Athen/brüssel. Berlin hält Kriegsschulden für erledigt. EU blickt gespannt auf Tsipras’ Moskau-Reise

Die Bundesregierung weist die neue Forderung Griechenlands nach 278,7 Milliarden Euro als Wiedergutmachung für NS-Verbrechen zurück. Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte am Dienstag, die Reparationsfrage sei juristisch erledigt. Der SPD-Vorsitzende warnte zugleich, es sei „dumm“, Entschädigungsforderungen mit den laufenden Verhandlungen über Kredithilfen zu vermischen.

Die dreistellige Milliardensumme haben Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank über zwei Jahre ausgerechnet. Umfasst werden Entschädigungen für Kriegsverbrechen und -schäden sowie Ansprüche aus einer Zwangsanleihe, die die Bank von Griechenland 1942 der Deutschen Reichsbank geben musste. Deutschland pocht auf ein Abkommen von 1960, nach dem Athen 115 Millionen Mark ausgezahlt wurden.

Gabriel räumte ein, dass Deutschlands moralische Verantwortung bestehen bleibe. Es dürfe keinen „Schlussstrich“ geben, sagte er – ohne konkret zu werden. Der SPD-Chef sagte außerdem, vor den Opfern der griechischen Bevölkerung in der Schuldenkrise müssten die Deutschen „verdammt viel Respekt“ haben. Griechische Normalbürger büßten dafür, dass ihre Eliten das Land „ausgeplündert“ hätten. Griechenland müsse in der Euro-Zone wieder auf die Beine kommen – „und nicht außerhalb“.

Ohne rasche Hilfen droht Athen schon bald der Staatsbankrott. Die Euro-Partner und der IWF haben Kredite von 7,2 Milliarden Euro auf Eis gelegt, weil viele Reformauflagen nicht erfüllt sind. Die bisherigen Hilfen für Griechenland belaufen sich auf 240 Milliarden Euro, etwa 55 Milliarden Euro entfallen auf Deutschland.

Verteidigungsminister Panos Kammenos warf Deutschland vor, sein Land politisch unterwerfen zu wollen. Berlin wolle „die Nachricht an den Rest Europas schicken“, dass Deutschland in Europa kommandiere, sagte der Chef der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel). Kammenos regiert seit Ende Januar in einer Koalition mit dem Linksbündnis Syriza von Tsipras.

Griechenland wolle keinen Austritt aus der Euro-Zone, sagte er. Sollte es aber zum Bruch kommen, werde Athen Abkommen mit „wem es auch kann“ schließen – etwa den USA, Russland, China, Indien und anderen Ländern. Die Regierung in Athen habe sich deswegen auf der ganzen Welt umgehört. Er warnte, bei einem „Grexit“ müssten die Geldgeber „gleich 320 Milliarden Euro an griechischen Schulden abschreiben“ – dies ist die Gesamtsumme des über Jahrzehnte aufgehäuften griechischen Schuldenbergs.

Auf die Frage zu Reparationsforderungen Athens an Deutschland heben EU-Verantwortliche in Brüssel nur bedeutungsvoll die Hände. Das sei eine zweiseitige Angelegenheit zwischen beiden Hauptstädten, die Europäische Union habe daran keinen Anteil. Klar sei aber, dass der Streit die ohnehin schwierigen Verhandlungen zur Freigabe von Rettungshilfen zusätzlich belaste. Für mehr Unruhe sorgt der Besuch des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras in Moskau. Es wird befürchtet, dass Kremlchef Wladimir Putin probieren könnte, den Club der 28 EU-Staaten zu spalten – wieder einmal. Wenig wahrscheinlich ist aber, dass der russische Präsident seinem Besucher am heutigen Mittwoch einen dicken Scheck zur Linderung der Schuldenkrise ausstellt.

Es gibt allerdings genug andere Reizthemen, bei denen der Chef des energiereichen Russlands die europäische Solidarität auf die Probe stellen könnte. Tsipras könnte versuchen, im Kreml einen niedrigeren Gaspreis auszuhandeln, so wird spekuliert. Als Gegenleistung sei möglicherweise die Unterstützung eines neuen russischen Pipeline-Vorhabens durch das Schwarze Meer fällig.

Die blockierten europäischen Agrarexporte nach Russland sind ebenfalls ein heißes Eisen. Athen will gern wie früher Obst und Gemüse in das riesige Land ausführen. Die EU-Kommission weist mit deutlichen Worten schon einmal darauf hin, nur sie halte in der europäischen Handelspolitik das Heft in der Hand. „Wir erwarten, dass alle Mitgliedstaaten mit einer Stimme zu unseren Handelspartnern sprechen, inklusive Russland“, unterstreicht ein Behördensprecher.

In den europäischen Institutionen werden vehement Vermutungen zurückgewiesen, wonach Tsipras ein Wackelkandidat sei, der sich im Kampf ums politische Überleben notfalls Moskau zuwende. „Wenn man sich die konkreten Beschlüsse im europäisch-russischen Verhältnis ansieht, haben die Griechen alle Entscheidungen mitgetragen“, bilanziert der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer. Er spielt damit auf den EU-Gipfel-Beschluss von Ende März an, wonach die europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau voraussichtlich bis Ende des Jahres verlängert werden. Athen zog damals ohne Protest mit.