Kristina Schröder wollte mit dem Gesetz Menschen die Chance geben, Beruf und Pflege eines Angehörigen besser miteinander zu vereinbaren.

Bonn. Die zum Jahresbeginn eingeführte Pflegezeit für Familien wird bisher kaum genutzt. Weniger als 200 Männer und Frauen hätten 2012 eine Pflege-Auszeit genommen, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ (Freitag) und beruft sich dabei auf eine vorläufige Statistik des Bundesfamilienministeriums. Ministerin Kristina Schröder (CDU) wollte mit dem Gesetz Menschen die Chance geben, Beruf und Pflege eines Angehörigen besser miteinander zu vereinbaren. In Deutschland werden mehr als 1,6 Millionen Menschen von Angehörigen und ambulanten Diensten zu Hause gepflegt.

Das Gesetz zur Familienpflegezeit trat Anfang 2012 in Kraft und sieht vor, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit für höchstens zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden pro Woche verringern können, um nahe Angehörige zu pflegen. Wird zum Beispiel die Arbeitszeit in der Pflegephase von 100 auf 50 Prozent reduziert, erhalten die Beschäftigten weiterhin 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen sie später wieder voll arbeiten, bekommen aber weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts – so lange, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist.

Für die Aufstockung erhalten die Firmen über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben einen zinslosen Kredit von der staatlichen Förderbank KfW. Nötig ist außerdem eine Ausfallversicherung – wegen des Risikos, dass ein Beschäftigter den Vorschuss nicht selbst abarbeiten kann, etwa weil er früh stirbt. Beim zuständigen Bundesamt seien erst 135 Anträge auf Familienpflegezeit eingegangen.

„Große gesellschaftliche Vorhaben brauchen Anlaufzeit“, zitiert die Zeitung einen Ministeriumssprecher. Die Altersteilzeit etwa sei sehr ähnlich organisiert gewesen und hätte nach zehn Jahren 100.000 Teilnehmer gehabt. Wichtig sei die Unterstützung von Gewerkschaften und Betriebsräten, „damit aus der Möglichkeit zunehmend die Regel wird“.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte Schröders Projekt scharf. „Die Zahlen belegen, dass das Gesetz nicht notwendig ist“, sagte ein Sprecher gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Arbeitgeber und Arbeitnehmer könnten, je nach Einzelfall und Betrieb, selbst für Pflegezeiten etwas vereinbaren.

Die stellvertretende DGB-Chefin Ingrid Sehrbrock sprach von „überkomplexen Regelungen“. Weil Schröder keinen Rechtsanspruch durchgesetzt habe, fehlten dem Gesetz „die soziale Prägekraft“ und der „soziale Mindeststandard“. Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung bezeichnete die geringe Resonanz als verheerende Quittung für ein Schaufenstergesetz. Ohne gesetzlichen Anspruch sei die Pflegezeit eine Luftbuchung, sagte ihr Vorstand Eugen Brysch. „Leidtragende sind die Menschen, die oft über körperlichen und seelischen Grenzen hinaus, ihre Angehörigen pflegen.“