„Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht“, sagte der 84-Jährige am Donnerstag im NDR. Der Begriff Gleichschaltung entstammt der Terminologie der Nationalsozialisten, die damit die Beseitigung der pluralistischen Gesellschaft durch die Auflösung oder Unterstellung ehemals freier Medien, Vereine, Gewerkschaften oder Organisationen unter die NS-Herrschaft bezeichneten.

Berlin. Im Streit über sein israel-kritisches Gedicht hat der Literaturnobelpreisträger Günter Grass seine Gegner mit Begriffen aus der NS-Zeit angegriffen und ihnen Intoleranz vorgeworfen. „Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht“, sagte der 84-Jährige am Donnerstag im NDR. Der Begriff Gleichschaltung entstammt der Terminologie der Nationalsozialisten, die damit die Beseitigung der pluralistischen Gesellschaft durch die Auflösung oder Unterstellung ehemals freier Medien, Vereine, Gewerkschaften oder Organisationen unter die NS-Herrschaft bezeichneten.

Zugleich sprach Grass von einer Kampagne gegen ihn und verwahrte sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus. In mehreren Interviews erneuerte er seine Kritik an der israelischen Regierung. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte mit harten Worten auf das Grass-Gedicht und erinnerte an dessen Mitgliedschaft in der Waffen-SS.

Politiker von Union, SPD und Grünen haben empört auf das Gedicht reagiert, in dem Grass den jüdischen Staat wegen seines drohenden Militärschlags gegen den Iran eine Gefahr für den Weltfrieden nannte. „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, schrieb er unter dem Titel „Was gesagt werden muss“. Der Schriftsteller steht selbst wegen seiner jahrzehntelang verschwiegenen Mitgliedschaft in der Waffen-SS in der Kritik. Der der SPD nahestehende Autor räumte die Episode erst in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ 2006 ein. Kritiker zogen danach seine moralische Integrität in Zweifel. Grass selbst ging kurz nach dem Interview juristisch gegen die FAZ vor, als sie Briefe von 1969 und 1970 veröffentlichte, in denen er den damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller aufforderte, über seine politische Vergangenheit während des Nationalsozialismus offen zu sprechen.

Israels Regierungschef erklärte, Grass habe 60 Jahre lang seine Vergangenheit als Mitglied der Waffen-SS verschwiegen. „Daher überrascht es nicht, dass er den einzigen jüdischen Staat auf der Welt als größte Bedrohung für den Weltfrieden ansieht und ihm sein Recht auf Selbstverteidigung abspricht“. Netanjahu erinnerte daran, dass der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad den Holocaust leugnet und zur Vernichtung Israels aufruft. Grass’ peinlicher Vergleich Israels mit dem Iran sage daher sehr wenig über Israel und sehr viel über Grass. „Der Iran, nicht Israel, stellt eine Bedrohung für den Weltfrieden und die Sicherheit in der Welt dar“, betonte Netanjahu. „Anständige Leute auf der ganzen Welt sollten diese ignoranten und verwerflichen Aussagen verurteilen“.

Grass bemängelte indes, dass sich seine Kritiker weigerten, auf den Inhalt seiner Aussagen überhaupt einzugehen. „Der durchgehende Tenor ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einzulassen, sondern eine Kampagne gegen mich zu führen und zu behaupten, mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt“, sagte er dem NDR. Es würden alte Klischees bemüht und ihm Antisemitismus unterstellt.

Im ZDF beklagte Grass: „Ich werde hier an den Pranger gestellt.“ Er werde seine Aussagen aber nicht widerrufen. Grass räumte lediglich ein, es wäre besser gewesen, nicht von Israel generell zu sprechen, sondern nur von der derzeitigen Regierung Israels. „Mit kritikloser Hinnahme hilft man Israel nicht“, betonte Grass zugleich. „Das ist Nibelungentreue, und wir wissen, wohin das führt.“ Vielmehr sei die Kritik im Interesse Israels: „Es darf nicht nur kritisiert, es muss kritisiert werden, wenn man es gut meint mit Israel – und das tue ich“, sagte er der ARD. Den Vorwurf des Antisemitismus wies er zurück. Angst vor Beifall von der falschen Seite, etwa von der rechtsextremen NPD, habe er nicht. „Dann wäre einem ja gleich das Maul versperrt, daran habe ich mich nie gehalten.“

Der Zentralrat der Juden erneuerte seine Kritik an Grass. „Wer antisemitisch agitiert, wer judenfeindlich argumentiert, wer antisemitische Klischees zuhauf verwendet – was wäre der denn anderes als ein Antisemit?“, schrieb Ratspräsident Dieter Graumann in einem Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“. Grass’ Gedicht sei ein Pamphlet von Hass und Hetze. Zudem benutze der Schriftsteller das Wort auslöschen und bediene sich damit des Nazi-Jargons. „Grass hat zwar die Waffen-SS verlassen, aber offenbar hat die Judenfeindschaft der Waffen-SS Grass doch niemals verlassen“, bilanzierte Graumann.

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, nahm Grass indes in Schutz. „Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Grass habe nur einer Sorge Ausdruck verliehen, die er mit einer ganzen Menge Menschen teile.

(Reuters)