London.

Pures Entsetzen hat die britische Gesellschaft gepackt angesichts sich häufender Vorfälle von Sexualverbrechen an Minderjährigen. Premierminister David Cameron sprach von einer „nationalen Bedrohung“, nachdem er sich mit Opfern des im nordenglischen Rotherham begangenem jahrelangen Kindesmissbrauchs getroffen hatte. Die „absoluten Horror-Geschichten“, die ihm zwei der inzwischen erwachsenen Frauen berichteten, würden „auf immer in meiner Erinnerung bleiben“. Die Schändungen an Kindern hätten inzwischen „indus­trielle Dimensionen“ angenommen.

Gleichzeitig gab Cameron bekannt, er strebe ein Gesetz an: Danach müsse jeder, der wissentlich seine Aufsichtspflicht vernachlässige, ob bei der Polizei oder den sozialen Diensten, mit Gefängnis von bis zu fünf Jahren rechnen.

Camerons Deklaration einer „nationalen Bedrohung“ fiel zusammen mit einem neuen erschütternden Bericht über Kindesmissbrauch, diesmal aus der Grafschaft Oxfordshire; dort befindet sich unter anderem der Wahlkreis des Premierministers. Die Autoren einer Kommission zum Kinderschutz hatten ermittelt, dass über die vergangenen 16 Jahre hinweg an die 400 minderjährige Mädchen organisierten Banden mit meist pakistanischem Einwanderungshintergrund zum Opfer gefallen waren. Die Kinder, in der Regel aus labilen sozialen Milieus, wurden gezielt von den Tätern zu Freundschaften angelockt (das so genannte „grooming“), die in Brutalität endeten: Gruppenvergewaltigungen, Drogenzwang und „Verkauf“ an anderen Banden waren an der Tagesordnung. Wie schon in Fall Rotherham hebt auch der Bericht aus Oxfordshire hervor, dass die Sozialdienste und polizeilichen Instanzen nur weghörten, wenn Kinder sich meldeten. „Ich ging zu einer Polizeistation so gegen zwei, drei Uhr morgens,“ sagte eine Dreizehnjährige. Sie berichtete den Beamten von ihren schweren Verletzungen im Genitalbereich. „Man schickte mich einfach weg, bezeichnetet mich als ‚unartig‘ und ‚ein Ärgernis‘.

Auslöser dieses neuen Reports war die Verurteilung von sieben Männern vor zwei Jahren, einige von ihnen zu lebenslanger Haft. Sie begingen als Bande bis über die Grenzen der Grafschaft hinaus Straftaten. Fünf der Verurteilten stammten aus Pakistan, zwei aus Ostafrika. Wie in Rotherham verteidigten sie ihre Taten mit der unfassbaren Aussage, dass die betroffenen Mädchen einfach nur Fleisch und der Missbrauch das sei, wofür sie überhaupt existierten. Die Autoren der neuerlichen Erhebung gehen aber nicht davon aus, dass wie in Rotherham politische Korrektheit der Grund dafür war, dass die Verbrechen so lang unentdeckt blieben. Während in Nordengland die Verantwortlichen wegschauten, weil sie befürchteten, die Enttarnung der pakistanischen Hintergründe könnte man der Stadtverwaltung als „Rassismus“ und „Islamophobie“ auslegen, handelte man in Oxfordshire aus schierer Bequemlichkeit und „teilnahmsloser Ignoranz“, wie es ein Leitartikel der „Times“ nennt: aus einer Kultur eingefleischten Leugnens.

Seine Nase nicht in die Belange anderer stecken – diese oft gerühmte britische Zurückhaltung wird dann zu einem Problem, wenn auch Leute, deren Beruf es ist, ihre Nase in die Belange verwundbarer junger Menschen zu stecken, dies unterlassen.