Ihre Betriebsrenten sollen nicht steigen, weil die Ruhegehaltskasse klamm sein soll. Jetzt zerren Rentner die eigene Gewerkschaft vor den Kadi.

Hamburg. Es ist ein beispielloser Vorgang: 50 ehemalige Mitarbeiter von Ver.di haben die Dienstleistungsgewerkschaft und ihre Ruhegehaltskasse verklagt. Das Hamburger Arbeitsgericht muss entscheiden, ob die Kasse den Rentnern die Betriebsrenten wie ursprünglich vereinbart erhöhen muss. Sowohl Ver.di als auch die Kasse weigern sich, mehr zu zahlen.

Der ehemalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende Heino Rahmstorf sagte dem Abendblatt: „Als überzeugter Gewerkschafter bin ich erschüttert, wie Ver.di versucht, das Gesetz auszuhebeln, und rücksichtslos gegen die ehemaligen Mitarbeiter vorgeht. Einem gewöhnlichen Arbeitgeber würde man so etwas nicht durchgehen lassen.“

Ver.di begründet den Schritt damit, dass das Geld fehle, um die Betriebsrenten zu erhöhen. Die Gewerkschaft teilte dem Abendblatt mit: „Die Rechtslage ist absolut eindeutig. Denn eine Pflicht zur Anpassung der Renten besteht nur dann, wenn der Arbeitgeber dies aus seinen Erträgen finanzieren kann. Das ist aber nicht der Fall.“ Für Ver.di habe „der Erhalt der gewerkschaftlichen Handlungsfähigkeit“ Vorrang.

Kläger Rahmstorf will dies nicht gelten lassen. Die Rentner fürchten um den Ertrag ihrer jahrelangen Einzahlungen – sie erhielten nicht einmal einen Inflationsausgleich.

Die Renten für 20 Millionen Rentner und die Beiträge von Millionen Beschäftigten und Unternehmen sind für den Frieden in Deutschland offenbar so wichtig, dass sich auch die Kirche eingeschaltet hat. So sagte der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick bei einer Senioren-Wallfahrt: „Der Berufseinsatz ist mit 65 oder 67 Jahren zu Ende, ohne die individuellen Möglichkeiten der Einzelnen zu sehen. Wir brauchen hier größere Flexibilität in den Köpfen, aber auch in den Handhabungen für flexible Verrentung, flexiblere Arbeitszeiten und Umschulung auch im Alter.“ Wie das alles finanziert werden könnte, sagte Schick nicht.

Am Ende geht es für den Einzelnen nur um wenige Euro, in der Summe aber um Milliarden, die Zukunft der Rente und den Bundestagswahlkampf. So könnte wegen der anhaltend guten Beschäftigung im kommenden Jahr schon wieder der Rentenbeitrag gesenkt werden: von derzeit 18,9 Prozent vom Monatsbrutto auf voraussichtlich 18,6 Prozent. Wer 3000 Euro verdient, hätte dann am Monatsende 4,50 Euro mehr auf dem Gehaltszettel. Die prall gefüllte Rentenkasse gäbe das her.

Das bestätigte auch die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung, Annelie Buntenbach. Sie ist als DGB-Vize im Wechsel mit dem Arbeitgebervertreter „Chefin“ der Rentenversicherung, der ansonsten Präsident Herbert Rische vorsteht. Buntenbach sagte, wegen des Überschusses von 5,1 Milliarden Euro aus dem Jahr 2012 sei die Nachhaltigkeitsrücklage auf 29,5 Milliarden Euro angestiegen. Das sei das 1,7-Fache einer Monatsausgabe. Steigt diese Reserve auf das 1,5-Fache, muss der Rentenbeitrag gesenkt werden.

Doch Buntenbach warnte: Bei einer weiteren Absenkung schmelze auch die Rücklage schneller als erwartet. Und wolle die Bundesregierung, wie es die Union und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) planen, die neue Mütterrente aus der Rentenkasse finanzieren, bleibe von der Reserve nur wenig übrig. Üblicherweise werden Kindererziehungszeiten und andere „fremde“ Leistungen aus Steuern bezahlt.

