„Ich würde mich freuen, wenn die Verbände sich endlich entschlossener gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen wenden würden“, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann der „Berliner Zeitung“.

Berlin. Nach dem Überfall auf einen Rabbiner und dessen Tochter in Berlin fordert der Zentralrat der Juden in Deutschland von den muslimischen Verbänden mehr Engagement gegen Antisemitismus. „Ich würde mich freuen, wenn die Verbände sich endlich entschlossener gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen wenden würden“, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann der „Berliner Zeitung“ (Freitagausgabe).

Muslimische Verbände haben bereits öffentlich und gegenüber dem Zentralrat ihr Mitgefühl und ihre Abscheu über den gewalttätigen Überfall am Mittwochabend Ausdruck verliehen. Graumann genügt das nicht. „Worte des Mitgefühls sind schön und ehrlich gemeint. Aber Taten wären auch wichtig“, sagte der Zentralratspräsident. David Alter, der angegriffene Rabbiner, der am Donnerstag noch im Krankenhaus lag, äußerte sich ähnlich. Er habe keine Angst vor neuen Übergriffen. „Ich wohne gern in Berlin“, sagte der Rabbiner.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen mehrerer Straftaten, darunter Beleidigung und Körperverletzung. Die Täter wurden noch nicht gefasst. Bei dem Überfall auf den 53-jährigen Rabbiner und seine sechsjährige Tochter am Dienstag im Stadtteil Schöneberg wurde der jüdische Geistliche schwer verletzt.

Der SPD-Kreisverband sowie die örtliche evangelische Kirchengemeinde riefen für Sonntag zu einer Solidaritätskundgebung auf. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der evangelische Bischof Markus Dröge und der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, hatten den Überfall bereits am Mittwoch als Angriff auf das Judentum in Deutschland und das Zusammenleben in der Stadt verurteilt.

Der Europäisch-Jüdische Kongress erklärte, religiöse Führer der Muslime seien nun in der Pflicht, “lauter und klarer gegen die Gewalt Stellung beziehen„. Er kündigte zugleich an, die Gewalttat auch bei einem internationalen jüdisch-muslimischen Treffen in der kommenden Woche zum Thema zu machen. Dabei werden in Paris rund 80 religiöse Führungspersönlichkeiten aus 18 europäischen Staaten erwartet. Die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, kritisierte einen Mangel an Zivilcourage in der Gesellschaft. “Viele schauen nur noch zu oder weg, wenn es zu Übergriffen in der Öffentlichkeit kommt„, sagte Süsskind der “Berliner Morgenpost„ (Donnerstagsausgabe). “Wir brauchen mehr Zivilcourage, das fehlt hier prinzipiell.„

Dass gerade von arabischen Menschen viele Angriffe auf Juden verübt würden, sei auch eine Frage mangelnder Bildung, betonte Süsskind, die Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus ist. “Es macht mich unglaublich wütend, wenn ich sehe, dass gerade Menschen mit muslimischem Hintergrund – meist sind es ja Deutsche – die vielen Bildungsangebote hier in Berlin nicht nutzen.„

Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) rief zu Wachsamkeit und Zivilcourage gegen Rassismus und Antisemitismus auf. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, Aydan Özguz, appellierte an die Bundesregierung, die Kürzungen etwa am Programm “Soziale Stadt„ zurückzunehmen.

Das Abraham-Geiger-Kolleg, das in Potsdam liberale Rabbiner ausbildet, forderte ein entschiedeneres Vorgehen gegen muslimische Gewalttäter und kündigte schärfere Sicherheitsvorkehrungen an. “Polizei und Geheimdienste müssen gewaltbereite Muslime in den Griff bekommen„, sagte Rektor Walter Homolka der “Berliner Morgenpost„ (Freitagsausgabe). Den Studierenden des Rabbinerkollegs sei geraten worden, auf der Straße keine Kippa mehr zu tragen, sondern eine unauffällige Kopfbedeckung zu wählen. Der überfallene Geistliche war Absolvent des Geiger-Kollegs und gehörte 2006 zu den drei ersten in Deutschland nach dem Holocaust ordinierten Rabbinern.

Auch die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) hat zu mehr Zivilcourage aufgerufen. „Jeder Einzelne ist gefordert, seinen Beitrag für ein gutes Miteinander zu leisten. Und zugleich in der Pflicht, aufzustehen, wenn Menschen aus welchen Gründen auch immer bedroht oder ausgegrenzt werden“, sagte Böhmer der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Freitagsausgabe).

Böhmer zeigte sich von der Tat „schockiert“. Polizei und Staatsanwaltschaft seien jetzt gefordert, die Angreifer schnellstmöglich ausfindig zu machen und festzunehmen. „Die Botschaft muss lauten: Für Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Antisemitismus ist kein Platz in unserem Land.“

(dapd/EPD)