Berlin. Hersteller des Sturmgewehrs G36 wollte Militärgeheimdienst nach Informationsleck suchen lassen. Grüne fordern einen Untersuchungsausschuss

Die Firma Heckler & Koch, Hersteller des hoch umstrittenen Bundeswehr-Sturmgewehrs G36, hat im Jahr 2013 zweimal versucht, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr für seine Zwecke einzuspannen. Er sollte im Verteidigungsministerium nach dem Maulwurf suchen, der damals Interna über das Gewehr mit den zweifelhaften Schießergebnissen nach draußen trug.

Der nächste Skandal im Bundesverteidigungsministerium ist perfekt. Und im Zwielicht steht das Ministerium selbst und nicht der Geheimdienst. Denn der MAD wies damals die Forderung zurück – das Ministerium aber fand die Idee des G36-Herstellers ganz gut, wie ein interner Briefwechsel zeigt. Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) empfindet das Ansinnen der Waffenfirma jetzt dagegen als „sehr befremdlich“ und die Kumpanei ihrer Beamten als „völlig inakzeptabel“.

Wieder gibt von der Leyen die Ministerin der Selbstverteidigung ab. Aber warum findet sie erst jetzt starke Worte? Ergreift sie die Flucht nach vorn? Die Ministerin jedenfalls stellt sich schon auf einen Untersuchungsausschuss des Bundestages ein.

Die nächste Berliner Affäre nahm ihren Anfang im Herbst 2013: Die negativen Berichte über das Sturmgewehr, das nicht mehr präzise schießt, wenn es sich erhitzt hat, häufen sich. Seit Monaten geht das so, seit Jahren. Ein Gewehr ohne Gewähr – das schadet dem Ruf des Herstellers. Im Ministerium muss es einen Maulwurf geben, der die Erkenntnisse und die Beschwerden aus der Truppe im Afghanistaneinsatz nach außen lanciert. Der Hersteller sieht sich als Opfer einer Kampagne. Er hatte schon Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn gestellt – gegen Unbekannt. Nun wird es Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die Geschäftsführer bitten um ein Gespräch mit MAD-Präsident Ulrich Birkenheier und ersuchen ihn am 20. November 2013, er möge nach der undichten Stelle suchen.

Um Argumente sind sie nicht verlegen. Ganz im Gegenteil, die Begründung ist raffiniert: Könnte es sein, dass ausländische Dienste falsche Informationen streuen, gar unter Zuhilfenahme von Insidern, von Soldaten? Und ist der MAD nicht für die Spionageabwehr zuständig? Doch Birkenheier schluckt den Köder nicht, fühlt sich nicht auf den Plan gerufen.

Die Herren von Heckler & Koch haben eine zweite Patrone. Nun wenden sie sich unmittelbar an das Verteidigungsministerium, an den Abteilungsleiter Rüstung. Detlef Selhausen ist ihnen behilflich. Am 6. Dezember setzt er einen Brief an Birkenheier auf, in dem er seine „Verwunderung“ ausdrückt. Der MAD soll offenkundig seine Haltung überdenken.

Präsident Birkenheier aber ist renitent, auch auf dem kleinen Dienstweg. Einen Tag vor Heiligabend antwortet er, „auch nach erneuter Bewertung der vorgelegten Informationen vermag ich tatsächliche Anhaltungspunkte für Tätigkeiten gegen eines der Schutzgüter des MAD nicht zu erkennen. Ein Tätigwerden des MAD in dieser Angelegenheit verbietet sich daher.“ Eine harsche Absage. „Völlig zu Recht“ habe Birkenheier „dieses absurde Ansinnen“ abgelehnt, sagt Dienstherrin von der Leyen heute.

Damals war von der Leyen gerade eine Woche im Amt. Laut „Spiegel“ wurde ihr Büro im Frühjahr 2014 über den Vorfall informiert. Der Vermerk wurde allerdings nicht wie üblich in Grün gezeichnet, in der Farbe der Ministerin. Es gibt keinen Beleg dafür, dass sie vom Vorgang wusste. Sie selbst redet so, als habe sie erst in dieser Woche davon erfahren.

Ministerin will klären, wie ihr Büro mit den Informationen umging

Von der Leyen sagte sofort eine Klärung des Sachverhalts zu. Dazu gehöre die Frage, wie die Informationen „in meinem Büro gehandhabt wurden“. Wenn sich dabei herausstelle, dass weitere strukturelle und personelle Konsequenzen notwendig seien, „werden diese gezogen“.. Den Abteilungsleiter hatte sie längst seines Postens enthoben.

Mit dem Gewehr selbst, mit Mängeln, Risiken, Auftrag und Beschaffung befassen sich einige Kommissionen, aber auch das Parlament selbst. Im Zuge der Aufklärungsarbeit werden jede Woche neue Akten angefordert. So sind die Vermerke zum MAD und der Briefwechsel von damals publik geworden. Wenn das Parlament einen Untersuchungsausschuss wolle, „ist dies sein gutes Recht“, so von der Leyen. Die Grünen wollen ihn. Die Linke zögert noch. Angeblich ging das Ministerium gegen die Kritiker des Gewehrs vor. Auch wird gemunkelt, das Ressort habe Anfang 2015 die Ermächtigung erteilt, nach einer undichten Stelle in den eigenen Reihen zu suchen. Bewiesen ist das nicht. Ursula von der Leyen könne sich nicht damit herausreden, dass sie die Unterlagen, die 2014 in ihrem Büro lagen, einfach nicht gelesen habe, sagen die Grünen. Für sie ist die Mauschelei zwischen Hersteller und Beamtenapparat der Skandal, beziehungsweise, dass im Verteidigungsministerium überhaupt daran gedacht wurde, kritische Journalisten „mundtot zu machen“.

Heckler & Koch dementierte am Donnerstag nur diesen Teil der Vorwürfe „Heckler & Koch hat zu keinem Zeitpunkt die Ausspähung von Journalisten gefordert oder forciert“, teilte das Unternehmen mit. Es habe keine gemeinsame Operation mit dem Verteidigungsministerium initiiert, um Berichterstattung über das Sturmgewehr G36 zu unterbinden.