Obama muss Schlüsselpositionen neu besetzen - Präsident steht unter Zeitdruck - „Es geht um Krieg und Frieden”

Washington. Die Petraeus-Affäre bringt US-Präsident Barack Obama nur eine Woche nach der Wiederwahl immer stärker in Bedrängnis: Sie wirbelt die Elite seiner Sicherheitsexperten durcheinander, erschwert die Aufstellung einer Kabinettsliste und könnte dank unerwarteter Personalwechsel Konsequenzen für den Krieg in Afghanistan, den Kampf gegen Al-Kaida und die Bemühungen haben, den Iran vom Bau einer Atombombe abzuhalten. Schon vor dem Abgang von CIA-Chef David Petraeus wegen einer Liebesaffäre musste Obama Schlüsselstellen seines Sicherheitsteams neu besetzen, dies könnte nun deutlich schwieriger werden. Um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen, wird Obama möglicherweise die Neubesetzung der Posten beschleunigen und damit für Überraschungen und einen Politikwechsel sorgen.

Frei wird unter anderem der Außenministerposten von Hillary Clinton. Als Kandidaten für ihre Nachfolge gelten Senator John Kerry aus Massachusetts, UN-Botschafterin Susan Rice sowie der Nationale Sicherheitsberater Tom Donilon. Auch über einen Abgang von Verteidigungsminister Leon Panetta wird weiter spekuliert, seine Nachfolge könnten Kerry, Panettas Stellvertreter Ashton Carter oder seine ehemalige Chefstrategin Michele Flournoy antreten. Das Amt des CIA-Chefs wiederum könnte an den amtierenden Direktor Michael Morell oder John Brennan gehen, Obamas Berater für die Terrorabwehr. Zudem liegt wegen der Affäre die Nominierung von ISAF-Kommandeur John Allen zum Nato-Oberbefehlshaber in Europa auf Eis. Sollte Allen ausfallen, könnte dies weitere Schockwellen durch die Sicherheits-Elite der USA senden.

Doch der Präsident steht unter Zeitdruck: Die Daten-Analyse der CIA ist entscheidend für Obamas Beschlüsse zu zahlreichen sicherheitspolitischen Themen, darunter der Stand des Atomprogramms im Iran und die Fortschritte von Al-Kaida in Regionen wie Nordafrika und dem Jemen. „Bei diesen Themen geht es um Krieg und Frieden“, sagt James Carafano, ein Kriegshistoriker der konservativen Denkschmiede Heritage Foundation in Washington. „Die Informationen, die der Präsident erhält, und die Beziehung zu seinem CIA-Chef sind so wichtig, dass es einfach nicht lange ohne Direktor geht.“

Rasche Personalwechsel könnten allerdings riskant sein - besonders für den umstrittenen Afghanistan-Einsatz, der kurz vor dem Abzug der Kampftruppen in einer entscheidenden Phase steckt. Besonders ein Abgang Allens könnte schwerwiegende Folgen für den Einsatz haben: In den kommenden Wochen muss der General mit Obama darum ringen, wie viele US-Soldaten nach dem Ende des Kampfeinsatzes 2014 am Hindukusch bleiben – und die Militärs in Afghanistan plädieren für ein deutlich größeres Truppen-Kontingent als Obamas Berater in Washington.

Andererseits könnte es Obama auch voranbringen, wenn frisches Personal mit neuen Ideen in der Sicherheitspolitik antritt. „Es steht ein ganzer Zauberwürfel an Entscheidungen an darüber, wer wo sitzen soll, und es wird immer komplizierter, eine Lösung zu finden“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Feaver von der Duke-Universität. Auch die Affäre um den Anschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi lastet weiter auf Obama. Eigentlich sollte Petraeus, der sowohl bei Republikanern als auch Demokraten großen Respekt genoss, diese Woche vor dem Kongress aussagen, der den Fall untersucht. Dem Helden des Irak-Kriegs wäre es möglicherweise gelungen, den Ausführungen der Regierung zu dem Angriff in Bengasi Glaubwürdigkeit zu verleihen und UN-Botschafterin Rice zu entlasten.

