240.000 Euro Schadensersatz: Vier Straftäter verbrachten nach Auffassung des Gerichts mehrere Jahre zu Unrecht im Gefängnis. Rechtswissenschaftler: “Urteil wird nicht sofort rechtskräftig werden“.

Karlsruhe. Baden-Württemberg muss vier ehemaligen Straftätern Schadenersatz wegen zu langer Sicherungsverwahrung zahlen. Das Landgericht Karlsruhe verurteilte am Dienstag das Land zu insgesamt 240.000 Euro Schadenersatz. Die gegen die Kläger verhängte sogenannte nachträgliche Sicherungsverwahrung habe gegen deren Freiheitsgrundrechte verstoßen. Daher hätten die Kläger Anrecht auf Schadenersatz, begründete das Gericht seine Entscheidung in dem bundesweit ersten Verfahren über Kompensation wegen zu langer Sicherungsverwahrung.

Das Landgericht gab den vier Männern im Alter zwischen 55 und 65 Jahren damit im Grundsatz recht, sprach ihnen jedoch nicht so viel Schadenersatz zu wie gefordert. Die vier waren in den 1970er und 1980er Jahren wegen Gewalt- und Sexualstraftaten zu mehrjährigen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden, die damals höchstens zehn Jahre betrug. 1998 fiel die Zehnjahresgrenze jedoch, die Sicherungsverwahrung war unbefristet möglich. Daraufhin wurden die Kläger um acht bis zwölf Jahre länger in der Justizvollzugsanstalt Freiburg belassen.

Diese sogenannte nachträgliche Sicherungsverwahrung beurteilte zuerst der Europäische Gerichtshof als Verstoß gegen die Europäischen Menschenrechte, 2011 schloss sich das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung an. Die Entscheidungen der Gerichte galt rückwirkend.

Dem Land und seiner Justiz könne kein Vorwurf gemacht werden, betonte das Landgericht. Denn die Vollstreckungsgerichte hätten die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach damaliger Auffassung zurecht angeordnet. Da die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung jedoch rückwirkend weggefallen seien, seien die Täter dennoch zu Unrecht festgehalten worden. Daher hätten sie Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 500 Euro pro Monat, den sie zu lang in Verwahrung verbracht hätten.

In dem Verfahren wurde erstmals in Deutschland die Frage verhandelt, ob und wie viel Schadenersatz Straftätern zusteht, die nach ihrer verbüßten Haftstrafe zu lange in Sicherungsverwahrung waren. Das Urteil könnte beispielhaft sein für Dutzende anderer Fälle. Die vier Männer hatten insgesamt rund 400.000 Euro gefordert.

Das Urteil des Karlsruher Gerichts hat nach Einschätzung des Emmendinger Rechtswissenschaftlers Thomas Ullenbruch eine Signalwirkung. Er gehe davon aus, dass es bundesweit zahlreiche weitere Schadensersatzklagen geben wird, sagte der Experte für Sicherungsverwahrung am Dienstag.

„Meiner Ansicht nach wird dieses Urteil nicht sofort rechtskräftig werden“, so Ullenbruch weiter. Laut seiner Einschätzung werde der Bundesgerichtshof angerufen, um eine grundsätzliche Klärung zu erreichen. Die Höhe der Entschädigung orientiere sich an entsprechenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und sei ein „symbolischer Ausgleichsversuch“ für etwas, das in Gänze nie wieder gutgemacht werden könne.

Mit Material von rtr, dapd und dpa