Vor zehn Monaten verändert ein Militärputsch im westafrikanischen Mali alles. Islamisten nutzen das Machtvakuum, das Land stürzt ins Chaos.

Paris/Bamako/Addis Abeba/Berlin. Wegen der erbitterten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen in Mali hat das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für das Land ausgesprochen und Bundesbürgern dringend die Ausreise empfohlen. „Alle Deutschen, deren Aufenthalt in Mali nicht unbedingt erforderlich ist, sollten das Land mit den noch bestehenden kommerziellen Möglichkeiten verlassen“, teilte die Behörde am Freitag mit. Die Nordosthälfte des Landes sei „jeder staatlichen Kontrolle entzogen“, deshalb bestehe „für Ausländer ein besonders hohes Risiko, Opfer von Entführungen oder anderer Gewaltverbrechen zu werden“.

Frankreich unterstützt Mali mit Soldaten im Kampf gegen die islamistischen Rebellen. Der französische Staatspräsident François Hollande gab am Freitagabend in Paris bekannt, dass die Einheiten bereits am Nachmittag in dem westafrikanischen Krisenland eintrafen. Die Operation werde so lang dauern wie notwendig, sagte Hollande. Der Einsatz sei am Morgen mit dem malischen Interimspräsidenten Dioncounda Traoré vereinbart worden. Traoré hatte zuvor in einem Brief an Hollande und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon um Hilfe gebeten. Das französische Parlament soll sich am Montag mit dem Thema befassen.

„Frankreich wird bereit sein, die Offensive der Terroristen zu stoppen, falls sie weitergehen sollte“, hatte Hollande bereits zuvor in Paris betont. Dabei werde sein Land „streng im Rahmen der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen handeln“, versicherte er am Freitag. Alle Franzosen wurden aufgefordert, Mali zu verlassen, sofern ihre Anwesenheit nicht unabdingbar sei.

Auch die Regierung in Mali bestätigte die militärische Unterstützung aus dem Ausland. Truppen aus Frankreich, Nigeria und dem Senegal seien gemeinsam mit Soldaten der Regierung im Einsatz, um die islamistischen Rebellen zu bekämpfen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in der Hauptstadt Bamako. Oberst Abdramane Baby erklärte, die Soldaten seien bereits am Donnerstag in der Stadt Mopti im Zentrum des Krisenlandes angekommen. Um wieviele Soldaten es sich handele, ließ er offen. Extremisten versuchen seit Tagen, weiter nach Süden vorzudringen und die strategisch wichtige Stadt Mopti zu erobern.

Angesichts des Vormarsches der islamistischen Rebellen hatte der UN-Sicherheitsrat in New York am Donnerstag die schnelle Entsendung einer afrikanisch geführten Militärmission gefordert. Noch am Freitagabend wollte sich Traoré in einer Ansprache an sein Volk wenden, wie der malische Botschafter in Paris mitteilte.

Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) bereitet sich derzeit auf die Entsendung einer 3.500 Mann starken Truppe nach Mali vor. Wann der Einsatz beginnen kann, für den der Sicherheitsrat Ende des Jahres grünes Licht gegeben hatte, ist aber noch unklar.

Die Europäische Union plant derzeit keinen Kampfeinsatz unter EU-Flagge in Mali. Man wolle aber etwa 200 Militärberater entsenden, die malische Soldaten auf den Kampf gegen Rebellen vorbereiten sollen, sagten Diplomaten in Brüssel. Es sei jedoch nicht daran gedacht, diesen Einsatz in irgendeiner Weise auszuweiten. Mali habe bei der EU auch nicht wie in Paris um Hilfe gebeten.

Die Europäische Union will die Militärausbilder allerdings rascher als bisher geplant nach Mali schicken. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teilte am Freitag in Brüssel mit, die EU werde die Vorbereitungen für die Entsendung der Ausbilder „beschleunigen“. Bisher war geplant, die Ausbilder innerhalb der ersten drei Monate dieses Jahres nach Mali zu schicken.

Deutschland schließt einen Kampfeinsatz der Bundeswehr in dem westafrikanischen Krisenstaat derzeit aus. Außenminister Guido Westerwelle rief in Berlin dazu auf, die politischen Bemühungen für ein Ende der Krise nochmals zu verstärken. „Eine allein militärische Lösung wird es nicht geben.“

Das Verteidigungsministerium widersprach einem Bericht der Zeitung „Le Figaro“, wonach sich bereits deutsche Soldaten in Mali aufhalten. Nach Angaben aus Regierungskreisen könnte es sich dabei allenfalls um Deutsch sprechende Angehörige der Fremdenlegion handeln. Der „Figaro“ hatte berichtet, deutsche und französische Truppen seien in der Nähe der Stadt Mopti eingetroffen, die im Zentrum Malis liegt.

