Angesichts des Umfragetiefs fordert sie die Liberalen auf, den Blick für neue Koalitionspartner zu weiten. SPD-Fraktionschef Steinmeier spricht bereits von Neuwahlen.

Berlin. Die FDP zusammen mit der SPD - kann das passen? Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat den Liberalen eine Öffnung zur SPD empfohlen. „Die FDP darf sich nicht einseitig auf die Union ausrichten“, sagte sie dem „Hamburger Abendblatt“ (Samstag). SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier schließt vorzeitige Neuwahlen im Bund nicht mehr aus. Bei der Abstimmung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus im Herbst müsse die Kanzlermehrheit stehen – „oder es ist das Ende der Koalition“, sagte er.

Die FDP sei ein verlässlicher Koalitionspartner, versicherte Leutheusser-Schnarrenberger. „Aber Fakt ist: Das Parteienspektrum verändert sich.“ Bis auf die Linkspartei orientierten sich inzwischen alle an der Mitte. „Scheuklappen helfen da nicht.“ In den Ländern hätten die Liberalen immer auch mit anderen Parteien als der Union koaliert. Schnittmengen zwischen SPD und FDP gebe es in der Außen- und Verteidigungspolitik. „Die SPD wird kein Interesse daran haben, als Juniorpartner der Grünen zu enden“, sagte die Ministerin.

Skepsis äußerste Steinmeier. Er glaube nicht daran, dass die schwarz-gelbe Koalition es bis zum Ende der Legislaturperiode schaffe. Er habe bisher immer geglaubt, Union und FDP würden als „eine Art Notgemeinschaft“ bis 2013 durchhalten, sagte der SPD-Fraktionschef der „Saarbrücker Zeitung“ (Samstag). Inzwischen habe er aber auch daran Zweifel.

Steinmeier betonte, die SPD sei für den Fall von Neuwahlen gerüstet: „Wenn die Regierung sich eingesteht, dass sie am Ende ist, dann werden wir vorbereitet sein. Und zwar auch personell“, sagte er auf die Frage, ob die SPD ihren Kanzlerkandidaten jetzt früher als bisher geplant benennen müsse. Zu seinen Ambitionen oder denen des früheren Finanzministers Peer Steinbrück äußerte er sich nicht eindeutig.

Leutheusser-Schnarrenberger zeigte Sympathie für Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat. Dieser sei dabei, seine Chancen auszuloten. „Und die Umfragen zeigen, dass Steinbrück bei den Bürgern Wertschätzung genießt. Das sollte man nicht unterschätzen“, sagte die Ministerin.

SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor den Gefahren einer schwarz-grünen Koalition. „Das wäre eine Koalition der Satten, die sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie Wohlstand entsteht“, sagte er der „WirtschaftsWoche“.

Gabriel bekannte sich ausdrücklich zu den Grünen als Bündnispartner: „Ich habe gar kein Interesse daran, dass die Zustimmungswerte zu den Grünen einbrechen. Wir brauchen sie ja als Koalitionspartner.“ Die Grünen seien „die neue liberale Partei“, weil sie anders als die FDP nicht nur offen und neugierig seien, sondern auch „koalitionsfähig für verschiedene Seiten“.

Das große Abendblatt-Interview mit Leutheuser-Schnarrenberger

Vor der Sommerpause will sich die FDP sortieren. An diesem Wochenende geht das neue Präsidium in Klausur. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will erreichen, dass die Liberalen auch wieder mit anderen Parteien zusammenarbeiten als mit der Union. In ihr Ministerbüro am Berliner Gendarmenmarkt hat sie sich vor Kurzem den Schreibtisch des Ur-Liberalen Thomas Dehler stellen lassen. Der erste Justizminister nach dem Krieg und spätere FDP-Vorsitzende koalierte allerdings - wie Leutheusser-Schnarrenberger selbst - mit der Union.

Hamburger Abendblatt: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wie viel Freude macht Ihnen das Regieren mit der Union?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Regieren bedeutet Verantwortung. Das füllt aus. Auch wenn wir um Kompromisse ringen. Und wenn mal eine Lösung gelingt, ist das ein guter Moment.

Wie würden Sie die Stimmung im Kabinett beschreiben?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt unterschiedliche Interessen, etwa von Wirtschaft und Finanzen oder von Innen und Justiz. Da ist es normal, dass es zu Spannungen kommt.

Welche Kabinettskollegen finden Sie sympathisch?

Leutheusser-Schnarrenberger : Darum geht es nicht. Ich arbeite mit allen gerne zusammen. Mit Innenminister Friedrich habe ich bei den Anti-Terror-Gesetzen in einem konstruktiven Verhandlungsklima einen Kompromiss verhandelt.

Finanzminister Schäuble führt FDP-Chef Rösler genüsslich vor - und sperrt sich gegen Steuersenkungen ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen in der Koalition mehr Steuergerechtigkeit auch durch Entlastung der Bürger. Jetzt ringen wir um den richtigen Weg, das Volumen und den Zeitpunkt. Das gelingt am besten, wenn wir in der Koalition darauf verzichten, mit immer neuen Vorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten. Das verunsichert die Bürger. Union und FDP sollten alles daransetzen, ein Ergebnis zu erzielen und das dann geschlossen zu präsentieren.

Wie wollen Sie für Steuersenkungen eine Mehrheit im Bundesrat bekommen? Selbst Ministerpräsidenten der Union lehnen Ihr Vorhaben ab ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Möglichkeit zur Entlastung der Bürger ist da. Wir haben hervorragende Wirtschaftsdaten, steigende Steuereinnahmen und die niedrigste Arbeitslosenzahl seit 1991. Wir können die Schuldenbremse einhalten und trotzdem zu einer vernünftigen Entlastung der Bürger kommen.

