Wenn immer mehr Souveränität nach Brüssel übertragen werde, seien irgendwann die Grenzen des Grundgesetzes erreicht, sagte Schäuble.

Berlin. Die Deutschen werden nach Erwartung von c als Konsequenz aus der Euro-Schuldenkrise eher früher als später über eine neue Verfassung abstimmen müssen. Wenn immer mehr Souveränität nach Brüssel übertragen werde, seien irgendwann die Grenzen des Grundgesetzes erreicht, sagte der CDU-Politiker am Wochenende dem „Spiegel“. Er sprach sich für einen Komplettumbau der EU-Institutionen aus, einschließlich eines direkt gewählten Präsidenten. Auf dem EU-Gipfel in der neuen Woche beraten die 27 Staats- und Regierungschefs bereits über Vorschläge zur Neuordnung der Wirtschaftspolitik. Zudem wollen die Griechen über eine Lockerung ihrer Sparauflagen verhandeln – mit zweifelhaften Aussichten. So warnte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Zugeständnisse könnten für die anderen Länder teuer werden.

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Wann es zu einer Volksabstimmung komme, wisse wohl keiner, sagte Schäuble. „Aber ich gehe davon aus, dass es schneller kommen könnte, als ich noch vor wenigen Monaten gedacht habe.“ Früher hätte er nicht damit gerechnet, dass es in fünf Jahren so weit sein werde: „Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.“ Auf dem EU-Gipfel wollten die Chefs von vier EU-Institutionen konkrete Vorschläge für eine vertiefte Integration vorstellen. „Danach werden wir sehen“, sagte Schäuble. Auch die Berliner Mauer sei viel schneller gefallen als er damals erwartet habe.

Schäubles Amtsvorgänger im Finanzministerium, Peer Steinbrück (SPD), sagte der „Stuttgarter Zeitung“, auch er rechne in den kommenden zwei Jahren mit einer Volksabstimmung. „Wer den Verfassungsrichtern aufmerksam zugehört hat, weiß, dass es anders nicht geht.“ Das wäre ein absolutes Novum, denn das Volk habe nicht einmal über die Wiedervereinigung oder die Aufgabe der D-Mark abgestimmt.

Zur EU-Integration gibt es aus Sicht Schäubles keine Alternative. Bei einem Auseinanderbrechen des Euro – wovon er nicht ausgehe – bestehe die Gefahr, dass Vieles infrage gestellt werde, vom EU-Binnenmarkt bis zur Reisefreiheit. Ein Auseinanderbrechen der EU in einer Zeit, in der die Welt enger zusammenrücke, wäre absurd: „Das kann, darf und wird nicht sein.“ Schäuble sprach sich für eine gemeinsame Haushaltspolitik und einen EU-Finanzminister aus. Außerdem plädierte er für eine Bankenunion mit gemeinsamer Aufsicht über die größten Institute. Bei der Reform der EU-Institutionen würde er neben dem vom Volk gewählten Präsidenten eine Stärkung des EU-Parlaments und eine zweite Kammer mit Vertretern der Nationalstaaten befürworten.

Weitreichende Vorschläge schon beim EU-Gipfel

Beim Gipfel wollen Van Rompuy, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker, Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ihr Konzept für eine integrierte Finanz- und Wirtschaftspolitik präsentieren. Sie zielen auf vier Bereiche: eine Bankenunion mit gemeinsamer Bankenaufsicht und Einlagensicherung, direkte Kompetenzen des Euro-Rettungsschirms ESM bei der Bankenrettung, ein gemeinsames Altschuldenmanagement und eine Finanztransaktionssteuer.

Außerdem wird auf dem Gipfel diskutiert, wie es mit Griechenland weitergeht. Die neue griechische Regierung will mit Steuersenkungen und Hilfen für Arme und Arbeitslose die Folgen des Sparprogramms abmildern, zu dem sich das Land im Gegenzug für ein zweites Hilfspaket von 130 Milliarden Euro verpflichtet hatte. Der von Reuters eingesehene Plan sieht außerdem zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung der Reformauflagen vor.

Van Rompuy sagte der „Welt am Sonntag“, mehr Zeit würde auch größere Anstrengungen der anderen Euro-Länder bedeutet. Wenn die Ziele verschoben würden, brauche das Land mehr Kredite. CSU-Chef Horst Seehofer sagte der „Bild am Sonntag“, die deutsche Leistungsfähigkeit dürfe nicht überdehnt werden: „Der Helfer darf nicht selbst zum Opfer werden.“ Schäuble forderte die Regierung in Athen auf, „schnell, umgehend und ohne zu zögern das vereinbarte Programm umzusetzen, anstatt schon wieder zu fragen, was denn die anderen noch mehr tun könnten“.

Der neue griechische Ministerpräsident Antonis Samaras wird nach einer Augenoperation die Interessen seines Landes nicht persönlich beim EU-Gipfel vertreten. Er werde von Außenminister Dimitris Avramopoulos und dem scheidenden Finanzminister Giorgos Zanias vertreten, sagte ein Regierungssprecher. Der designierte Finanzminister Vassilis Rapanos bleibe nach einem Schwächeanfall noch im Krankenhaus, wie seine Ärzte mitteilten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist bereits am Mittwoch zu einem Treffen mit Frankreichs Präsident Francois Hollande nach Paris. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Merkel im Reuters-Interview auf, sich auch für Maßnahmen zur Entlastung des Zinsdrucks auf kriselnde Euro-Staaten einzusetzen. Die Spitzen von SPD und Grünen empfahlen ihren Fraktionen am Samstag, dem neuen EU-Fiskalpakt für mehr Budgetdisziplin am Freitag im Bundestag zuzustimmen. Offen ist das Votum des Bundesrates. Am Sonntag sollte im Kanzleramt weiter über die Forderung der Länder verhandelt werden, sie finanziell zu entlasten.

(Reuters)