Moskau. Präsident Putin: Strafmaßnahmen haben nicht direkt mit Ukraine zu tun. Kremlchef verbreitet in einer vierstündiger TV-Fragestunde vor allem Optimismus

Trotz massiver Kritik am Regierungskurs in Krisenzeiten will Kremlchef Wladimir Putin an seiner Politik festhalten. „Experten glauben, dass wir den Höhepunkt der Krise überwunden haben“, sagte der Präsident bei seiner Fernsehsprechstunde „Direkter Draht“ am Donnerstag in Moskau. Die russische Wirtschaft habe die Talsohle durchschritten, die Erholung könne innerhalb von zwei Jahren und damit schneller als erwartet eintreten, meinte Putin.

Er räumte ein, dass das Land unter den vom Westen in der Ukraine-Krise gegen Russland verhängten Sanktionen leide. Letztendlich könne die russische Wirtschaft aber von den Strafmaßnahmen sogar profitieren. „Man muss es als Chance sehen“, sagte der Präsident. Putin warf dem Westen vor, die Sanktionen aus politischen Gründen aufrechtzuerhalten. Es gehe der EU und den USA darum, Russland zu schwächen, und nicht darum, der Ukraine zu helfen. Er kritisierte, dass die Sanktionen in Kraft geblieben seien, obwohl Kiew für das Scheitern einer vollständigen Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens verantwortlich sei.

Kremlchef kritisierte Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus

Zu der rund vierstündigen Sendung waren mehr als drei Millionen Fragen eingegangen. Bei Liveschaltungen in einige Teile des Riesenreiches äußerten Bürger Sorgen etwa über die hohe Inflation. Auf der Baustelle von Russlands neuem Raumfahrtbahnhof Wostotschny posierten Arbeiter, anderenorts waren Weltkriegsveteranen zu sehen.

Putin forderte vom Westen mehr Respekt für die Interessen Russlands. Die USA wollten aber keine Verbündeten. „Als Supergroßmacht brauchen sie Vasallen“, sagte er. Washington versuche, der ganzen Welt sein politisches und wirtschaftliches Modell aufzuzwingen. Auch die UdSSR habe dies in Osteuropa versucht – das sei aber ein Fehler gewesen.

Mit Nachdruck wies Putin Vorwürfe des Westens zurück, Russland strebe einen neuen Großmachtstatus an. „Ich will betonen: Wir haben keine Ziele einer Wiedergeburt des Imperiums, bei uns gibt es keine imperialen Ambitionen“, sagte der 62-Jährige. Im postsowjetischen Raum sei aber eine Zusammenarbeit nötig, damit sich der Lebensstandard verbessere. Putin hatte den Zerfall der UdSSR einst als größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts bezeichnet.

Der Kremlchef kritisierte eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus, wie dies Papst Franziskus vor Kurzem getan hatte. Ein solcher Vergleich sei schon deswegen unmöglich, weil ein offenes Ziel des Nazismus die Ausrottung etwa von Juden und Slawen gewesen sei. Auch wenn man „die Hässlichkeit der Stalin-Ära“ bedenke, habe sich das damalige Regime nie Völkermord zum Ziel gesetzt.

Im Ukraine-Konflikt warf Putin der Führung in Kiew zahlreiche Fehler vor. Präsident Petro Poroschenko habe gleich mehrere Chancen für eine friedliche Lösung der blutigen Krise mit bisher mehr als 6000 Toten verstreichen lassen. Putin kritisierte die prowestliche Führung des Nachbarlands zudem für eine Wirtschaftsblockade des Unruhegebiets Donbass.

Die Region würde vom übrigen Land abgeschnitten, indem die Bewohner vom Finanzsystem abgekoppelt und etwa keine Renten mehr überwiesen würden. Er wies erneut Vorwürfe zurück, dass die russische Armee in der Ostukraine kämpfe. Besorgt äußerte sich der Kremlchef über die Vielzahl politischer Verbrechen in der Ukraine. Der Westen sehe über diese Fälle hinweg. In Kiew sind binnen 24 Stunden ein bekannter prorussischer Journalist sowie ein Unterstützer des gestürzten moskautreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch getötet worden. Oleg Kalaschnikow, Abgeordneter von Janukowitschs Partei der Regionen, wurde nach Polizeiangaben am Mittwochabend tot in seinem Haus gefunden. Am Donnerstag wurde der Journalist Oles Buzyna, Chefredakteur einer kiewkritischen Zeitung, auf der Straße erschossen.

Nach Angaben aus dem Innenministerium nahm die Polizei wegen des Todes Kalaschnikows Mordermittlungen auf, auch er wurde offenbar erschossen. Es werde in Richtung einer politisch motivierten Tat als auch eines Raubmordes aus wirtschaftlichen Gründen ermittelt. Kalaschnikow soll während der Proteste der proeuropäischen Opposition gegen Janukowitsch seit dem Herbst 2013 Gegenkundgebungen organisiert haben.

In der Ukraine sind fünf Anhänger des Ex-Präsidenten Janukowitsch tot

Buzyna war Chefredakteur der Zeitung „Segodnia“ von Rinat Achmetow, dem reichsten Mann der Ukraine und Hauptfinanzier der Partei der Regionen. Auf seiner eigenen Website hatte Buzyna der neuen Regierung in Kiew vorgeworfen, sie wolle „die russische Kultur zerstören“. Das Innenministerium bestätigte seinen Tod. Fernsehbilder zeigten eine blutüberströmte Leiche vor einem Haus in der Innenstadt. Präsident Poroschenko verurteilte die Morde als „absichtliche Provokation“, die „Wasser auf die Mühlen unserer Feinde gießen und die Lage in der Ukraine destabilisieren“. Er forderte seine eigenen Behörden zu einer „transparenten Untersuchung“ auf.

Die Zahl der Fälle, in denen Unterstützer von Ex-Präsident Janukowitsch unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen sind, erhöhte sich mit den beiden neuen Opfern auf fünf. Der ehemalige Gouverneur Olexandre Peluschenko sowie der frühere Abgeordnete Stanislaw Melnik wurden beide tot in ihrem Haus gefunden. Beide Politiker sollen sich das Leben genommen haben. Michailo Tschetschetow, ein hoher Parlamentsmitarbeiter der Partei der Regionen, war Ende Februar aus einem Fenster im 17. Stock gestürzt. Überdies war Ende März der jüngste Sohn Janukowitschs mit einem Kleinbus auf dem zugefrorenen Baikal-see in Sibirien eingebrochen und ertrunken. Auch wenn Vertraute des Ex-Präsidenten von einem Unfall sprachen, wurde der Vorfall von manchen Beobachtern als verdächtig bewertet.

Janukowitsch war im Februar 2014 nach monatelangen Protesten ins russische Exil geflohen. Zwei Monate später begannen die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und prorussischen Rebellen im Osten des Landes, durch die nach Angaben der Vereinten Nationen bislang mehr als 6000 Menschen getötet wurden.