Kiel. Minister Robert Habeck hat Bewerbung um Spitzenkandidatur 2017 offiziell erklärt

Ein Gerücht schlich sich durch Kiel, monatelang tauchte es mal hier, mal da auf: Robert Habeck, unbestrittener Frontmann der schleswig-holsteinischen Grünen, will nach Berlin. Habeck, 45, Energiewendeminister und stellvertretender Ministerpräsident, lächelte monatelang Nachfragen weg – und sprach von Gerüchten. Was eben so durch Kiel schleicht, wenn sich Politiker und Journalisten langweilen. Seit Dienstag ist das Gerücht eine Tatsache: Robert Habeck will nach Berlin, er will Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl 2017 werden.

Habeck ist Schriftsteller, und so hat er seinen offenbar am Wochenende gefassten Beschluss ausführlich begründet – in einem Schreiben mit der markigen Überschrift „Nicht ausweichen“. Auf zwei Seiten begründet er, was ihn bei seiner Entscheidung geleitet hat und welche Ziele er verfolgt. „Politik in Deutschland ist in der dritten Legislaturperiode Merkel tatsächlich zu einem Land der Alternativlosigkeit in der Debattenkultur geworden“, steht es da in nicht ganz astreinem Deutsch. „Es ist diese grassierende politische Entmündigung, das Um-den-heißen-Brei herumreden, ja das Einnisten im Vagen, das scheinbar so erfolgreich ist, das aber eine Gesellschaft entmutigt. Das müssen wir doch auskontern.“ Außerdem, so Habeck, sei er bei seiner Arbeit als Minister oft an Grenzen gestoßen – „weil die Gewalt in Berlin oder Brüssel liegt“.

Der Kandidat will das, was die aus seiner Sicht erfolgreiche schleswig-holsteinische Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW ausmacht, auf den Bund übertragen. „Wir leben und formulieren eine neue Perspektive des Miteinanders, einen Politikstil, der nicht andere Akteure verletzt, sondern der viele zum Mitmachen animiert“, schreibt er – und fährt fort: „Ein Stil, der den Menschen die Angst vor Entscheidungen nimmt, weil er Fehler als menschlich und deshalb als möglich annimmt, ein Stil, der nicht von der moralischen Kanzel der Gutmenschen argumentiert, sondern sich mit den Argumenten der politischen Gegner ernsthaft auseinandersetzt, nicht vom hohen Amtsschimmel herab, sondern mit ein bisschen Rock´n´Roll und mit Spaß und freudvoll.“

Ob das „bisschen Rock´n´Roll“ nun tatsächlich nach Berlin kommt, bleibt vorerst dahingestellt. Momentan wissen die Grünen noch nicht einmal genau, wann und wie sie ihre Spitzenkandidaten, einen weiblichen und einen männlichen, bestimmen werden. 2012 hatten sie es erstmals mit einer Urwahl versucht. Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin gingen damals als Sieger aus dem Rennen hervor. Ob diese Direktwahl durch die Mitglieder jetzt erneut Anwendung findet, ist offen.

Habeck bevorzugt die Urwahl, will sich nur ihr stellen. Deshalb bleibt ihm vorerst nichts anders übrig, als im Konjunktiv zu reden. „Ja, wäre heute eine Urwahl, würde ich mich bewerben“, schreibt er. „Und so viel in der nächsten Zeit noch passieren kann, ich gehe davon aus, dass ich mich 2016 bewerben werde, wenn die Lage in Kiel oder Berlin ungefähr der heutigen entspricht.“ Habeck ist der erste Bewerber um die Spitzenkandidatur. Über eine Kandidatur des Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, wird seit Monaten spekuliert. Nächster wichtiger Termin ist der Bundesparteitag im November. Dann soll entschieden werden, ob die Entscheidung in einer Urwahl fällt. Gibt es sie, könnte sie im Herbst 2016 erfolgen. Dann kämen auf Habeck und die anderen Bewerber zahlreiche Vorstellungsrunden in ganz Deutschland zu. Ruth Kastner, die Landesvorsitzende der schleswig-holsteinischen Grünen, hat sich schon erkundigt, wie der Energiewendeminister das wuppen will. „Er nimmt dafür Urlaub“, sagt Kastner. Sie drückt Habeck die Daumen. „Wenn er mit seinem Stil in Deutschland erfolgreich ist, kann das uns Grünen in Schleswig-Holstein nur gut tun.“

Habeck wiederum verspricht: „Ich werde meinen Job hier fertig machen.“ Die zeitlichen Abläufe lassen das durchaus zu. Gewinnt er 2016 die Urwahl, könnte er die schleswig-holsteinische Landtagswahl im Frühjahr 2017 zum Testlauf für die Bundestagswahl im Herbst 2017 machen. Die Theorie eines solchen Testlaufs funktioniert aber auch umgekehrt: Versemmelt er die Urwahl, startet er als Verlierer in den Landtagswahlkampf.

Die Pressekonferenz mit Habecks „Geständnis“, dass die Gerüchte um seine Berliner Ambitionen stimmen, wurde am Dienstag kurzfristig angesetzt. Die Partei hatte ihn zuvor schon mehrfach gedrängt, sich zu erklären. Habeck hatte dies erst am Sonntag beim Landesparteitag in Lübeck tun wollen. Doch das passte dem Landesvorstand nicht. Der Parteitag sollte nicht von der Habeck-Personalie dominiert werden. Also war Dienstag der Tag, an dem Habeck den Hut in den Ring warf. Ein bisschen ist er ihm auch vom Kopf geweht worden.