Der Streit ums Saatgut schwelt seit Jahren. Wenige Weltkonzerne beherrschen den Markt – und verdrängen kleine Bauern. Das EU-Gericht stärkt kleinen Züchtern nun den Rücken. Europas Bauern dürfen alte Sorten selbst vermarkten. Ökoverbände und Grüne sind zufrieden.

Luxemburg/Brüssel. Europas Bauern dürfen selbst Saatgut aus „alten“ und amtlich nicht zugelassenen Pflanzensorten herstellen und vermarkten. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in Luxemburg entschieden (Rechtssache C-59/11). Die umstrittenen EU-Richtlinien würden dies nicht verbieten. Der Gerichtshof stärkte mit seinem Urteil die Rechte von Bauern, insbesondere Ökolandwirten. Diese begrüßten ebenso wie die Grünen die Entscheidung als „Sieg für die Artenvielfalt“. Der Weg sei nun frei für Sorten wie die Kartoffel „Rosalie“ oder den Apfel „Schöner von Wiltshire“.

Der Markt für Saatgut ist hart umkämpft und wird von einigen großen Konzernen kontrolliert. Die bekanntesten sind der weltgrößte Agrar- und Biotechnikkonzern Monsanto, der wegen seiner gentechnisch veränderten Produkte umstritten ist, der Schweizer Agrarkonzern Syngenta und die US-Firma Dupont. In Deutschland gehören dazu Bayer (Teilkonzern Bayer CropScience) und BASF (Genkartoffel „Amflora“). Große Anbieter dominieren laut Bauernverband zwei Drittel des Marktes.

Bislang durften unzertifizierte Sorten nicht in den Handel, sondern mussten in mindestens einem EU-Staat zugelassen sein. Da die Zulassung aber aufwendig und teuer ist, können sich dies meist nur große Unternehmen leisten. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft geht davon aus, dass nun tausende von Sorten wieder gehandelt werden dürfen.

Im konkreten Fall ging es um eine Klage des industriellen Saatgut-Hersteller Graines Baumaux gegen das in Frankreich entstandene bäuerliche Saatgut-Netzwerk Kokopelli. Das Netzwerk hatte Saatgut von mehr als 461 Sorten im Angebot, die nicht in offiziellen Sortenkatalogen eingetragen waren. Graines Baumaux klagte wegen unlauteren Wettbewerbs auf Schadenersatz und ein Vermarktungsverbot der Sorten, die nicht im amtlichen Saatgut-Katalog eingetragen waren.

Die Richter wiesen die Klage ab. Nach ihrer Ansicht berücksichtigen die EU-Richtlinien die wirtschaftlichen Interessen der Verkäufer alter Sorten, weil sie die Vermarktung unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Die Richtlinie verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Sie sorge dafür, dass die Produktivität steige, ein reichhaltiges Angebot an Pflanzengenen erhalten bleibe und der Binnenmarkt für Gemüsesaatgut wachse.

Laut Richtlinie werde eine neue Sorte nur dann zum Katalog zugelassen, wenn sie „unterscheidbar“, „beständig“ und „hinreichend homogen“ ist. Ausnahmen gebe es für Sorten, die vom Aussterben bedroht sind („Landsorten“). So dürfen Kleinbauern, Privatpersonen und kleine Agrarunternehmen solch alte Sorten auch ohne Zertifikat züchten und verbreiten. Vor zehn Jahren hatten Bauernverbände diese Ausnahme bereits durchgesetzt – doch bis heute wurde die Regelung nicht in Gesetzform gebracht.

Bei den Bauernverbänden und den Grünen stieß das Urteil auf positive Reaktionen. Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, und die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Renate Künast nannten das Urteil einen „Sieg für die Artenvielfalt“. Baringdorf sprach im „Deutschlandradio Kultur“ von einem Erfolg für kleine Bauern und Saatgutfirmen. Das Urteil wirke dem Trend entgegen, dass immer mehr kleine Züchter in ihrer Selbstständigkeit bedroht seien.

Künast sagte, das Gericht habe sich für den Erhalt der genetischen Vielfalt eingesetzt und „gegen die internationalen Saatgutkonzerne entschieden, die wie Biopiraten weltweit Patente für die Hauptnahrungsmittel kapern.“ Die Konzerne setzten bei Mais, Reis und Kartoffeln auf die Reduzierung der gehandelten Sorten und machten Bauern von gentechnikverändertem Saatgut abhängig.

Nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) schützt das Urteil Landwirte und Verbraucher. Es stelle sicher, dass weiter nur qualitativ hochwertige und gute Sorten auf den Markt kämen, sagte BDP-Geschäftsführer Carl-Stephan Schäfer. (dpa)