Karlsruhe. Verfassungsrichter stellen bei mündlicher Verhandlung kritische Fragen. Hamburg hatte geklagt

Bis das Bundesverfassungsgericht ein Urteil vorlegt, werden zwar noch einige Monate ins Land gehen. Aber schon bei der mündlichen Anhörung zum Problemfall „Betreuungsgeld“ deutete sich in den scharf formulierten Fragen der Richter und dem einen oder anderen Kommentar am Rande an, dass der Bundesregierung eine gewaltige Blamage ins Haus stehen könnte. 150 Euro wird jeden Monat in Deutschland all jenen gezahlt, die ihr Kleinkind nicht in die Kita geben und dafür eine Ersatzleistung beantragen. Womöglich nennen die Verfassungshüter aus Karlsruhe das am Ende aber einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Um die Peinlichkeit noch zu steigern, wäre ein solches Urteil ein Erfolg für die Klägerin, die Hamburger SPD, gegen die Bundes-SPD. Denn Letztere hat vor dem Gericht die Aufgabe, das Betreuungsgeld, das von der CSU durchgedrückt worden war, zu verteidigen – obwohl sie es selbst nie wollte. Beschlossen wurde das Betreuungsgeld noch zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition. Mittlerweile hat SPD-Ministerin Manuela Schwesig das Zepter übernommen. Ihr Haus muss sich also sprichwörtlich selbst widerlegen, weil das im Koalitionsvertrag nun mal so festgelegt wurde. Schwesig schickte dafür ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek nach Karlsruhe. Bevor Kleindiek ins Berliner Ministerium gewechselt war, hatte er als Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde gearbeitet und die Klage maßgeblich vorbereitet. Um zu überwachen, dass sich Kleindiek für Bundesregierung und Betreuungsgeld trotzdem mit allen Kräften ins Zeug legt, hat daher die bayerische Staatskanzlei ein paar misstrauische Beobachter nach Karlsruhe geschickt. Skurriler kann Politik kaum mehr werden.

Geklagt hatte der Hamburger Senat vor allem mit zwei zentralen Argumenten gegen die Förderleistung, die im Volksmund als „Herdprämie“ verschrien ist. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und sein Sozialsenator Detlef Scheele bezweifeln, dass der Bund überhaupt die verfassungsrechtliche Kompetenz habe, um solch eine Zahlung zu veranlassen. Außerdem fördere das Betreuungsgeld ein ungleiches Lebensmodell, weil alte Rollenbilder verfestigt und Frauen vom Wiedereinstieg in den Beruf abgehalten würden, fördere das Betreuungsgeld ein ungleiches Lebensmodell.

Aus seiner unangenehmen Lage versuchte sich Ralf Kleindiek zu winden, indem er sich ausdrücklich gegen eine politische Bewertung des Betreuungsgeldes verwahrte. Schon in seiner 74 Seiten starken Stellungnahme konzentrierte er sich im Namen seiner Ministerin auf die Frage, ob der Bund das Gesetz überhaupt erlassen durfte. Ja, so seine Haltung – weil das zum Auftrag zur öffentlichen Fürsorge gehöre.

Hamburg sieht das anders, und womöglich auch das Verfassungsgericht. Laut Grundgesetz besitze der Bund die Zuständigkeit, für die „öffentliche Fürsorge“ zu handeln, erst dann, wenn „gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ geschaffen werden müssten. Das gilt beispielsweise für das Kindergeld. Beim Betreuungsgeld greife das Argument aber nicht, sagte die Hamburger Vertreterin Margarete Schuler-Harms vor Gericht. Der Staat honoriere eine „Nichtnutzung“ staatlich geförderter Einrichtungen, bezahle also Geld dafür, dass Kitas nicht in Anspruch genommen würden. Das diene keineswegs der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse.

Der Verfassungsrechtler Michael Sachs, den die Bundesregierung neben Kleindiek nach Karlsruhe beordert hat, plädierte für einen weiteren Begriff der Fürsorge. „Familien sind hilfsbedürftig. Und wenn sie das staatliche Angebot nicht wahrnehmen, bleiben sie es auch.“ Wer den Bund für nicht zuständig in Sachen Betreuungsgeld halte, müsse auch das Elterngeld zur Ländersache machen. Das wiederum werden Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof und vor allem die zuständige Berichterstatterin Gabriele Britz, die das Urteil schreiben wird, wohl nicht einfach so hinnehmen wollen. Britz merkte während der Anhörung an, für eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes müssten die Lebensverhältnisse „erhebliche“ Differenzen im Bundesgebiet aufweisen. Andernfalls seien die Länder zuständig. Und ihr Kollege Johannes Masing wollte wissen, ob tatsächlich „problematische Entwicklungen“ zu befürchten wären, wenn das Betreuungsgeld nicht gezahlt würde. Da musste schließlich dann auch der Prozessbevollmächtigte Sachs zugeben, dass es „nicht so einfach“ sei, diese Unterschiede wirklich zu belegen.

Hamburg geht es seinem Familiensenator Scheele zufolge aber vor allem um die Kinder selbst. Denn von Beginn an war vor der Gefahr gewarnt worden, dass vor allem sozial schwache Familien in dem Betreuungsgeld einen Anreiz sehen könnten, ihren Nachwuchs von Kitas fernzuhalten – wo sie nicht nur sprachlich, sondern auch in Bildung und Sozialverhalten gefördert werden könnten. „Kein Kind, kein Jugendlicher soll verloren gehen“, sagte Scheele. Das Betreuungsgeldgesetz verhindere auch in dieser Hinsicht Chancengleichheit, vor allem bei Familien mit Migrationshintergrund.

Bayerns Staatsministerin Emilia Müller (CSU) hielt dagegen die Wahlfreiheit hoch und den Wert der Familie an sich. Das Betreuungsgeld erlaube es Eltern, sich mehr Zeit mit ihren Kindern zu nehmen, ihre ersten Schritte mitzuerleben. Und auch Kleinkinder mit Migrationshintergrund seien zu Hause gut aufgehoben.