Moskau . In Russland erinnert die Kanzlerin an die Opfer des Weltkriegs. Doch der Ukraine-Krieg überschattet das Gedenken mit Putin

Still vereint im Andenken an die Kriegsopfer stehen Kanzlerin Angela Merkel und Kremlchef Wladimir Putin minutenlang vor den Trauerkränzen am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Moskau. Es ist das erste Wiedersehen der beiden seit drei Monaten. Im Februar war Merkel in Moskau. Danach trafen sich beide eine Nacht lang zu ihren schwierigsten Gesprächen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Es ging damals und geht auch an diesem Sonntag um den Krieg mitten in Europa – in der Ostukraine.

Im Alexandergarten des Kremls erinnern Merkel und Putin Seite an Seite an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren und an das Leid, das der Angriffskrieg der Deutschen und der Massenmord durch Mitglieder der Waffen-SS und der Wehrmacht den Russen zufügten. Mit mehr als 27 Millionen Toten hatte die Sowjetunion die größte Opferzahl, die meisten Toten gab es im heutigen Polen, Weißrussland, dem Baltikum, der Ukraine und Westrussland – Menschen einer Region, die zuvor unter den Gräueln der Stalin-Diktatur gelitten hatten. Auch der Opfer auf deutscher Seite gedachten die beiden Politiker. Der Krieg in Europa und Asien kostete 55 Millionen Menschen das Leben, zum Großteil Zivilisten.

Merkel spricht Russisch, Putin spricht Deutsch. Doch die Beziehung der beiden ist seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise schwer angeschlagen. Nun wollen beide mehr als nur eine Versöhnungsgeste zum Endes des Hitlerfaschismus und des Krieges. Ihre Gespräche beginnen sie bei einem Spaziergang ungestört in dem Garten.

Es geht jetzt darum, wie sich der Ukraine-Konflikt weiterentwickelt, der zum Zerwürfnis zwischen Russland und dem Westen geführt hat. Wladimir Putin hob hervor: „Es ist kein Geheimnis, dass die russisch-deutschen Beziehungen nicht die besten Zeiten erleben – wegen der Ereignisse in der Ukraine.“ Er erinnerte an die negativen Auswirkungen der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Deutschland und Russland hätten aber trotz „Kränkungen und Verbitterungen“ den Weg der Versöhnung eingeschlagen.

Merkel sieht Russland als Teil der Ursache und Teil der Lösung des Konflikts in der früheren Sowjetrepublik. Deutsche und Russen, meint Merkel beim Treffen mit Putin, hätten bewiesen, dass sie trotz ihrer schmerzvollen Geschichte schwerste Probleme gemeinsam lösen könnten.

Dass Merkel nun erst nach Moskau kommt, nachdem der Trubel der pompösen Militärparade auf dem Roten Platz vorbei ist, sehen auch die Russen als klugen Kompromiss. Im Rausch der Moskauer Siegesfeiern am 9. Mai mit vielen Staatsgästen wäre ihr Besuch wohl kaum groß aufgefallen. Merkel hat wie fast alle westlichen Politiker Putins Waffenschau gemieden – mit Rücksicht auf die Ukraine, die Russland als „Aggressor“ sieht. Auf einer Ehrentribüne hatten am Sonnabend Hunderte Veteranen und unter anderem Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow bei frühlingshaftem Wetter die gut einstündige Gedenkfeier mit mehr als 16.000 Soldaten sowie rund 200 Fahrzeugen und etwa 140 Flugzeugen verfolgt. Nach einer Schweigeminute marschierten Fahnenträger mit dem „Siegesbanner“, einer Replik der 1945 auf dem Reichstag in Berlin gehissten Flagge der Sowjetunion, über das Kopfsteinpflaster.

Putin würdigte den „grandiosen Sieg“ der Roten Armee über den Hitlerfaschismus in Deutschland. Er hob auch die Rolle der westlichen Alliierten in der Koalition gegen die Nazis hervor. In der kurzen Rede forderte er mit Blick auf heute ein weltweites Sicherheitssystem ohne militärische Blöcke. Neben Putin als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte saß Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping als einer von mehr als 20 Staatsgästen.

Merkel und andere Politiker aus dem Ausland mieden die gigantische Parade am Sonnabend. Doch als Merkel am Sonntag mit Putin der Opfer des Krieges gedenkt, lässt Putin es sich nach der Kranzniederlegung nicht nehmen, Hundertschaften von Soldaten in einer Miniparade an der Kanzlerin vorbeiexerzieren zu lassen.

Merkels Mission in Moskau ist auch diesmal wieder vom Streben nach Frieden in der Ukraine geprägt. Kommende Woche will sie den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Berlin treffen. Aber klar ist auch an diesem Maisonntag in Moskau, dass es bis zu einer Lösung des Konflikts im Donbass noch ein sehr langer Weg ist.

Zwar hat sich die Lage in der Ostukraine seit Merkels und Putins Treffen Mitte Februar insgesamt beruhigt. Es sterben weniger Menschen. Aber nicht nur die Waffenruhe ist brüchig. Auch sonst sind die Punkte des Minsker Abkommens kaum umgesetzt. Die Bildung von Arbeitsgruppen für den Dialog zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten kommt nur schleppend voran. Fast täglich geben sich die Konfliktparteien gegenseitig die Schuld, das der Krieg andauert. Beide Seiten sprechen von „extremen Ausmaßen“, die der Konflikt jederzeit annehmen könnte.