Berlin. Deutscher Geheimdienst soll US-Kollegen beim Ausspähen europäischer Politiker geholfen haben. Der Druck auf den Innenminister wächst

Es hört nicht auf. Die Affäre um BND und NSA weitet sich aus. Laut „Spiegel“ hat der deutsche Bundesnachrichtendienst 12.000 Suchbegriffe gelöscht, mit denen hochrangige europäische Beamte, Politiker und Diplomaten für den US-Geheimdienst NSA ausgeforscht werden sollten. Der Flugzeughersteller „Airbus“ kündigte wegen des Verdachts der Industriespionage – auch dies steht im Raum – eine Anzeige gegen Unbekannt an. General-bundesanwalt Harald Range ist alar-miert: Die Bundesanwaltschaft habe einen Prüfvorgang eingeleitet, sagte ein Behördensprecher am Freitag. Geklärt werden solle, „ob ein Anfangsverdacht für eine in unsere Zuständigkeit fallende Straftat vorliegt“, sagte er.

Wer politisch die Schuld trägt, ist für Sahra Wagenknecht klar: Thomas de Maizière. „Ich finde, es sind schon Leute wegen wesentlich geringerer Delikte zurückgetreten“, sagte die Vizechefin der Linksfraktion in einer Talkrunde. Der CDU-Mann soll gehen, weil er einst als Chef des Kanzleramts nicht die BND-Hilfe für die NSA-Spionage gestoppt und nun als Innenminister das Parlament falsch unterrichtet habe.

De Maizière ist in einer misslichen Situation. Er selbst spricht von einer „Schieflage“. Zum einen kann er sich schwer öffentlich rechtfertigen, weil es um Geheiminformationen geht. Zum anderen ist er ohnehin politisch angeschlagen, weil zuletzt schon das Fehlermanagement beim G36-Sturmgewehr auf ihn zurückfiel. Auch hier holt ihn seine Vergangenheit ein, diesmal als Ex-Verteidigungsminister.

So ist aus einem Hoffnungsträger der Problembär der Union geworden. Viel lästiger als der Rufschaden ist, dass er keine Aussicht hat, die Vorwürfe schnell auszuräumen. Es dürfte noch Wochen dauern, bis er die Chance bekommt, als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags vernommen zu werden.

Die Halbwahrheiten gegenüber dem Parlament gehen jedenfalls nicht auf seine Kappe. Die Antworten auf Fragen zur Industriespionage durch die NSA hat das Kanzleramt zu verantworten. Die Opposition nimmt Anstoß daran, dass die Regierung interne Hinweise verschwiegen hat und beteuerte, ihr lägen „keinerlei Erkenntnisse“ vor. Das muss sie eigentlich bald richtigstellen. Im Zweifel wird sich Amtschef Peter Altmaier (CDU) damit herausreden, dass ein Verdacht keine gesicherte Erkenntnis ist. Schon über den Begriff „Industriespionage“ lässt sich lange streiten. Dass die NSA die Konkurrenz von US-Unternehmen ausspähen würde, wurde stets vehement bestritten. Die Amerikaner wollen Unternehmen aus rein politischen Motiven beobachtet haben. Klar ist, dass sie die Kooperation mit dem BND dazu nutzten, und dass man in Pullach Lunte roch. Der „Spiegel“ berichtet darüber, wie ein Sachbearbeiter eine Suchdatei mit Begriffen wie „diplo“, „bundesamt“ und „gov“ durchsuchte und sogleich 12.000 Treffer landete; die Spuren führten vielfach zu europäischen Partnern. „Was soll ich machen“, schrieb der Beamte seinen Vorgesetzten. Die Antwort der Chef-Ebene: „Löschen.“ Über den Verdacht, dass die NSA zu weit gehen könnte, hatte der BND früh, erstmals 2008, das Kanzleramt informiert – zu de Maizières Zeiten.

BND-Präsident Gerhard Schindler kann sich kaum verteidigen. Das Kanzleramt hat ihm einen Maulkorb verpasst. Der frühere Geheimdienst-Koordinator Bernd Schmidbauer (CDU) gibt im „Focus“ die Stimmung im Dienst wieder: Es sei eine „Schande“, wie Schindler „von diesen Herren im Kanzleramt“ im Stich gelassen werde. Stattdessen sei es ihre vornehmste Aufgabe, ihm „den Rücken zu stärken“. Das Kanzleramt hätte bei den ersten Warnhinweisen die gemeinsamen Operationen mit den USA stoppen können. Das ist indes unrealistisch. Schmidbauer: „Wir sind nichts ohne die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse der Amerikaner. Wir wären blinde Hühner.“ Wenn also das Kanzleramt die Amerikaner gewähren ließ, dürfte es jetzt den BND im Regen stehen lassen?

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat den Eindruck, dass die Aufsicht des Kanzleramts über den BND „kläglich versagt“ habe. Seit den ersten Enthüllungen fährt die SPD eine harte Linie. Kein Wunder. Schließlich wird das Kanzleramt seit zehn Jahren von der CDU geleitet. Im Bundestag wächst derweil die Unruhe über das Krisenmanagement der Regierung. Weder das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) noch der Untersuchungsausschuss haben bisher die Liste mit den unzulässigen Suchbegriffen gesehen. „Wir müssen einen Weg finden, dass die Kollegen im Untersuchungsausschuss und wir im Kontrollgremium zumindest sie so hinreichend bewerten können, um sagen zu können, was sich an Dimensionen dahinter verbirgt“, fordert PKGr-Mitglied Clemens Binninger (CDU). „Die Regierung sollte ehrlich sein. Darauf werden wir auch nächste Woche bestehen.“

Am Montag wird Schindler in Berlin bei einem Symposium zur Terrorismusabwehr erwartet. Er wird von den Medien belagert werden. Am Donnerstag will der Untersuchungsausschuss zwei hohe BND-Beamte vernehmen, bis zur Sommerpause dann auch Schindler und de Maizière. Der Ausschuss-Vorsitzende Patrick Sensburg (CDU) machte gegenüber dem Abendblatt klar, dass die Aufklärung Vorrang hat. Doch früher oder später stellt sich die Frage, wer die Verantwortung für Fehler, für falsche Strukturen trägt. Schindler ist hochgefährdet, wäre aber bloß das klassische Bauernopfer. Wer nur hält politisch den Kopf hin?