Berlin. Die Opposition widerspricht und nennt den BND Teil eines US-Spionagesystems, das sich gegen deutsche Interessen richtet

In der Disziplin des Schweigens hat sich Innenminister Thomas de Maizière schon als Kind geübt. Man könne Schweigen genießen, hat der CDU-Mann einmal stolz erzählt, „wer schweigt, der gewinnt“. Viele Tage hat es de Maizière so auch in der Affäre um den Bundesnachrichtendienst (BND) gehalten – unter Hinweis auf Geheimhaltungspflichten. Umso mehr genoss der Minister den Moment, nachdem er vor den Geheimdienstkontrolleuren des Bundestages sein Schweigen gebrochen hatte: „Es bleibt von den Vorwürfen gegen mich nichts übrig“, erklärte er selbstbewusst.

Der Verdacht, er habe als Kanzleramtsminister schon 2008 von illegalen Spionagepraktiken des US-Geheimdienstes NSA erfahren, ist kaum zu halten. Damals warnte zwar der BND, dass die NSA die Datenerfassung gegen deutsches Interesse ausweiten wolle, wie Dokumente belegen. Doch ging es dabei nicht wie vermutet um die umstrittenen Suchaufträge der NSA für den BND, mit denen der deutsche Geheimdienst zum Ausspionieren europäischer Partner und Firmen eingespannt worden sein soll. Damals drängten die USA vielmehr auf ein völlig neues, von Deutschland dann aber abgelehntes Abhörprojekt.

Die NSA versuchte, so schilderte es de Maizière in der geheimen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, den BND zum illegalen Anzapfen eines zentralen Telekommunikationsknotens anzustiften, offenbar den in Frankfurt. Der BND äußerte große Bedenken, die Regierung sagte ab. Hinweise aber auf Missbräuche bei der 2002 vereinbarten Überwachungs-Kooperation habe er nicht gehabt, versicherte de Maizière. Und von den Selektoren genannten Suchaufträgen der NSA – Millionen Telefonnummern, E-Mail-Verbindungen und Computer­adressen – habe er als Kanzleramtschef auch nichts gewusst.

Das bedeutet zwar noch keine völlige Entlastung für die Bundesregierung, aber de Maizière steht nicht mehr im Zentrum. Und auch das Kanzleramt lässt Druck entweichen: Auf der Liste jener 2000 Spionageziele, die der BND 2013 in einer Kontrollaktion zusätzlich aussortierte, stehen der Regierung zufolge keine Unternehmen. Das Ausmaß der Wirtschaftsspionage ist damit womöglich deutlich kleiner als anfangs befürchtet. Weniger als ein Prozent der von der NSA übermittelten Suchkriterien hat der BND aussortieren müssen, heißt es in vertraulichen Dokumenten des Kanzleramts. Die Union gibt Entwarnung: „Es bestand damals kein Anlass, an der Kooperation mit den USA etwas zu ändern“, meinte der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger.

Die Opposition widerspricht: Auch das abgelehnte NSA-Spionageprojekt hätte für de Maizière Anlass sein müssen, in Washington zu intervenieren, meinte der Vorsitzende des Kontrollgremiums, Andre Hahn (Linke). Aber geschehen sei nichts. De Maizière sei keinesfalls entlastet, glauben auch die Grünen. Der BND sei Teil eines amerikanischen Spionagesystems, das sich gegen deutsche Interessen richte. Die Opposition verweist darauf, dass eine Klärung erst im NSA-Untersuchungsausschuss möglich sei. Ohnehin geht es ja nicht nur um den Verdacht der Beihilfe zur amerikanischen Wirtschaftsspionage, sondern auch um Mithilfe beim Aushorchen von EU-Behörden, europäischen Regierungen und Politikern. Die Aufklärung hat gerade erst begonnen.

Sowohl die SPD als auch die Opposition erwarten die Selektoren-Liste bis heute

Dreh- und Angelpunkt für die Bewertung ist die Liste mit den von den USA angegebenen Spionagezielen, die der BND in sein Auslands-Überwachungssystem in Bad Aibling einspeiste. 40.000 amerikanische Suchaufträge hat der BND dort über die Jahre als unrechtmäßig aussortiert. Der Untersuchungsausschuss will die „Selektorenliste“ einsehen, gestern erklärte auch Generalbundesanwalt Helmut Range, er wolle vom Kanzleramt Auskunft über die Suchaufträge. Doch die Regierung lässt sich Zeit. Sie will erst die Zustimmung der USA einholen und verweist auf ein 50 Jahre altes Geheimschutzabkommen. Sowohl die SPD als auch die Opposition sind ungeduldig, erwarten die Liste bis heute.

Doch der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), weist die Kritik zurück: „Es ist richtig und auch international üblich, in solchen Fällen erst die Partner zu fragen“, sagte er. „Es ist besser, im Zweifel eine Woche länger das Verfahren im Konsens zu klären, damit der Ausschuss auch in künftigen Fällen US-Dokumente erhält.“ Ohnehin mahnt Sensburg zur Besonnenheit: „Der Ausschuss erhält viel mehr Dokumente zur Aufklärung, als manche erwartet haben.“