Finanzierung wichtiger Großprojekte nicht gesichert. Küstenkreis der Union fordert eine Milliarde Euro zusätzlich für Wasser, Straße und Schiene.

Berlin. Hamburg, so sagen es die Hanseaten gern, ist Deutschlands Tor zur Welt. Das liegt vor allem am Hafen. Nicht nur, weil er mit seinen 7236 Hektar als größte Sehenswürdigkeit der Stadt jedes Jahr Zehntausende Touristen aus aller Welt anlockt – als Drehscheibe für den internationalen Handel ist er auch der bedeutendste Hafen der Bundesrepublik und zählt europaweit zu den führenden Umschlagplätzen in der Containerschifffahrt. 9843 Schiffe liefen den Hafen 2010 an, davon waren 5252 Containerschiffe. 121,2 Millionen Tonnen wurden im vergangenen Jahr in Hamburg umgeschlagen.

Der Hafen ist dabei nicht nur Wirtschaftsfaktor und Jobmotor für den Norden – er trägt auch einen wesentlichen Anteil zu den gesamtdeutschen Importen und Exporten bei. Rund 25 Prozent des deutschen Außenhandels laufen über die See- und Binnenhäfen – Hamburg trägt den größten Anteil daran. Damit die Güter, die im Hafen in alle Welt verschifft werden oder in Deutschland ankommen, zum Beispiel auch nach Süddeutschland gebracht werden können, braucht es die sogenannte Hafenhinterland-Anbindung mit genügend Straßen und Schienen, die den An- und Abtransport sicherstellen. Doch in der Praxis funktioniert das nur bedingt. Seit Jahren kommt es an diesem Punkt immer wieder zu Engpässen. Für die Zukunft, wenn das Handelsvolumen steigt, sind die Befürchtungen darum groß. Nach Einschätzung von Experten wird der Güterverkehr bis 2025 um bis zu 80 Prozent zunehmen.

„Es ist absehbar, dass Zu- und Abfluss der Güter zu und von den Häfen an der Küste in wenigen Jahren kollabieren wird“, befürchtet Ingbert Liebing (CDU). Er ist der Vorsitzende des Küstenkreises der Unionsfraktion im Bundestag – also jener 41 Bundestagsabgeordneten, die in Norddeutschland ihren Wahlkreis haben. Seiner Auffassung nach ist die Verkehrsinfrastruktur eine der zwingenden Voraussetzungen für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Es müsse bei Investitionen in die Infrastruktur künftig „geklotzt und nicht nur mit Stückwerk gekleckert“ werden, sagte Liebing dem Abendblatt. Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) sieht das Problem: „Die Waren müssen auch in Zukunft vernünftig zu unseren Häfen hin- und abtransportiert werden“, sagte er dem Abendblatt. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass, wenn die Infrastruktur nicht stimmt, Güter auch für Süddeutschland nicht mehr in Niedersachsen, Hamburg und Bremen umgeschlagen werden, sondern vielleicht in Mittelmeerhäfen an der Adria.“ Infrastrukturausbau im Norden sei eine nationale Aufgabe.

Im Küstenkreis der Union herrscht nach Liebings Einschätzung „großes Einvernehmen, dass wir mehr Geld für die Infrastruktur brauchen“. Wenn in Berlin im September die parlamentarischen Haushaltsberatungen beginnen, soll der Verkehr im Norden nach seinem Willen einer der Schwerpunkte der Gespräche sein. Für die Jahre 2012 bis 2015 sind rund zehn Milliarden Euro für Straße, Schiene und Wasser vorgesehen. Doch diese Summe, warnt Liebing, reiche bei Weitem nicht. Er fordert deshalb eine Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich, „um die dringendsten Projekte schneller voranzubringen“.

