Berlin/Karlsruhe. Bundesverfassungsgericht kippt Gesetzesregelung für Lehrerinnen in acht Bundesländern. Hamburg gehört nicht dazu

Es ist eine überraschende Wende im jahrelangen Streit um das Kopftuch im Klassenzimmer. Das Bundesverfassungsgericht hat das grundsätzliche Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen am Freitag gekippt. Nur wenn es zu erheblichem Zwist an einer Schule führt – also den Schulfrieden akut gefährdet –, sollen Ausnahmen möglich sein. Antworten auf die wichtigsten Fragen nach dem Urteil.

Wie viele muslimische Frauen inDeutschland tragen Kopftuch?

In der Bundesrepublik leben etwa vier Millionen Muslime. Die meisten stammen aus der Türkei. Laut einer Studie im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz tragen nur etwa 30 Prozent der muslimischen Frauen Kopftuch – ein Teil davon auch nur manchmal. 70 Prozent der Musliminnen tragen nie ein Kopftuch. In der jüngeren Generation ist das Kopftuch etwas weniger verbreitet als in der älteren. Zahlen, wie viele muslimische Lehrerinnen – dort, wo dies schon bislang erlaubt war – ihre Haare bedecken, gibt es nicht. Es dürfte sich nur um wenige Fälle handeln.

Haben Schüler etwas gegen Lehrerinnen mit Kopftuch?

Einer aktuellen Untersuchung (siehe links) zufolge hat die Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nichts dagegen. Eine der Studienautorinnen, die Berliner Forscherin Naika Foroutan, räumt jedoch ein, die Zahl der verbleibenden Kopftuchgegner sei nicht gering. „Die reichen, um den Schulfrieden zu stören“, sagt Foroutan.

Wo gelten Kopftuchverbote, und was ändert sich nun?

Kopftuchverbote für Lehrerinnen gelten in acht der 16 Bundesländer: Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen sowie Bremen, Berlin und Saarland. Zum Teil werden auch andere Beamte zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet – etwa Polizisten und Justizbeamte. Ausgenommen vom Verbot ist oft die Darstellung christlich-abendländischer Kulturwerte. Die meisten Gesetze müssen nun wahrscheinlich überarbeitet werden, weil Pauschalverbote nach dem Urteil aus Karlsruhe die grundgesetzlich verbriefte Glaubensfreiheit der Lehrerinnen verletzt.

Was muss Hamburg jetzt tun?

Nichts. Die Stadt sieht sich durch das Urteil des Verfassungsgerichts in seinem Verzicht auf eine gesetzliche Regelung bestätigt. „Die Entscheidung bestätigt unsere grundsätzliche Einschätzung, dass solche Regelungen besser durch kluges Handeln ersetzt werden sollten“, sagte Schulsenator Ties Rabe.

Wie sind die Arbeitsmarktchancen für Frauen mit Kopftuch?

Kritiker beklagen, ein Kopftuchverbot sei faktisch ein Berufsverbot für muslimische Lehrerinnen. Vertreter muslimischer Verbände erklären, viele Frauen entschieden sich gegen ein Lehramtsstudium, weil sie im Schuldienst kein Kopftuch tragen dürften. Auf die Privatwirtschaft haben die gesetzlichen Regelungen keinen direkten Einfluss. Experten meinen jedoch, ein Kopftuchverbot im Schuldienst könne auch zu einer Benachteiligung anderswo auf dem Arbeitsmarkt führen. Das beklagt auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Viele private Arbeitgeber wissen nicht, dass ihre Beschäftigten ein Kopftuch tragen dürfen – und meinen, dies verbieten zu können“, sagt deren Chefin, Christine Lüders. Studien zeigen, dass Frauen mit Kopftuch es schwerer haben auf dem Arbeitsmarkt.

Wie ist die Rechtslage in der Türkei?

Die islamisch-konservative Regierung in der Türkei hat das einst strenge Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt. Seit 2010 können Studentinnen an Universitäten Kopftücher tragen. 2013 fiel das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst weitestgehend. Seit 2014 ist es Schulmädchen ab der fünften Klasse erlaubt, ein Kopftuch zu tragen.