Bund, Länder und die Schweiz streiten sich um ein Steuerabkommen. Steuersünder können sich derweil die Hände reiben. Sie haben Zeit, um ihr Schwarzgeld andernorts zu bunkern – zum Schaden des Fiskus.

Berlin/Bern. Sigmar Gabriel zeigt sich gelassen. In der Auseindersetzung mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen ist die Zeit auf seiten des SPD-Chefs – denn Schäuble braucht den milliardenschweren Abschluss. Und auch die Schweiz gerät mit ihrer Geheimniskrämerei in Geldfragen unter internationalen Druck, je länger eine Lösung mit Deutschland herausgezögert wird. Bis zu 41 Prozent sollen Bundesbürger nach dem Abkommen beider Regierungen nachzahlen müssen, wenn sie Geld in der Alpenrepublik gebunkert haben. Wenn sie sterben, müssen ihre Erben sogar zuschauen, wie die Hälfte des Geldes an den deutschen Fiskus fließt. Oder sie erklären sich dem Finanzamt und zahlen nach deutschem Recht.

Doch das Abkommen „wird zum zweiten Mal scheitern“, macht Gabriel klar. Im Bundesrat ist Schäuble auf SPD und Grüne angewiesen. Ihre Begründung des Widerstandes: Wenn die Anleger beziehungsweise „Straftäter“ wie geplant erst 2013 zur Kasse gebeten werden, könnten viele ihr Schwarzgeld noch in andere Länder schaffen. Die deutsche Seite hatte beim Vorverlegen des Inkrafttretens offenbar wenig Spiel. Die Schweiz sei sehr auf Rücksichtnahme gegenüber ihren ausländischen Anlegern bedacht gewesen, hieß es. „Dass wir auf einen Zeitpunkt davor gehen, war mit den Schweizer Vorstellungen eines Rückwirkungsverbots im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis nicht vereinbar.“ Im Bundesfinanzministerium sagt man dennoch, ganz risikolos könne sich kein Anleger aus dem Schutz des Schweizer Rechts entfernen.

Das Zeitargument könnte letztlich der Opposition auf die Füße fallen. Die Schweiz will zwar keine weiteren Nachverhandlungen zu dem aktuellen Paket. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf macht aber auch deutlich, dass bei einem jetzigen Nein später ein neuer Anlauf nötig sein könnte. Denn: „Man kann nicht einfach nichts machen.“ Diese Verzögerung zugunsten der Steuerhinterzieher könnte dann der Opposition angelastet werden.

Deutlich wird, dass das Interesse der Schweiz am Inkrafttreten des Steuerabkommens ebenso groß ist wie das der deutschen Regierung - wenn nicht gar größer: Bern und die Schweizer Banken hoffen, mit möglichst vielen bilateralen Abkommen den Tag weit hinauszögern zu können, an dem die Alpenrepublik ihr Bankgeheimnis von 1934 aufgeben muss. Scheitert ein Abkommen mit Deutschland, wird es für die Schweiz angesichts wachsenden internationalen Drucks noch schwerer, Lösungen über die Abgeltungsteuer als Alternative zu einem automatischen Bankdatenaustausch durchzusetzen.

Wie viele Milliarden deutsche Anleger tatsächlich bei Schweizer Banken, Versicherungen und anderen Vermögensverwaltern gebunkert haben, ist dabei ein Rätsel. Spätestens als Schäuble und Widmer-Schlumpf im vergangenen Jahr auf ein Steuerabkommen hinarbeiteten, dürfte eine Absetzbewegung begonnen haben – zu „sicheren Häfen“ wie Singapur. „Aber es gibt sicher auch viele Leute, die froh sind, wenn sich ihr Schwarzgeld nun durch einen Steuer-Obolus legalisieren lässt“, sagt ein Zürcher Banker und fügt hinzu: „Solange das alles anonym bleibt.“

Vor rund einem Jahr wurden Einlagen, die Deutsche und Ausländer mit Wohnsitz in der Bundesrepublik am deutschen Fiskus vorbei in die Schweiz geschleust haben, noch auf insgesamt 130 bis 180 Milliarden Euro geschätzt. Selbst wenn inzwischen nur noch die Hälfte auf eidgenössischen Konten lagert, könnte Deutschland ab Januar 2013 mit Milliardenbeträgen an Abgeltung- und Zinsgewinnsteuern aus dem Nachbarland rechnen. Vom Geldregen würden Länder und Kommunen mehr als die Hälfte bekommen, der Rest würde in die Bundeskasse fließen.

Allein für Nordrhein-Westfalen rechnete der CDU-Wahlkämpfer Norbert Röttgen in der „Welt“ (Samstag) mit insgesamt drei Milliarden Euro – eine Zahl, mit der Röttgen wohl vor allem SPD und Grüne in NRW wegen ihres Widerstandes unter Druck setzen will.

Der skeptische SPD-Chef Sigmar Gabriel dagegen erinnert sich möglicherweise an die „Brücke zur Steuerehrlichkeit“ von SPD-Kanzler Gerhard Schröder und dessen Finanzminister Hans Eichel (SPD) in den Jahren 2004 und 2005. Schröder und Eichel hatten sich von dieser Steueramnestie auf Schwarzgeld vor allem aus dem Ausland bis zu fünf Milliarden Euro für den Fiskus erhofft. Als absehbar war, dass dieses Ziel bei weitem verfehlt würde, schraubte man die Hoffnungen für 2004 auf 800 Millionen herunter, und verkaufte schließlich das Ergebnis von 902 Millionen als großen Erfolg.

(dpa)