Nicht nur zur Hafenhinterland-Anbindung sind verschiedenste Baumaßnahmen geplant, um die Infrastruktur im Norden auszubauen: So soll etwa auch der Nord-Ostsee-Kanal auf seiner gesamten Länge von 98,6 Kilometern vertieft werden, sodass künftig auch größere und schwerere Schiffe die weltweit meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt passieren können. Dazu kommt eine Verbreitung auf einer elf Kilometer langen Teilstrecke zwischen Königsförde und Holtenau sowie der geplante Neubau zweier Schleusen in Brunsbüttel und Kiel. Mit allen Ausbaustufen belaufen sich die geschätzten Kosten auf mehr als eine Milliarde Euro. Allerdings sind im Etat nur 400 Millionen Euro für Ausbau und Instandhaltung für alle Wasserstraßen in ganz Deutschland vorgesehen.

Um die Hafenhinterland-Anbindung zu fördern, haben die norddeutschen Bundesländer sich bereits im September 2008 auf die sogenannte Ahrensburger Liste geeinigt, auf der 19 überwiegend hafenrelevante Projekte zusammengestellt sind, die es vordringlich zu realisieren gilt. Dazu gehört auch der Bau der sogenannten Y-Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge, mit der Hamburg, Bremen und Hannover per Schiene verbunden werden sollen und die mit einem finanziellen Aufwand von 1,3 Milliarden Euro ins Gewicht fällt. Die Kosten für die Hafenquerspange in Hamburg, die A 1 und A 7 verbinden soll, belaufen sich auf 730 Millionen Euro. Die Erneuerung und Erweiterung der Autobahn A 1 auf sechs Spuren zwischen dem Autobahndreieck Buchholz und dem Bremer Kreuz kostet 650 Millionen Euro, für den achtstreifigen Ausbau der A 7 zwischen Bordesholm bis zur Hamburger Landesgrenze werden rund 270 Millionen Euro fällig. Dass bei beiden Projekten auch private Investoren mit an Bord sind, federt die Kosten für die öffentliche Hand ab.

„Jedes Bundesland hat zudem weitere wichtige Projekte, die aus diesem Etat bezahlt werden wollen, die über die Ahrensburger Liste hinausgehen“, so Liebing. „Wenn wir einen Verkehrskollaps verhindern wollen, dann geht dies nur mit einem großen Kraftakt. Dann brauchen wir mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur. Das geht nicht mit Kleckerbeträgen, hier ist mindestens eine Milliarde mehr pro Jahr zwingend geboten, um zumindest die dringendsten Projekte schneller voranzubringen.“ Weil die Ahrensburger Liste in absehbarer Zeit nicht zu finanzieren sei, sollte sich der Norden zudem auf einige 1-a-Prioritäten verständigen.

„Die Infrastrukturinvestitionen des Bundes der vergangenen Jahrzehnte weisen eine deutliche Verschiebung des Mitteleinsatzes gen Süden auf“, beklagt Wirtschaftsminister Bode. „Der Norden ist hier in der Vergangenheit oft benachteiligt worden.“ Im niedersächsischen Wilhelmshaven geht mit dem Jade-Weser-Port ab April 2012 künftig Deutschlands einiger tideunabhängiger Tiefwasserhafen an den Start. „Damit der Hafen seinen Beitrag für die gesamtdeutsche Wirtschaft leisten kann, braucht er eine leistungsfähige Infrastrukturanbindung. Hier fehlen uns noch 300 Millionen Euro, um den Ausbau der Bahnstrecke zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven auf einen Stand zu bringen, der den prognostizierten Anforderungen gerecht wird“, so Bode. Der Minister mahnte dazu, auch die Binnenwasserstraßen nicht außer Acht zu lassen. „Wichtig ist, dass wir, an den Bedarf angepasst, die Investitionen tätigen. Zum Beispiel gilt das Schiffshebewerk Scharnebeck als der Flaschenhals der Binnenschifffahrt auf dem Elbe-Seitenkanal. Hier muss dringend ausgebaut werden, sonst schneiden wir wichtige Zubringer von den großen Seehäfen im Norden ab.“

CDU-Politiker Liebing ist wegen der offenen Verkehrsvorhaben „strikt dagegen“, im Herbst Steuersenkungen zu beschließen. Neben dem Abbau der Neuverschuldung gebe es noch eine ganze Reihe von Themen. Der Verkehrssektor, so Liebing, stehe dabei ganz weit oben.