Berlin. Beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt vereinbarten Bund und Länder am Freitag erste Schritte zur Bewältigung des Problems

Die Losung des Tages lautete „gesamtstaatliche Aufgabe“. So formuliert es Hannelore Kraft. Horst Seehofer ist guter Dinge, dass damit der Streit über die Flüchtlingspolitik alsbald beendet wird. Wenn zwei Ministerpräsidenten das Kanzleramt so glücklich verlassen wie am Freitag, hat das zumeist eines zu bedeuten: Der Bund lässt sich in die Pflicht nehmen. Neues Konzept, mehr Einsatz, vor allem mehr Geld.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt, es sei ein Arbeitsgespräch gewesen, aber „ein guter Anfang“. Sie sei vom „Geist des Gespräches“ überzeugt. Sie muss so reden. So unverbindlich. Denn sie hat sich nur mit einem Teil der Ministerpräsidenten getroffen; beschlussfähig war die Runde nicht. Ihr legte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ein Maßnahmenpaket vor, das alle überzeugte, den Bayern und CSU-Mann Seehofer ebenso wie die Sozialdemokratin Kraft (NRW). „Wir schaffen das“, sagte sie.

Der Zeitplan ist ehrgeizig. Schon am 18. Juni wollen Bund und Länder ein Konzept verabschieden. De Maizière glaubt, dass dann auch „die Zeit der gegenseitigen Vorwürfe vorbei ist“.

Der Bund hat in dieser Woche erneut die Prognose für die Zahl der Asylbewerber für 2015 korrigiert: Von 300.000 auf 400.000 Erstanträge, zusätzlich 50.000 Folgeanträge. Die Menschen kommen überwiegend aus der Balkanregion, viel mehr als aus Syrien oder Irak, wo Krieg herrscht. Im April kamen 4461 Syrier, aber auch 4794 Albaner sowie 4608 Menschen aus dem Kosovo und aus Serbien 2279. Serbien? Politisch Verfolgte in einem EU-Beitrittskandidatenland? Es sind Armutsflüchtlinge, zumeist jedenfalls, und so sollen sie nach de Maizières Plänen behandelt werden. „Wir brauchen die Kraft der Differenzierung“, sagt er wolkig. Gemeint ist, dass die Asylbewerber aus diesen Regionen nicht auf die Gemeinden verteilt werden, sondern in zentrale Aufnahmelager kommen. Das würde die Kommunen finanziell entlasten und hilft, die Verfahren schneller zu führen. Wer abgelehnt wird und nicht freiwillig geht, würde verstärkt von der Bundespolizei abgeschoben werden. Jedenfalls wird das diskutiert. Es würde auch die Länder entlasten, die bisher für Abschiebungen zuständig sind.

Die Bundespolizei wird personell aufgestockt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommt 2000 Stellen mehr, davon 750 dieses Jahr. Das Geld dafür hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zugesagt. Zudem stellt der Bund bis Jahresende in seinen Immobilien 45.000 Plätze für Flüchtlinge bereit. Er will auch mehr Sprach- und Integrationskurse finanzieren. An dem Punkt wird die Philosophie deutlich: Die einen sollen schneller abgeschoben, die anderen früher und besser integriert werden.

Auf EU-Ebene will Merkel dafür kämpfen, die Flüchtlinge anders zu verteilen. Die Brüsseler Kommission hat für nächste Woche einen Vorschlag angekündigt. Doch macht sich Merkel keine Illusionen. „Es wird ein ganz hartes Stück Arbeit.“ Deutschland ist nicht allein. Auch Frankreich, Italien, Schweden und Griechenland wünschen sich einen neuen Verteilungsschlüssel, aber es gibt auch viele Gegenkräfte.

Auf nationaler Ebene werden Bund und Länder de Maizières Konzept verfolgen, das sein Kabinettskollege Sigmar Gabriel (SPD, Wirtschaft) „ausgezeichnet“ fand. Nach dem „guten Einstieg“ (Merkel) wollen Bund und Länder mehrere Arbeitsgruppen einsetzen. Beispiel Krankenversorgung der Flüchtlinge, ein Riesenthema für die Kommunen – sie tragen bisher die Kosten, jeder Fall wird einzeln abgerechnet. Nun würden viele Länder gern das „Hamburger Modell“ einführen. Danach bekommt jeder Flüchtling eine Gesundheitskarte. Der springende Punkt: Der Bund soll die Kosten tragen.

Die Krankenversorgung soll nachdem „Hamburger Modell“ erfolgen

Es werde „permanent auch über Geld gesprochen“, sagt Merkel. Ein weiteres Beispiel ist die Versorgung der minderjährigen Flüchtlinge. Sie werden bisher nicht auf die Kommunen verteilt, sondern dort betreut, wo sie um Asyl bitten. Einige Städte sind extrem stark gefordert, vor allem Hamburg und Kommunen in Grenznähe

Hat man sich über solche und andere Detailfragen verständigt, bleiben als Streitthema am 18. Juni die Finanzen. „Alles, was wir tun, ist mit zusätzlichem Mehraufwand verbunden“, weiß Merkel. Der Bund hat schon vor Monaten den Ländern für 2015 und 2016 eine Milliarde Euro zugesagt, eine Hälfte als Zuschuss, die andere Hälfte als Kredit. Bei der Konstruktion hat er den Fall einkalkuliert, der jetzt eingetreten ist: Dass die Zahl der Flüchtlinge weiter steigt. Es läge nahe, den Ländern den Kredit zu erlassen.

Über diese Milliarde aber sagte Kraft, „es ist klar, dass sie nicht ausreicht“. Statt Einmalhilfen wollen die Länder stetige Zahlungen. Kraft: „Am Ende des Tagens werden wir darüber reden, wer finanziert was.“