Die Spähaktionen der NSA sind nach Ansicht eines führenden Politikers im US-Kongress kein Grund zur Empörung. Unterdessen drängen SPD, Linke und Grüne auf einen Untersuchungsausschuss.

Berlin. Ein führender Republikaner im US-Kongress hat den Europäern im Streit um die Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA Undankbarkeit vorgeworfen. Sie hätten demnach keinen Grund für ihre Empörung über das mutmaßliche Ausspionieren von Spitzenpolitikern und Bürgern. Freunde und Verbündete müssten eher dankbar für die NSA-Spähprogramme sein, denn diese machten nicht die USA, sondern auch ihre eigenen Länder sicherer, meinte der Vorsitzende des Geheimdienst-Ausschusses des Abgeordnetenhauses, Mike Rogers, am Sonntag in einem CNN-Interview.

„Ich glaube, dass es die größere Nachricht wäre, wenn die US-Geheimdienste nicht versuchen würden, Informationen zu sammeln, die US-Interessen daheim und in Übersee schützen“, sagte Rogers weiter. Berichte über eine NSA-Massenspähaktion in Frankreich nannte er falsch. „Wenn die französischen Bürger wüssten, worum es ging, dann würden sie applaudieren und Champagnerkorken knallen lassen. Es ist eine gute Sache. Es hält die Franzosen sicher. Es hält die USA sicher. Es hält unsere europäischen Verbündeten sicher.“

Der US-Geheimdienst NSA hat unterdessen Medienberichte dementiert, wonach US-Präsident Barack Obama persönlich über die angebliche Ausspähung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) informiert gewesen sein soll. NSA-Chef Keith Alexander habe im Jahr 2010 nicht mit Obama „über eine angebliche Geheimdienstoperation Kanzlerin Merkel betreffend diskutiert“, erklärte eine NSA-Sprecherin am Sonntag. Überhaupt habe Alexander „niemals“ über eine solche Operation gesprochen, anderslautende Presseinformationen seien „nicht richtig“.

Die Zeitung „Bild am Sonntag“ berichtete zuvor unter Berufung auf einen ranghohen NSA-Mitarbeiter, Obama sei 2010 persönlich von Alexander über die Spähaktion informiert worden und habe sie trotzdem „weiter laufen lassen“. Die NSA habe neben dem Parteihandy der CDU-Chefin auch ein angeblich abhörsicheres Mobiltelefon angezapft, das Merkel erst im Sommer erhalten habe. Dies spräche dafür, dass der Lauschangriff bis in die jüngste Vergangenheit andauerte. Dem Bericht zufolge fingen die NSA-Spezialisten den Inhalt von Merkels SMS-Nachrichten und ihre Telefongespräche ab. Schon 2002 stand Merkels Handy laut „Spiegel“ auf der Abhörliste der US-Späher. Doch deutschen Geheimdiensten blieb das offensichtlich verborgen.

Union stellt sich gegen Untersuchungsausschuss

Führende Vertreter der drei Parteien sprachen sich für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Bundestages aus. Ein solches Gremium sei „unvermeidlich“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann der „Bild am Sonntag“. „Nur Aufklärung kann das schwer gestörte Vertrauen in den Schutz der Privatsphäre wiederherstellen.“

Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach sich gegen einen Untersuchungsausschuss aus. „Nur ein geheim tagendes Gremium kann sich diesen Fragen wirklich intensiv widmen“, sagte der CDU-Politiker der „Welt am Sonntag“. Das für die Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium werde sich der Sache „mit der gebotenen Intensität noch einmal annehmen“.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte die rückhaltlose Aufklärung des Späh-Skandals, „notfalls auch mit dem schärfsten Mittel des Parlaments, einem Untersuchungsausschuss“. Dieser sei „umso unausweichlicher, je mehr die Bundesregierung sich gegen eine seriöse Aufklärung sperrt“.

Deutsche Abordnung reist zu Gesprächen in die USA

Die Bundesregierung bemüht sich unterdessen um Aufklärung. Eine hochrangige Abordnung soll nach Washington reisen, um sich mit Vertretern des Weißen Hauses und des US-Geheimdienstes NSA zu treffen. Der Abordnung gehören der Geheimdienst- koordinator des Kanzleramts sowie die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz an.

Generalbundesanwalt Harald Range sieht derzeit keine Möglichkeit, den NSA-Enthüller Edward Snowden als Zeugen zu vernehmen. „Wir können keine Zeugen vernehmen in diesem Stadium des Verfahrens, wo wir noch kein Ermittlungsverfahren haben. Wir können uns nur Auskünfte einholen, und das tun wir“, sagte Range in Karlsruhe. Die jüngsten Enthüllungen beruhen auf Dokumenten, die der ehemalige amerikanische Geheimdienstmitarbeiter Snowden bekannt gemacht hatte.

Nach Informationen der „Bild am Sonntag“ hatte die NSA auch Merkels Vorgänger Gerhard Schröder schon im Visier. Gestartet worden sei das Spähprogramm unter Präsident Bush – nach dem Nein der Bundesregierung zu einer Beteiligung am Irak-Krieg im Jahr 2002.

Der amtierende Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erinnerte daran, dass auf deutschem Boden für jeden deutsches Recht gelte: „Für Deutsche und Ausländer, für Bürger und Unternehmen ebenso wie für Diplomaten und Botschaften.“ Abhören unter Freunden und Partnern gehöre sich nicht und sei – wie sich derzeit zeige – politisch höchst schädlich. „Ich hoffe sehr, dass diese Einsicht auch in Washington geteilt wird.“

US-Bürger demonstrieren gegen NSA-Spionage

Nach der weltweiten Empörung über die Überwachungspraktiken des US-Geheimdienstes NSA wächst nun auch der Widerstand in den USA: Unter dem Motto „Stop watching us“ forderten tausende Demonstranten am Sonnabend in Washington schärfere Kontrollen sowie eine umfassende Aufklärung über den Umfang der NSA-Spähprogramme. Eine entsprechende Petition, für die die Organisatoren im Internet mehr als 575.000 Unterschriften gesammelt hatten, wurden dem US-Kongress übergeben.

Zu der Kundgebung hatten Dutzende Bürgerrechtsbewegungen aufgerufen. Sie fand genau zwölf Jahre nach Verabschiedung des Patriot Act statt; als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September hatte das Gesetz damals die Überwachungsmöglichkeiten der Geheimdienste massiv ausgedehnt. An der Demo nahmen nach Angaben der Organisatoren rund 4500 Menschen teil. Auf Spruchbändern verlangten sie ein „Ende der amerikanischen Spionage“ und der „Lügen“ der Behörden.

„Nicht nur wir Amerikaner sind in dem Netz gefangen. Wir müssen auch im Namen der restlichen Welt Widerstand leisten“, sagte einer der Mitorganisatoren der Kundgebung, Craig Aaron. Das sei keine Frage von „Rechts oder Links, sondern von richtig und falsch“.