Sie können die Bürger auch entlasten, indem Sie den Solidaritätszuschlag abschaffen. Dafür brauchen Sie den Bundesrat nicht .. .

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir müssen ein Konzept entwickeln, das die Chance auf Realisierung hat. Es geht um Steuergerechtigkeit - die muss auch die SPD umtreiben.

Stellen Sie sich einen Historiker im Jahr 2050 vor, der die Leistungen dieser Koalition ermessen will. Worüber soll er berichten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sorgen in schwieriger Zeit für Wachstum und Wohlstand - und für Gerechtigkeit, zum Beispiel bei den Steuern. Wir stärken Grundrechte und Datenschutz. Wir leiten die Energiewende ein und ermöglichen die Entwicklung neuer Technologien.

Der Bundespräsident kritisiert das Vorgehen von Union und FDP bei der Energiewende. Die Koalitionsparteien hätten den Atomausstieg - wie die Grünen - auf Parteitagen beschließen sollen ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP hat sich auf ihrem Parteitag in Rostock intensiv mit der Energiewende beschäftigt. Wir haben uns sehr viel Zeit genommen, um den Atomausstieg zu diskutieren und darüber als Partei zu entscheiden. Die FDP hat den demokratischen Meinungsbildungsprozess, den der Bundespräsident anmahnt, bereits vollzogen.

Wie bewerten Sie das erste Jahr des Bundespräsidenten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Bundespräsident hat wichtige Debattenbeiträge zu gesellschaftlichen Themen geleistet. Es war ein gutes erstes Jahr.

Der Präsident setzt mehr auf Bilder als auf Worte. Ein angemessener Stil für ein deutsches Staatsoberhaupt ?

Leutheusser-Schnarrenberger: Jeder Bundespräsident hat seinen eigenen Stil, und das ist doch auch gut so.

Das FDP-Präsidium trifft sich an diesem Wochenende zu einer Klausurtagung. Welches Signal soll davon ausgehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen uns nach dem Parteitag und vor der Sommerpause überlegen, welche Schwerpunkte die FDP setzen will. Es geht um das Profil der Liberalen.

Fünf Prozent bleiben für die FDP eine echte Hürde. Hat sich der Wechsel im Vorsitz von Westerwelle zu Rösler denn gelohnt?

Leutheusser-Schnarrenberger : Wir arbeiten gut und vertrauensvoll zusammen. Die Veränderungen brauchen Zeit, bis sie wirken können.

Die Erwartung war, dass die FDP auf ein breiteres Themenspektrum setzen würde. Jetzt geht es wieder nur um Steuersenkungen ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, die FDP ist keine Ein-Themen-Partei. Steuern sind nur ein Thema. Die FDP setzt sich auch für die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge ein. Außerdem arbeiten wir an Lösungen für den Fachkräftemangel und engagieren uns für eine rationale Integrationspolitik. Und das große Zukunftsthema des Datenschutzes im Internet hat diese Regierung auf die Initiative der FDP angepackt - mit der Stiftung Datenschutz.

Bleibt die Union der einzig denkbare Koalitionspartner?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen, dass diese Koalition mit der Union 2013 eine gute Bilanz vorlegt. Die FDP ist ein verlässlicher Koalitionspartner. Wir haben die Mehrheiten für die Euro-Stabilisierung gesichert. Aber Fakt ist: Das Parteienspektrum verändert sich. Wir haben ein Fünfparteiensystem. Und die Parteien ändern ihre Positionen. Es ist eine spannende Zeit.

Worauf wollen Sie hinaus?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Grünen interessieren sich nicht mehr für die Innen- und Rechtspolitik. Sie haben kein Innen- oder Justizressort in den Ländern. In Baden-Württemberg haben sie sogar der Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag zugestimmt. Und die SPD tut so, als ob sie bei der Energiewende den Industriestandort Deutschland verteidigt. Die Frage ist: Wie verändern sich die Schnittmengen? In den Ländern hat die FDP immer auch mit anderen Parteien als der Union koaliert. Jetzt müssen wir in Ruhe analysieren, was die Veränderungen im Parteienspektrum für die FDP bedeuten. Scheuklappen helfen da nicht. Als stellvertretende Bundesvorsitzende kann ich nur betonen: Die Liberalen sind eine selbstbewusste und eigenständige Partei. Die FDP darf sich nicht einseitig auf die Union ausrichten.

In Hamburg hatte die FDP-Spitzenkandidatin Suding schon zu Jahresbeginn auf eine sozialliberale Koalition gezielt ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP ist ja nicht in ein Lager eingesperrt. Jeder Landesverband entscheidet immer selbstständig über seine Perspektiven. Es ist doch so: Bis auf die Linkspartei orientieren sich alle Parteien an der berühmten Mitte. Ideologische Schlachten finden heute auf der rhetorischen Ebene statt. Deswegen ist es ganz normal, dass die FDP zu anderen Parteien Kontakte pflegt. Das macht die Union auch. Übrigens: Die SPD wird kein Interesse daran haben, als Juniorpartner der Grünen zu enden.

Was verbindet SPD und FDP?

Leutheusser-Schnarrenberger : Schnittmengen in der Außen- und Verteidigungspolitik - in der Innen- und Rechtspolitik wirft Otto Schily immer noch seinen Schatten.

Welchen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten würden Sie sich wünschen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Darüber muss die SPD selbst entscheiden. Ich habe den Eindruck, dass Peer Steinbrück dabei ist, seine Chancen auszuloten. Und die Umfragen zeigen, dass Steinbrück bei den Bürgern Wertschätzung genießt. Das sollte man nicht unterschätzen.

(dpa/abendblatt.de)