Washington. Plünderungen und Brandstiftung nach Beisetzung eines jungen Schwarzen, der bei seiner Festnahme schwere Verletzungen erlitten hatte

Das Baltimore des Chaos und der Gewalt hat mindestens ein sympathisches Gesicht: Es ist das einer couragierten schwarzen Mutter, die von den Fernsehkameras eingefangen wurde, als sie ihren vermummten Sohn aus der Menge der Gewalttäter herauszerrte, ihm ein aufs andere Mal kräftig eine langte und vor sich her offenkundig nach Hause prügelte.

Das geschah am Montag, dem Tag der Beisetzung des zwei Wochen zuvor in Polizeiarrest zu Tode gekommenen Freddie Gray. Seit dem frühen Nachmittag und bis spät in die Nacht griffen Chaoten Polizisten an, warfen mit Steinen und Gegenständen aller Art, setzten Polizeiwagen und Häuser in Brand, verwüsteten und plünderten Läden, Wohnungen und ein Altersheim. Mindestens 19 Polizisten wurden verletzt und fast 200 Personen verhaftet. Ein Journalist erlitt üble Gesichtsverletzungen, als ihm Randalierer seine Kamera raubten. Eine Mutter konnte sich mit ihrem Baby nur knapp aus einem brennenden Haus retten. 15 Gebäude wurden niedergebrannt und 144 Autos.

Die Trauerfeier für Gray in der New Shiloh Baptist Church schien noch einen würdigen Tag einzuleiten. Das Weiße Haus hatte Vertreter entsandt, ein Kongressabgeordneter war erschienen, Bürgerrechtler zeigten Präsenz. Die Polizeiführung in Baltimore hatte bereits Tage zuvor eingestanden, dass die Beamten offenkundig nicht angemessen vorgegangen seien bei der Festnahme von Gray, der beim Versuch einer Routineüberprüfung weggelaufen war, aber gestellt werden konnte. In seiner Hosentasche wurde ein Springmesser gefunden. was zu seiner Festnahme führte. Dabei erlitt er offenkundig durch massive Gewalt Rückenverletzungen, die ihn zuerst ins Koma fallen und eine Woche später sterben ließen.

Kurz nach der Trauerfeier sollen bislang nicht identifizierte Drahtzieher in sozialen Netzwerken zu einer „Säuberung“ aufgerufen haben. Gerüchteweise hätten zudem die vornehmlich schwarzen „Gangs“ von Baltimore angekündigt, einzelne Polizisten „auszuschalten“, um sich für den Tod von Gray im Speziellen und die Polizeigewalt vor allem gegen Schwarze im Allgemeinen zu rächen

An der Mondawmin Mall sammelten sich gegen 14 Uhr bis zu 100 Vermummte, zumeist Jugendliche im Alter von 16 bis 18. Jahren. Polizisten stellten sich ihnen entgegen, die ausgerüstet waren für Tränengaseinsätze. Doch die Polizei war rasch auf dem Rückzug. Ein Drogeriemarkt ging in Flammen auf, Plünderer rannten mit gestohlenen Waren durch die Straßen, es flogen die ersten Gegenstände, Polizeiwagen wurden angegriffen. Vor den Augen der TV-Nation übernahmen Vermummte das Regiment auf der Straße. Im Laufe des Nachmittags rief Larry Hogan, der Gouverneur von Maryland, den Notstand aus und mobilisierte die Nationalgarde in seinem Bundesstaat. Seit Dienstag gilt – zunächst für eine Woche – eine Ausgangssperre von 22 Uhr abends bis fünf Uhr morgens. Schulen und andere öffentliche Einrichtungen blieben am Dienstag geschlossen.

„Zu viele Menschen haben über Generationen hinweg diese Stadt aufgebaut, als dass wir dies zerstören lassen dürfen durch Gewalttäter, die in sinnloser Weise das niederreißen wollen, wofür viele andere gekämpft haben“, sagte Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake, eine Afroamerikanerin, die 2010 mit 84 Prozent ins Amt gewählt worden war.

Üblicherweise verfolgt die Polizei in der von einer Kriminalitätsrate weit über dem nationalen Durchschnitt heimgesuchten Hafenstadt am Atlantik eine strenge, sehr repressive Linie. Von „Zero-Tolerance“ ist die Rede; schon auf kleinste Delikte soll entschlossen reagiert werden. Seit August 2014 dürfen Kinder unter 14 Jahren nach 21 Uhr nicht mehr ohne Begleitung von Erwachsenen auf der Straße sein, und ab 22 Uhr (an Wochenenden und im Sommer 23 Uhr) müssen auch die bis zu 16-Jährigen daheim sein.

Am Montag aber hatte sich die Einsatzführung wohl entschlossen, zunächst defensiv zu reagieren, vielleicht um die Empörung über den Tod von Gray ins Leere laufen zu lassen. Bürgermeisterin Rawlings-Blake hatte zuvor von „Deeskalation“ gesprochen und erklärt, man wollte sogar den gewaltbereiten Protestlern, „die zerstören wollten, einen gewissen Raum“ geben.

Diese Einsatztaktik scheiterte. Der republikanische Gouverneur Hogan kritisierte indirekt die demokratische Bürgermeisterin. Sie habe die Nationalgarde zu spät angefordert.

Neben der beherzten Mutter, die am Montag ihren Sprössling entschlossen aus der Menge der Randalierer fischte, wurden auch andere Fälle von Zivilcourage vermeldet. CNN-Reporter wurden auf einen schwarzen Vietnam-Veteranen aufmerksam, der ungeachtet der Wurfgeschosse durch die Straßen zog und die Chaoten aufforderte, nach Hause zu gehen, anstatt ihre Nachbarschaft in Schutt und Asche zu legen.

Immerhin seien 10.000 Demonstranten friedlich gewesen, sagten Bürgerrechtler. TV-Bilder aber legen den Eindruck nahe, dass in einigen Fällen friedliche Demonstranten wie menschliche Schutzschilde auf Polizisten zugingen, während hinter ihnen Vermummte mit Gegenständen warfen. Freddie Grays Angehörige sprachen sich gegen jede Gewalt aus. Der 25-Jährige hätte dies nicht gewollt, sagte ein Anwalt der Familie. Ob die Chaoten das beeindruckt, ist zweifelhaft.