Wollte Karlsruhe Druck auf Bundespräsident Gauck ausüben? Oder Kanzlerin Merkel? Die Bitte der Verfassungsrichter, Gesetze zu Fiskalpakt und Rettungsschirm ESM zunächst nicht zu unterschreiben, löst Irritationen aus.

Berlin. Joachim Gauck ist derzeit nicht zu beneiden. Der Bundespräsident hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er den Kurs der Bundesregierung in der Eurokrise gutheißt. Deshalb galt es vielen als Formsache, dass Gauck die Gesetze zum Fiskalpakt und zum Euro-Rettungsschirm ESM unterzeichnet, wenn Bundestag und Bundesrat sie am nächsten Freitag verabschiedet haben. Seit Donnerstag ist klar: Die Einschätzung war falsch. Das Staatsoberhaupt, fast 100 Tage im Amt, steckt in einem Dilemma.

Der zeitliche Ablauf wirft ein Schlaglicht darauf: Unmittelbar nachdem Koalition und Opposition am Donnerstag ihre Einigung bei Fiskalpakt und ESM verkündet hatten, sorgte eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe für einen Paukenschlag. Sie teilte mit, dass man Gauck gebeten habe, die beiden wichtigen Gesetze zunächst nicht zu unterschreiben – um genügend Zeit zu haben, die angekündigten Eilanträge dagegen ordentlich zu prüfen.

Das Bundespräsidialamt blieb zunächst einmal stumm – bis es dann am frühen Abend erklärte, dass Gauck dem Ansinnen aus Karlsruhe nachkommen werde. „Der Bundespräsident beabsichtigt, dieser Bitte in Übereinstimmung mit der ständigen Staatspraxis zwischen den Verfassungsorganen und aus Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht stattzugeben.“

Hinter den Kulissen soll es bis zu diesem Zeitpunkt ein heftiges Gezerre gegeben haben. Wie es heißt, soll Gauck zunächst gezögert haben, der Bitte zu folgen und mit seiner Unterschrift zu warten. Mit dem Vorpreschen aus Karlsruhe geriet er dann aber unter Zugzwang. Aus dem Präsidialamt kam dazu am Freitag kein konkretes Wort. „Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen“, sagte ein Sprecher lediglich.

Für zusätzlichen Ärger sorgte in der Zwischenzeit ein Bericht, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht haben soll, Gauck zu einer raschen Unterzeichnung zu bewegen. In Karlsruhe sei man über dieses Vorgehen entsetzt, meldete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Das Dementi kam prompt: Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte, Merkel habe niemals mit Gauck „über die Frage und den Zeitpunkt der Ausfertigung der Gesetze zum ESM und zum Fiskalpakt gesprochen“.

In Koalitionskreisen wird das Vorgehen am höchsten deutschen Gericht als hochgradig irritierend gewertet. Dazu zähle auch, über mögliche Verabredungen zwischen anderen Verfassungsorganen – in diesem Fall der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten - öffentlich zu berichten, hieß es.

Intern wird nicht davon ausgegangen, dass Merkel Gauck tatsächlich unter Druck gesetzt hat. Es sei aber durchaus denkbar, dass sich die Regierung bei ihrem Zeitplan im Bundespräsidialamt rückversichert habe, ob Gauck eine rasche Unterschrift leisten wolle, hieß es am Freitag. Hintergrund könnten die Irritationen über eine frühere Äußerung Gaucks in Brüssel sein.

Der Präsident hatte im April öffentlich signalisiert, er habe keine Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit des deutschen Euro-Rettungskurses. „Ich sehe nicht, dass die Bereitschaft der Regierung konterkariert werden wird vom Bundesverfassungsgericht“, sagte er auf Journalistenfragen. Das wurde ihm schnell als Bevormundung des höchsten Gerichts ausgelegt.

Der Vorgang zeigt, wie schwierig die Balance für den Bundespräsidenten ist. Am Ende hatte er wohl keine andere Wahl, selbst wenn er eine schnelle Unterschrift unter die Gesetze zur Euro-Rettung vorgezogen hätte.

(dpa)