen Steuersatz vor. Eine Radikallösung, die einer Frau sofort auffiel, einer Juristin, die es nach eigenen Worten gewohnt ist, „Texte zu Ende zu lesen“. Rudolf Rentschler hat es auch entdeckt: „Seite 22, da wird einer Flat Tax das Wort geredet“, schrie der Delegierte ins Mikrofon. Das müsse wieder weg. Es ging dann lange hin und her und mit einem „Prüfauftrag“ zu Ende. War sie da wieder? Die Ein-Themen-Partei? Mit der Flat Tax falle sie in alte Denkmuster zurück, ätzte gestern SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Damit sei die FDP „nicht anschlussfähig“. Eine sozial-liberale Stimme würde er sich wünschen, „so klappt das aber nicht.“Für Christian Lindner waren die drei Tage in Berlin trotzdem ein Erfolg. Die jüngsten Wahlsiege in Hamburg und Bremen sind wie eine Bestätigung seines Kurses, und die Delegierten sind dem FDP-Chef prompt gefolgt. Die Konkurrenz wird neugierig, die Medien sowieso. Es gibt Leute im Thomas-Dehler-Haus, die sich nur mit dem Rampenlicht erklären können, warum sich der Konvent so lange hinzog und der FDP-Chef sich zwei Redeauftritte gönnte, zum Auftakt und noch einmal am Sonnabend – für die „Tagesschau“.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wohl auch die Delegierten den doppelten Lindner gebraucht haben und dass er das Spektrum breiter absteckte, als Oppermanns Kritik vermuten lässt. Die Lindner-FDP ist mehr als eine Partei, die papageienhaft „Steuern runter“ kräht. Die Liberalen wollen sich stärker über die Bildungspolitik profilieren. So sollen die Länder Kompetenzen an den Bund abgeben. „Deutschland braucht die weltbeste Bildung“, rief Lindner in Berlin aus.

Die Freien Demokraten wollen Kitas und Grundschulen aufwerten, mehr Sprachförderung in der Schule, eine bessere Weiterbildung (aber auch Leistungstests) für Lehrer, mehr Wirtschaftskompetenz im Unterricht. Immer noch verließen in jedem Jahr 80.000 Kinder die Schule ohne jeden Abschluss. „Was ist das für eine Chancengerechtigkeit?“, fragte Lindner, „keines von diesen 80.000 Kindern ist ohne Talente geboren.“

Bei lediglich einer Gegenstimme beschlossen die Delegierten auch ein Manifest, in dem die Partei sich für den Schutz von Daten und Bürgerrechten im Internet-Zeitalter stark macht und sich zur Einwanderung bekennt. Lindner ist überzeugt, dass Einwanderung die Gesellschaft „zwingend“ verändern werde. All jene, „die aus Not Zuflucht bei uns suchen“, sollten besser als bisher qualifiziert und gefördert werden.

Zur Rückbesinnung auf alte Tugenden und Tradition gehört nicht nur die Steuerpolitik. Dazu zählt auch, dass die FDP mit einer Klage gegen die von der Großen Koalition geplanten Vorratsdatenspeicherung gedroht hat. Betrieben wird sie wohl vom Alt-Liberalen Burkhard Hirsch.

Der Parteitag stimmt auchfür die Legalisierung von Cannabis

Zum Image der Bürgerrechtspartei passt, dass Lindner eine bessere Kontrolle der Geheimdienste gefordert hat. Die NSA-Affäre habe ihm den Atem geraubt. „Wir sind nicht naiv“, sagte er. Deutschland brauche Geheimdienste. Bloß dürften sie „nie wieder ein Eigenleben entwickeln“. Nicht ohne Pikanterie ist da, dass BND-Präsident Gerhard Schindler FDP-Mitglied ist. Laut Lindner braucht man eine neue „aufgerüstete parlamentarische Kontrolle“. Einen Sonderermittler regte er an. „Das ist kein Zweitjob von engagierten Parlamentariern.“

Auffallend war, dass sich die FDP nicht mehr triebhaft an den Grünen abarbeitet. Das neue Feindbild gibt SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles ab – wegen des Mindestlohns. Identitätsstiftend ist die scharfkantige Abgrenzung zu Kulturpessimisten, zu Globalisierungsgegnern und „sogenannten Verbraucherschützern.“ Ein Beispiel ist die Debatte über ein Verbot von Süßigkeiten an der Supermarktkasse. Ein gefundenes Fressen für Lindner: „Vom Lutscher bis zum Lohn, die Regierung lenkt uns mit erhobenem Zeigefinger, als seien wir alle Kinder“. Man wolle nicht als Erwachsener „ein Leben mit Stützrädern führen.“

Mit solchen Sprüchen kommt er nicht nur in die „Tagesschau“, sondern trifft auch die Stimmung der Partei. Viele waren vom Auftritt begeistert, auch die Alten, die sich blicken ließen. Wie Walter Hirche, Wolfgang Gerhardt, Rainer Brüderle, Patrick Döring. Die haben allerdings nicht mehr viel zu melden. Zu ihrer Zeit wäre die FDP kaum auf die Idee gekommen, mit dem Grünen und der Linkspartei die Legalisierung von Cannabis zu fordern. Genau das aber hat der Parteitag beschlossen: Die Droge soll als „Genussmittel“ in ausgewählten Geschäften an Erwachsene verkauft werden.