Auch der Bundesverband der Rentenberater kritisiert: „So eine Ankündigung 90 Tage vor der Wahl, das ist doch Bauernfängerei. Die Regierung sollte endlich einen vernünftigen Plan für die Verwendung der Überschüsse vorlegen“, sagte Präsident Martin Reißig. Der Verband forderte anstelle einer Beitragskürzung höhere Renten.

Der CDU-Wirtschaftsflügel, die FDP und die Arbeitgeber favorisieren eine Absenkung der Rentenbeiträge. So ließen sich die Lohnkosten im Zaum halten. Erst dadurch werde die gute Konjunktur verstetigt. Klaus Wiesehügel aus dem Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warf der Regierungskoalition vor, die Rücklagen der Rentenkasse zu „verpulvern“. Für kurzfristige Wahlgeschenke gefährde die Koalition die Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung. „Am Ende zahlen Beitragszahler und künftige Rentner die Zeche.“

Die Rentendebatte wird immer heftiger, weil auch die private Altersvorsorge in der Kritik steht. So müssen sich Anbieter von Riester-Renten und Lebensversicherungen dafür rechtfertigen, dass ihre Policen oft nicht hergeben, was sich die Kunden davon versprochen haben. Die Renditen sind in der Finanzkrise gesunken.

Umso dramatischer ist die Klagewelle, die Ver.di und die Ruhegehaltskasse der früheren Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) erfasst hat. Mehr als 50 ehemalige Mitarbeiter haben Ver.di und die Stiftung verklagt, die ihre Betriebsrenten auszahlt. Unter ihnen sind auch frühere Spitzenfunktionäre. Einige erhalten mehrere Hundert Euro Betriebsrente im Monat, andere noch mehr. „Wir haben jahrzehntelang eingezahlt“, schimpft Kläger Heino Rahmstorf. Ver.di habe kein Recht, die zugesagte Erhöhung und den Inflationsausgleich zu verweigern.

Das sieht die Gewerkschaft anders. „Denn eine Pflicht zur Anpassung der Renten besteht nur dann, wenn der Arbeitgeber dies aus seinen Erträgen finanzieren kann.“ Die Gewerkschaft sieht sich finanziell bedroht. Ver.di laufen die Mitglieder weg. Gut zwei Millionen sind es heute, 2,8 Millionen waren es 2001. Und die Kosten für die Betriebsrentner betragen heute 13,5 Prozent des Ver.di-Etats. In zehn Jahren wird jeder vierte Ver.di-Euro in die Betriebsrenten fließen.

Allerdings, und das empört die Kläger, wird ihre Betriebsrente aus dem angesparten Vermögen der alten DAG gespeist, die wie die ÖTV oder die Postgewerkschaft im Jahr 2001 in Ver.di aufging. Rahmstorf sagte, das Kapital der Stiftung belaufe sich auf über 120 Millionen Euro. Die Rendite betrage zehn Prozent, deutlich mehr als bei vielen anderen Lebensversicherern oder Versorgungswerken. „Und Ver.di spart sogar dadurch, dass unsere Ruhegehaltskasse kapitalfinanziert ist.“ Die Gewerkschaft manipuliere die vereinbarte Betriebsrente. „Ich habe ein solch unqualifiziertes Auftreten in meiner langjährigen Tätigkeit bei Betriebsvereinbarungen noch nicht erlebt.“ Zudem beschäftigten die Beklagten Anwaltskanzleien für sechsstellige Honorare, obwohl es bei Ver.di doch ausreichend Fachjuristen gebe.

Nun müssen die Hamburger Arbeitsrichter in diesem Konflikt entscheiden. Doch der spektakuläre Fall wird sicher vor dem Bundesarbeitsgericht landen. Ver.di wird kaum nachgeben. Auch die früheren Gewerkschafter werden nicht zurückstecken. Sie haben sich bei ihrer Ruhestandsplanung auf das Geld verlassen.