Berlin. Zu keinem der wichtigen Themen konnte beim Gipfeltreffen im Kanzleramt ein Kompromiss gefunden werden

Martin Greive
Thomas Vitzthum

Als Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer nach einem Vorgespräch unter Parteivorsitzenden am Sonntagabend um 20 Uhr 45 den Koalitionsausschuss eröffneten, war die Stimmung noch beinahe gut. Ein aggressives Interview des bayerischen Ministerpräsidenten im Vorfeld und verbale Kraftmeiereien diverser Sozialdemokraten verbuchten die meisten Sitzungsteilnehmer als Politfolklore; bisher hatte das höchste Gremium der großen Koalition noch immer Lösungen für die anliegenden Streitfragen gefunden.

So schien es auch zunächst. Beim ersten Thema, der Flüchtlingspolitik, einigte man sich rasch und fand eine gemeinsame Sprachregelung. Deutschland will sich an einer verstärkten Seenotrettung im Mittelmeer beteiligen. Am 8. Mai soll beim Flüchtlingsgipfel mit den Ministerpräsidenten eine „konzertierte Aktion im Umgang mit den steigenden Asylbewerberzahlen“ erreicht werden. So weit, so gut.

Dann aber gab es heftigen Streit. Über zwei Stunden rang man um die Neuordnung der Länderfinanzen. Die SPD war nicht bereit, eine Verabredung zwischen Angela Merkel und Seehofer als Geschäftsgrundlage anzuerkennen, nachdem der Solidarzuschlag ab dem Jahr 2020 langsam auslaufen soll. Zwischenzeitlich sah es allerdings laut Teilnehmerangaben so aus, als stünde auch Merkel nicht mehr zu diesem Konzept. Als Seehofer darauf bestanden haben soll, wich Merkel allerdings einem Streit aus. Schließlich wurde das Problem in eine andere Runde vertagt: Die Parteivorsitzenden sollen nun gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden, dem Finanzminister und dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eine Lösung finden. Wann dieses neue Format zusammenkommt, ist noch nicht verabredet.

Bis dahin muss sich die Union erst einmal untereinander einigen. Wenige Tage vor dem Koalitionsausschuss hatten die CDU-Ministerpräsidenten in einer Telefonkonferenz vereinbart, die geplante Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs abzulehnen. Diese ist aber ein Kernelement des Schäuble-Vorschlags zur Reform der Bund-Länder-Finanzen. Seehofer vertrat diese Linie auch auf dem Koalitionsgipfel. Allerdings hatte die Union auf dem letzten Koalitionsausschuss noch ihre Bereitschaft für eine Abschaffung des Vorwegausgleichs erklärt.

Umso geschlossener agierte die SPD, als um Mitternacht das nächste Thema aufgerufen wurde: Änderungen an den bürokratischen Zumutungen des Mindestlohns. Die wird es nämlich nicht geben. Zwar war vor Monaten vereinbart worden, dass die Beschwerden von Wirtschaft, Ehrenamtlern und anderen „gesammelt“ werden. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) legte diese auch in einer ausführlichen Liste vor. Allerdings erklärte Nahles zum Entsetzen ihrer Gesprächspartner von CDU und CSU anschließend alle Pro­bleme einfach für nicht existent. Weder auf dem Wege einer Gesetzesänderungen noch – wie die Union erhofft hatte – mit gesichtswahrenden Rechtsverordnungen soll die Umsetzung des Mindestlohns erleichtert werden. Alles bleibt, wie es ist.

Lösungen bei Energie, Mindestlohn und Länderfinanzen müssen bis Sommer her

Die Union hat keinerlei Druckmittel, der Mindestlohn ist schon Gesetz. Die Landesgruppenvorsitzende der CSU, Gerda Hasselfeldt, machte einen verzweifelten Versuch, in eine sachliche Debatte einzusteigen, indem sie Nahles von Hochzeiten in bayerischen Dörfern berichtete, die viele Stunden gefeiert werden und nach geltender Gesetzeslage bald ohne Kellnerinnen auskommen müssen – vergeblich.

Die Wut der Union darüber gibt ein Zitat des CSU-Wirtschaftspolitikers Hans Michelbach wieder: „In der SPD haben blinde Ideologen das Ruder übernommen, denen die rote Klassenkampfbrille den Blick auf die Wirklichkeit trübt.“ Die SPD hingegen freute sich diebisch, dass sie die Union erfolgreich auflaufen ließ. Die will freilich ein Wiederholungsmatch: Der Mindestlohn soll auch im nächsten Koalitionsausschuss wieder aufgerufen werden. Einen Plan, wie die SPD bis dahin weich gekocht werden könnte, hat freilich noch niemand.

Nach den ergebnislosen Gesprächen zu den Länderfinanzen und zum Mindestlohn war die Sitzung so verfahren, dass es auch in der Energiepolitik nicht mehr vorwärts ging. Vergeblich versuchten die Sozialdemokraten Kanzlerin Merkel eine Positionierung in der Frage der Kohleabgabe zu entlocken. Diese hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit dem Kanzleramt vereinbart. Aber die Chefin sieht seit Wochen zu, wie ihr Fraktionsvorsitzender Volker Kauder und der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet dagegen anrennen. Im Koalitionsausschuss bekräftigte Merkel lediglich das Festhalten am Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Zu dem von Gabriel vorgeschlagenen Mittel, der Kohleabgabe, bekannte sich Merkel jedoch nicht.

So ging die Runde um zwei Uhr nachts fast ergebnislos auseinander. Auch wohlwollende Beobachter beschrieben dies am Montag als den bisherigen Tiefpunkt der Großen Koalition. Sie muss bis zum Sommer Lösungen für die wichtigen Politikfelder Energie, Mindestlohn und Länderfinanzen erarbeiten, kam aber nirgendwo auch nur ein Stück voran. Die vierte Riesenbaustelle – die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Reform der Erbschaftssteuer – wurde nicht einmal angesprochen. Wäre der Koalitionsausschuss ein Fußballspiel, könnte man sagen: Ein auch in der Höhe verdientes Null zu Null.

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