Deutschland habe keinen Kompass und keinen Plan mehr, wo es steht. Man müsse aufpassen, nicht alles zu verspielen und eine Spaltung Europas zu verhindern.

berlin/Binz. Kritik vom Altkanzler: Heftig kritisiert hat Helmut Kohl die deutsche Ausßenpolitik. Er vermisse einen klaren Kurs. Überraschend: In Teilen stimmte ihm sogar Außenminister Westerwelle zu.„Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr – weder nach innen noch nach außen“, sagte Kohl der Zeitschrift „Internationale Politik“ in Berlin. Er frage sich, „wo Deutschland heute eigentlich steht und wo es hin will“, erklärte der CDU-Politiker mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen. Diese Frage stellten sich auch die Verbündeten. Gleichzeitig warnte Kohl vor einer Spaltung Europas in der Euro-Krise.

Dass US-Präsident Barack Obama bei seinem jüngsten Besuch in Europa Deutschland nicht besucht habe, sei früher unvorstellbar gewesen, sagte Kohl. Nach allem, was Deutsche und Amerikaner gemeinsam erlebt und durchlebt haben, hätte er sich nie träumen lassen, „dass ich einmal erleben muss, dass ein amtierender amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über die Bundesrepublik hinwegfliegt, ich könnte auch sagen, über sie hinweggeht“, betonte der CDU-Politiker. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles verspielen. Wir müssen dringend zu alter Verlässlichkeit zurückkehren“, betonte der ehemalige Bundeskanzler, der Deutschland von 1982 bis 1998 regierte.

„Wenn man keinen Kompass hat“, und auch keinen „Führungs- und Gestaltungswillen, dann hängt man auch nicht an dem, was wir unter Kontinuitäten deutscher Außenpolitik verstehen, ganz einfach, weil man keinen Sinn dafür hat“, bemängelte Kohl mit Bezug auf die aktuelle Politik. Wenn Deutschland die Grundpfeiler deutscher Außenpolitik wie die transatlantischen Beziehungen, das geeinte Europa, die deutsch-französische Freundschaft verlasse, habe dies „katastrophale Folgen“: „Die Vertrauensbasis wäre verloren, Unsicherheiten breiteten sich aus, am Ende wäre Deutschland isoliert - das kann niemand wirklich wollen.“ Die enormen Veränderungen in der Welt könnten keine Entschuldigung dafür sein, „wenn man keinen Standpunkt oder keine Idee hat, wo man hingehört und wo man hin will“.

Kohl warnte auch vor einem Auseinanderbrechen Europas in der Euro-Krise. Die Hilfe, beispielsweise für Griechenland, sei notwendig, „wir haben keine Wahl, wenn wir Europa nicht auseinanderbrechen lassen wollen“.

Europa brauche aktuell ein „beherztes Zupacken und ein Paket vorausschauender, klug gewogener und unideologischer Maßnahmen, mit dem wir Europa und den Euro wieder auf einen guten Weg bringen und für die Zukunft absichern“, sagte der CDU-Politiker weiter. Die Fehler mit Griechenland seien in der Vergangenheit gemacht worden. Mit ihm als Bundeskanzler hätte Deutschland der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone „nicht zugestimmt“. Auch hätte Deutschland unter seiner Führung „nicht gegen den Euro-Stabilitätspakt“ verstoßen, betonte der 81-Jährige.

Westerwelle teilt Kohls Kritik an Europapolitik in Teilen

Bundesaußenminister Guido Westerwelle unterstützt zum Teil die Kritik von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) an der deutschen Europapolitik. Kohl habe „scharfkantige Kritik“ an der Aufweichung des europäischen Stabilitätspakts geübt, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch in Binz auf Rügen. Diese Kritik „teile ich ausdrücklich“.

Auf Kohls Aussage, der deutschen Außenpolitik fehle der „Kompass“, ging Westerwelle nur indirekt ein. Für ihn seien die Konstanten der deutschen Außenpolitik ganz klar, sagte der Minister. Seine drei Schwerpunkte seien der Einsatz für Europa, die Friedenspolitik und die Begründung neuer Partnerschaften bei gleichzeitiger Pflege der alten Freundschaften. (dapd)