Berlin . Proteststurm über Wirtschaftsminister Gabriel wegen Zwangsabgabe für Kraftwerke

Die Kanzlerin urlaubt, und der Vize darf sich in ihrer Abwesenheit mit einem besonders heiklen Thema herumschlagen. Der um einen Schmusekurs zu den Gewerkschaften bedachte SPD-Chef Sigmar Gabriel wird von diesen angegangen wie lange nicht mehr. Sie fürchten ein Aus für viele Kohlekraftwerke. Auf dem Tisch des Bundeswirtschaftsministers türmen sich die Protestbriefe. Gabriel will eine Zwangsabgabe bei Betreibern von mehr als 20 Jahre alten Kohlekraftwerken eintreiben, wenn ein bestimmter Kohlendioxid-Ausstoß überschritten wird. Um dadurch zusätzliche 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis 2020 einzusparen (der Gesamtausstoß lag 2014 bei 912 Millionen Tonnen). So soll Angela Merkels Klimaziel von 40 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990 gerettet werden.

„Wir sind es gewohnt, dass sie erst dann dabei ist, wenn sich der Erfolg abzeichnet“, meint SPD-Fraktionsvize Ute Vogt dazu, dass Merkel erst einmal Gabriel den Kohle-Ärger ausbaden lässt. Dieser hatte zwischenzeitlich durchaus gezweifelt, ob die 40 Prozent noch zu schaffen sind. Die Kanzlerin hatte es 2007 in der vorherigen Großen Koalition – mit dem damaligen Umweltminister Gabriel als Adjutanten – quasi zur Staatsräson erhoben. Bisher sind erst 27 Prozent geschafft, mit der Kohleabgabe soll im Jahr der G7-Präsidentschaft Tatkraft bewiesen werden.

Aber Gabriel will nicht die Kohlefreunde und die Wirtschaft zugleich verprellen. Es ist ein schwieriger Spagat, der der SPD am Ende wieder wenig Ehre, aber viel Ärger einbringen könnte. Geht es nach dem Atomausstieg nun auch um einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohlekraft? Gabriel verneint das, die Branche fürchtet aber einen Dominoeffekt. Laut einer Emnid-Umfrage im Auftrag von Greenpeace sind 81 Prozent der Deutschen für einen Kohleausstieg bis spätestens 2040, 35 Prozent fordern dies sogar bis 2030.

Greenpeace nimmt nun besonders auch die Quecksilber-Emissionen von rund 50 Kohlemeilern ins Visier, die laut Umfrage vier von fünf Deutschen unbekannt sind. „Die Bundesregierung darf nicht weiter beide Augen zudrücken, sondern muss sich für schärfere Grenzwerte einsetzen“, so Energieexperte Andree Böhling.

73 Prozent sind demnach für die Nachrüstung mit modernen Filtern, auch wenn dadurch die Strompreise steigen. Quecksilber kann durch die Anreicherung in Flüssen und Meeren etwa beim Fischessen aufgenommen werden und gerade in der Schwangerschaft für Föten gefährlich sein. Vogt mahnt, dass in den USA inzwischen ein Quecksilber-Grenzwert von 1,4 Mikrogramm pro Kubikmeter gelte, in Deutschland hingegen noch von bis zu 30 Mikrogramm. „Wir haben Verantwortung für die nächste und für die übernächste Generation“, betont die SPD-Umweltpolitikerin.

Die Branche sieht für Verschärfungen jedoch keinen Spielraum, denn die Energiewende wälzt den Markt im Rekordtempo um. Durch den Zuwachs an Solar- und Windenergie rechnen sich viele fossile Kraftwerke jetzt schon nicht mehr. So ist sogar das modernste Gaskraftwerk Europas im bayerischen Irsching zur Stilllegung angemeldet worden. Die Betriebsräte der vier führenden Energiekonzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW warnen in einem Brandbrief an Gabriel: „Die Ängste und Sorgen der Belegschaft sind groß.“ Gerade in den Revieren der brandenburgischen Lausitz und im Rheinland. Bei einer Umsetzung müssten einige Kohlekraftwerke sofort stillgelegt werden, „denn Strafabgaben oder die deutliche Reduzierung der Benutzungsstunden überleben diese Anlagen wirtschaftlich einfach nicht“.

Ver.di-Chef Frank Bsirske – auch Vizechef im Aufsichtsrat von RWE – sieht bis zu 100.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Michael Vassiliadis, Chef der Bergbaugewerkschaft IGBCE und mit SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi liiert, warnt sogar vor dem „Kollaps der großen Energieversorger und dem sozialen Blackout ganzer Regionen“. Die Energiebranche fordert statt neuer Abgaben von Gabriel Sonderprämien für fossile Kraftwerke, weil sie rund um die Uhr Strom liefern können, vor allem wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Doch Gabriel lehnt das ab. Aber wenn zu viele Kraftwerke stillgelegt werden, drohen Engpässe, gerade im Winter. Und ohne die Erzeugung billiger Energie aus Braun- und Steinkohlekraftwerken drohen höhere Strompreise. Das Problem ist komplex – Sigmar Gabriel droht ein heißer Frühling.