Der Norden des westafrikanischen Landes wird seit Monaten von Islamisten beherrscht. Sie versuchen derzeit, weiter nach Süden vorzudringen. Befürchtet wird, dass sich Mali zu einer Hochburg des internationalen Terrorismus entwickeln könnte.

Die Kämpfe rund um den Ort Kona in Zentral-Mali dauerten am Freitag an. Am Morgen habe es neue Gefechte gegeben, sagte ein Anwohner der Nachrichtenagentur dpa am Telefon. Der Ort war die letzte Kontrollstelle in der Region, die noch in der Hand der Armee war. Die Extremisten wollen offenbar die strategisch günstig gelegene Stadt Mopti erobern, die nur wenige Kilometer von Kona entfernt liegt.

Malis Weg von der Vorzeigedemokratie ins Chaos

Mali galt lange als einer der wenigen demokratischen Musterstaaten Afrikas. Von 1992 bis 2012 gab es ein Mehrparteiensystem mit friedlichen Machtwechseln nach Wahlen. Andererseits kämpften die meisten Menschen in dem bitterarmen Sahel-Land ums tägliche Überleben. Die durchschnittliche Lebenserwartung der knapp 16 Millionen Einwohner liegt bei 53 Jahren. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung sind Analphabeten.

Mit 1,2 Millionen Quadratkilometern ist Mali mehr als dreimal so groß wie Deutschland. Das Land verfügt über zahlreiche Bodenschätze und ist einer der wichtigsten Baumwollproduzenten Afrikas. Dürreperioden haben der Landwirtschaft nachhaltig geschadet. 60 Prozent Malis sind von Wüste bedeckt.

Die 300.000 bis 400.000 Tuareg im Norden lehnten sich wiederholt gegen die Zentralregierung auf und verlangten einen eigenen Staat. Auch der ehemalige libysche Diktator Muammar al-Gaddafi rekrutierte kämpferische Tuareg für seine Streitkräfte. Nach Gaddafis Sturz kehrten viele zurück und schlossen sich Aufständischen im Norden Malis an.

Nach einem Militärputsch gegen die Regierung von Präsident Amadou Toumani Touré am 22. März 2012 eroberten die Tuarag der Nationalbewegung MNLA gemeinsam mit mehreren Islamistengruppen wie der Ansar Dine und der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) den Norden Malis. Im April riefen sie dort die unabhängige Islamische Republik Azawad aus. In Timbuktu, wo Moscheen, Mausoleen und Friedhöfe zum Weltkulturerbe gehören, ließen die Islamisten mehrere historische Heiligtümer zerstören.

Nach ihrem Sieg überwarfen sich Tuareg und Islamistengruppen. Es gab blutige Gefechte. Die Regierung Malis hofft daher auf eine Einigung mit einem Teil der Rebellen und verhandelte mit den Tuareg und Ansar Dine – bisher erfolglos – über eine politische Lösung. Dabei blieb es auch in Südmali unruhig. Am 11. Dezember zwang das Militär Regierungschef Cheick Modibo Diarra zum Rücktritt. Interimspräsident Dioncounda Traoré bestimmte Django Sissoko zum neuen Ministerpräsidenten.

Westlichen Geheimdiensten zufolge haben die Islamisten jetzt 6.000 Kämpfer in Nordmali, darunter Tausende Dschihadisten aus Ägypten, dem Sudan und anderen Staaten. Dazu kämen bis zu 15.000 Bewaffnete ohne Ausbildung in Timbuktu und Gao.

Die westafrikanische Eingreiftruppe soll über 3.500 Mann umfassen. Die EU will 200 Militärausbilder nach Bamako schicken. Sie sollen die Truppen Malis in die Lage versetzen, bei der Rückeroberung des Nordens effizient zu helfen. Deutschland schließt einen Bundeswehreinsatz in dem westafrikanischen Krisenstaat derzeit aus.

Seit der Machtübernahme der Extremisten im Norden flohen Hunderttausende aus dem Gebiet und leben als Binnenvertriebene oder als Flüchtlinge in Nachbarstaaten wie Mauretanien, Niger und Burkina Faso. Dem UN-Büro für Nothilfekoordinierung (OCHA) zufolge leiden inzwischen 4,6 Millionen Menschen an Nahrungsmittelunsicherheit. Rund 175.000 Kinder sind von schwerer Mangelernährung bedroht.