Brüssel. Beim EU-Sondergipfel zum Flüchtlingsdrama sagen die Regierungschefs den Schleusern den Kampf an. Verhandlungen mit Afrikanischer Union geplant

Die Stimmung war bedrückt, die Rede von „Tragödie“ und „schrecklichem Unglück“. Mit einer Schweigeminute für die rund 800 Opfer des jüngsten Bootsunglücks im Mittelmeer haben die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag den Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik begonnen. Schnell, nur vier Tage nach der Katas­trophe, kamen sie in Brüssel zusammen. Damit will die EU demonstrieren, dass sie in der Lage ist, rasch zu reagieren. Am späten Abend stand fest: Die EU will mit dreimal so viel Geld und mehr Schiffen für die Seenotrettung im Mittelmeer weitere Flüchtlingskatas­trophen verhindern. Bei dem Sondergipfel in Brüssel beschlossen die Staats- und Regierungschefs, die Mittel für die EU-Grenzschutzmission „Triton“ auf rund neun Millionen Euro pro Monat aufzustocken. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bot an, zwei Schiffe der deutschen Marine für die Seenotrettung ins Mittelmeer zu schicken. Wenn nötig auch noch mehr, sagte Merkel nach dem Treffen.

Nach den Worten von Gipfelchef Donald Tusk wurde eine Aufstockung der Zahl der Schiffe, Flugzeuge und Experten vereinbart. „Das Leben von unschuldigen Menschen zu retten, hat absolute Priorität für uns.“

Die Boote der beiden laufenden EU-Missionen „Triton“ und „Poseidon“ patrouillieren vor der Küste Italiens und Griechenlands und sollen die Grenzen überwachen sowie gegen Schlepper vorgehen. Die Verdreifachung des „Triton“-Budgets entspricht dem Niveau der italienischen Vorgängermission „Mare Nostrum“, die nach Angaben aus Rom mehr als 100.000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet hatte.

Neben dem Ausbau der Kapazitäten für die Seenotrettung ging es beim Sondertreffen auch um den Kampf gegen Schleuserbanden. Nach den Worten von Tusk sollen Militäreinsätze geprüft werden, um von Schleusern zum Flüchtlingstransport genutzte Schiffe zu zerstören. Experten halten dafür einen Auftrag der Vereinten Nationen (Uno) für nötig. Fraglich ist auch, ob sich die Schleuserschiffe mit Geheimdienstinformationen eindeutig identifizieren lassen und nicht mit Fischerbooten verwechselt werden.

Die EU will zudem gemeinsam mit der Afrikanischen Union und weiteren Ländern einen Sondergipfel zum Thema Migration noch in diesem Jahr auf Malta veranstalten. Das schrieb der maltesische Premierminister Joseph Muscat auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Menschenrechtsorganisationen hatten sich schon vor dem Gipfel enttäuscht gezeigt. Sie wiesen darauf hin, dass nur eine Ausweitung des Einsatzgebietes für die Missionen große Fortschritte bringen könne. Viele Flüchtlingsschiffe geraten bereits nahe der libyschen Küste in Seenot. Dort abgesetzte Notrufe sind in der Regel nicht im Einsatzgebiet der aktuellen „Triton“-Mission zu empfangen. Es umfasst nur eine begrenzte Region rund um die italienischen Küsten.

Kanzlerin Merkel (CDU) sagte, die Rettung von Menschenleben sei das wichtigste Ziel der EU-Flüchtlingspolitik. „Wir haben in diesem Bereich noch sehr sehr viel zu tun.“ Es gehe um die Werte der EU. Die Staatenlenker debattierten auch über eine andere Verteilung von Flüchtlingen, die vor allem Deutschland, Italien und Schweden fordern. Vorgesehen sind zudem mehr Hilfen für Ankunftsländer und eine Kooperation mit afrikanischen Staaten.

Auch andere Länder wie Großbritannien und Belgien boten offiziell Schiffe und Ausrüstung an. Der britische Premier David Cameron machte dies aber abhängig davon, „dass Leute, die wir aufgreifen, zum nächsten sicheren Staat gebracht werden, am wahrscheinlichsten also Italien“. Litauen bot der EU-Grenzschutzagentur Frontex für zwei Monate einen Rettungshubschrauber mit zehn Mann Besatzung an. Frankreichs Präsident François Hollande kritisierte, dass Libyen nach der Intervention einer internationalen Allianz vor mehr als dreieinhalb Jahren alleingelassen worden sei. „Es gab keinerlei Nachdenken darüber, was danach passieren soll. Jetzt geht es darum, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.“ Libyen ist derzeit das Haupttransitland für Bootsflüchtlinge.