Berlin. Die FDP hat sich auf ihrem Parteitag gefunden und neu erfunden. Katja Suding war stilbildend. Linder setzt Umlage für Wahlkampffinanzierung durch

Nie, nie wieder will Christian Lindner „in die alten Zeiten zurück“. Er redet nicht über verlorene Wahlen, auch nicht über die glücklose Koalition mit der Union. Der FDP-Chef redet über seine Partei, über Unarten, über intern feindlich-unversöhnlich ausgetragene Konflikte. Für Lindner sind sie „der Tod“ jeder Partei. Wie er führt nahezu jeder Redner auf dem FDP-Parteitag in Berlin den „Teamgeist“ im Munde. Die 662 Delegierten sollen Lindner jene Stellvertreter zur Seite stellen, die er will und mit denen er gut kann, allen voran Katja Suding.

„Machete oder Florett“, das war für Lindner die Kernfrage jedes Wahlkampfs. Bis die Frau aus Hamburg kam und ihm zeigte, dass es „einen besseren Weg gibt, nämlich nicht gegen etwas zu stehen sondern für etwas zu werben“. Ihr Sieg war das erste Erfolgserlebnis der FDP seit 2013. „Katja“, ruft Lindner aus, „Du bist die Eisbrecherin der Freien Demokraten, das werden wir Dir niemals vergessen.“

Nach der Rede und erneut nach seiner Wahl wurde Lindner mit stehendem Beifall gefeiert. Wie im „Sportpalast“, entfuhr es einem ostdeutschen Liberalen. Der FDP-Chef wurde mit 572 Stimmen (92,4 Prozent) im Amt bestätigt. Für Wolfgang Kubicki votierten 589 Delegierte. Suding bekam 515 und Marie-Agnes Strack-Zimmermann 338 Stimmen – Lindners Wunschtrio seiner Stellvertreter war perfekt. Der Thüringer Uwe Barth war nicht mehr angetreten. Der Bayer Albert Duin legte zwar einen fulminanten Auftritt hin („ich habe den Trotz in mir“), fiel aber durch. Mit 280 Stimmen erzielte Duin immerhin einen Achtungserfolg.

Noch wichtiger als die Wahl der Führung war für den FDP-Chef, dass die Delegierten eine Umlage beschlossen haben. Die Kreisverbände sollen drei Jahre lang je 25 Euro pro Kopf zahlen. Mit dem Geld sollen die Bundes-FDP in die Lage versetzen, die Wahlkämpfe vor Ort massiv zu unterstützen – für den Parteichef eine „Schlüsselentscheidung“. Die Kampagne in Hamburg wurde bereits mit den Berlinern konzipiert. Schon an der Elbe verfuhr die FDP nach dem Motto „nicht kleckern, klotzen“. In dem Stil will man weitermachen.

Die Idee der Umlage geht auf Hermann-Otto Solms zurück, dem Lindner nach Amtsantritt den Job des Schatzmeisters antrug. „Er ist mir unersetzbar“, sagte Lindner. 2013 machte die FDP ein Defizit von 4,5 Millionen Euro, ein Jahr später schon eine Million Euro Gewinn. „Wir zeigen im eigenen Haus, was wir dem Staat empfehlen“, kalauerte Lindner. Ein goldenes Händchen hat Solms bei der Suche nach Spendern und Sponsoren. Allein auf dem Parteitag präsentieren sich gut und gern 30 Aussteller.

Die Liberalen sehen sich 20 Monate nach dem historischen Scheitern bei der Bundestagswahl wieder im Aufwind. „Wir haben aus unseren Niederlagen gelernt“, meinte Lindner. Die FDP, die am vergangenen Sonntag in Bremen 6,6 Prozent geholt hatte, wolle nicht abheben, sondern konzentriert die Landtagswahlen im März 2016 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt in Angriff nehmen, sagt Lindner. Das seien die nächsten Meilensteine auf dem erhofften Weg zurück in den Bundestag 2017: „Wir können sagen, eine erste Stabilität ist erreicht. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.“

Inhaltlich ist die FDP wieder zu erkennen: Bürokratieabbau, Steuersenkungen, Vorrang für den Mittelstand. Neu sind aber Auftritt und Stil. So wie Lencke Steiner, die Frau, die als Parteilose die FDP in Bremen zum Wahlerfolg führte. Lindner fand es gut: „Die Politik muss die Silo-Mentalität überwinden.“ Zum neuen Stil passt die coole Location. Zum zweiten Mal hält die FDP in Berlin in der „Station“ einen Parteitag ab, in einem alten Postbahnhof mit einer interessanten Industrie-Architektur. Zur neuen FDP passt erst recht das Motto des Parteitags: „German Mut“ – eine Art Gegenentwurf zur „German Angst“, die sich im angelsächsischen Sprachraum eingebürgert hat.

Lindner glaubt, dass seine Partei sich gesammelt und an Stabilität gewonnen hat, „nicht mehr, nicht weniger“. Er ist stolz darauf, dass sie in der außerparlamentarischen Opposition weder schrill geworden noch nach rechts abgedriftet ist. Organisatorisch hat sie eine neue Mitte gefunden, irgendwo zwischen dem Chaos der Piratenpartei und der AfD, die sich nach dem „Führerprinzip organisieren will“, wie Lindner schimpft.

Auch die FDP legt Griechenlandden Austritt aus dem Euro-Raum nahe

Es ist der einzige Seitenhieb auf eine Konkurrenz, die er sonst partout negiert. Dass auch die FDP Griechenland den Austritt aus dem Euro-Raum nahelegt, versteht Lindner mitnichten als Neuerung, sondern vielmehr als Fortsetzung der früheren Linie. Wenn sich die Regierung in Athen aus der Verantwortung stehle und Reformauflagen nicht erfülle, „dann verabschiedet sie sich selbst aus dem Euro“. Viel gefährlicher als ein Austritt wäre ein Verbleiben „unter falschen Bedingungen“. Lindner malt die Folgen an die Wand: Eine schwache Währung, die „Lirafizierung“ des Euro, ein Erstarken rechtspopulistischer Parteien. Es gefällt ihm und dem ganzen Parteitag, wieder im Fokus zu stehen; und sei es nur für einen Brückentag zwischen Christi Himmelfahrt und Wochenende. Aber Lindner warnt, „geben wir uns keiner Illusion hin.“ Ein Comeback der FDP würde wieder die Machtarithmetik in Deutschland verändern.“ Die, die uns über einige Monate hinweg ignoriert haben“, sagt er, „werden uns dann wieder ins Visier nehmen.“

Seite 2 Leitartikel: Wir brauchen Liberale