Ein Mann wollte seine Freiheit. Doch das Verfassungsgericht stellt sich mit dem Urteil gegen den Europäischen Gerichtshof.

Karlsruhe. Ein wegen zahlreicher schwerer Sexualstraftaten vorbestrafter Mann bleibt vorerst weiter in Sicherungsverwahrung. Das entschied das Bundesverfassungsgericht. Die Richter lehnten den Antrag des Mannes auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, durch die er freigekommen wäre. Die Rechtsfragen, die das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Sicherungsverwahrung aufgeworfen hätten, seien zunächst im Hauptsacheverfahren zu klären, teilte das Gericht mit. Die Beratungen über die rückwirkende Sicherungsverwahrung werden nach Angaben einer Gerichtssprecherin im Herbst erwartet.

Der Beschwerdeführer, ein wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Vergewaltigung vorbestrafter Mann, hatte Verfassungsbeschwerde gegen seine Sicherungsverwahrung eingelegt. Das Landgericht Baden-Baden hatte im August 2009 diese Maßnahme nachträglich für den damals 61-Jährigen angeordnet. Er war wegen versuchter Vergewaltigung und Mordes verurteilt worden.

Das Landgericht Baden-Baden habe auf Grundlage von zwei psychiatrischen Sachverständigengutachten nachvollziehbar dargelegt, dass der Mann einen Hang zu schweren Sexualstraftaten habe, hieß es in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Mann wieder Kinder oder Frauen sexuell missbraucht oder vergewaltigt, wenn er freigelassen wird. „Angesichts der besonderen Schwere der drohenden Straftaten überwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an der Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit“, entschieden die Richter. Die Entscheidung kann nicht angefochten werden.

Bei der Sicherungsverwahrung werden als hochgefährlich geltende Täter auch nach Verbüßung ihrer Strafe in Haft behalten. In Fällen, in denen die Gefahr durch den Täter erst nach dem Urteil offensichtlich wurde, konnte eine nachträgliche Sicherungsverwahrung, angeordnet werden. Der Europäische Gerichtshof in Straßburg entschied im Dezember, dass diese in Deutschland praktizierte rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechte verstößt. Die Bundesregierung legte daher Mitte Juli einen Gesetzentwurf zur Reform der Sicherungsverwahrung vor.

In einem ersten Prozess war der Mann 1988 vom Landgericht Hannover zu siebeneinhalb Jahren Haft und zur Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt worden. Kurz darauf floh er, überfiel bei Durmersheim im baden-württembergischen Kreis Rastatt eine 28 Jahre alte Radfahrerin, versuchte sie zu vergewaltigen und ermordete sie. Das Landgericht Baden-Baden verurteilte ihn im Februar 1990 zu 15 Jahren Gefängnis und ordnete erneut Unterbringung in einer Psychiatrie an.