Denn die Republikaner betrachten Rice als Wortführerin derer in der Regierung, die die Öffentlichkeit über die Hintergründe des Angriffs in die Irre führten. Rice schilderte die Attacke, bei der am 11. September US-Botschafter Christopher Stevens getötet wurde, zunächst als Reaktion wütender Muslime auf das Mohammed-Video. Erst später räumte das Weiße Haus ein, dass es sich um einen gezielten Anschlag der radikal-islamischen Al-Kaida handelte. Und all diese Problem werden noch überschattet von dem am Jahresende drohenden „Fiscal Cliff”: Sollte sich Obama nicht rechtzeitig mit dem republikanisch dominierten Kongress einigen, werden Wehr- und Sozialetat automatisch drastisch gekürzt.

Skandal im Rückblick: Die Rekonstruktion der Petraeus-Affäre

CIA-Chef und Kriegsheld David Petraeus gilt als untadelig, bis er über eine Affäre stolpert. Im Rückblick rekonstruieren US-Medien wie die „New York Times“ und die „Washington Post“ nun immer detaillierter die Ereignisse der vergangenen Monate. Öffentliche Stellungnahmen sind dagegen rar. Eine Chronologie nach Medienberichten:

Mai 2012: FBI-Agenten durchleuchten Petraeus' private E-Mail-Konten auf Sicherheitsaspekte. Anlass ist angeblich eine Bitte der 37-jährigen Jill Kelley, die anonyme Droh-Mails erhielt. Ihr würde unterstellt, sie mache Petraeus schöne Augen. Als das FBI nach dem Absender forscht, stößt es laut US-Medienberichten auf intime Mails, die Petraeus seiner Biografin Paula Broadwell geschickt haben soll.

Ende Oktober: Das FBI vernimmt nach Medienberichten Biografin Broadwell. Die 40-Jährige soll die Affäre zugegeben und auch freiwillig ihren Computer mit geheimen Dokumenten herausgegeben haben. Auch Petraeus sei vom FBI befragt worden. Auch er soll die Affäre eingeräumt haben. Beide sollen jedoch glaubhaft verneint haben, dass Petraeus seiner Geliebten geheime Dokumente gab. Die Affäre soll von November 2011 bis Sommer 2012 gedauert haben.

6. November: Das US-Justizministerium informiert nach Medienberichten am Abend des Wahltags den nationalen Geheimdienstdirektor James Clapper über Petraeus' Affäre. Clapper soll Petraeus daraufhin den Rücktritt nahegelegt haben. Petraeus wollte seinen Posten angeblich gern behalten.

7. November: Obama wird nach Medienberichten erst einen Tag nach seiner Wiederwahl über die Affäre informiert. Petraeus galt zuvor als aussichtsreicher Kandidat für ein Ministeramt.

8. November 2011: Petraeus reicht nach Medienberichten sein Rücktrittsgesuch bei US-Präsident Barack Obama ein.

9. November 2011: Obama bestätigt den Rücktritt und würdigt öffentlich Petraeus' Verdienste. Gründe für den Schritt nennt Obama nicht. Die Geheimdienst-Expertin der Demokraten, Dianne Feinstein, schließt politische Hintergründe für den Rücktritt aus. Der Streit um fehlerhafte CIA-Informationen zur Ermordung des US-Botschafters in der libyschen Stadt Bengasi am 11. September 2012 habe damit nichts zu tun. Petraeus sollte Mitte November vor einem Kongressausschuss über die Vorkommnisse in Bengasi aussagen.

11. November: Geheimdienst-Experten des Kongresses fordern nach Medienberichten Aufklärung darüber, warum das Weiße Haus erst so spät über die vom FBI aufgedeckte Affäre unterrichtet wurde.

13. November: Nach Medienberichten ermittelt das Pentagon nun gegen den bisherigen Kommandeur der Afghanistan-Schutztruppe Isaf, US-General John Allen. Dieser soll potenziell „unangebrachte“ E-Mails an die Petraeus-Familienfreundin Kelley geschickt haben. Allen soll das bestritten haben. Er ist für das Amt des Nato-Oberkommandierenden in Europa vorgesehen. Seine Nominierung soll bis zur Klärung der Vorwürfe verschoben werden.