Er stand unter Beobachtung der Geheimdienste und konnte dennoch fast nach Belieben zuschlagen. Nach dem Tod des Serienmörders von Toulouse fragt sich ganz Frankreich: Wie war das möglich? Das Thema droht auch den wieder angelaufenen Wahlkampf zu überschatten.

Paris. Frankreich erwacht nach dem Ende der Mordserie von Toulouse und dem Tod des Täters aus einem tagelangen Alptraum – und stellt sich fassungslos die Frage nach dem Warum. Wie war es möglich, dass ein vom Geheimdienst überwachter Mann ein ganzes Waffenlager horten, sieben Menschen kaltblütig töten und eine Nation in Angst und Schrecken versetzen konnte? Während die Anwohner in der beschaulichen Rue Sergent Vigne – wo Mohamed Merah am Donnerstag von der Polizei erschossen wurde – zur Normalität zurückzufinden versuchen, werden erste Fragen gestellt.

Die Aufarbeitung des mörderischen Geschehens droht nun doch den Wahlkampf zu prägen, den das nationale Drama in seiner Schlussphase kurz unterbrochen hatte. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande stellt öffentlich die Frage, ob die Geheimdienste versagt haben. Merah, ein 23-jähriger Franzose algerischer Abstammung, war zwar in Afghanistan. Aber nichts an seinem – auch von Alkohol – geprägten Lebensstil deutete auf einen asketisch lebenden Gotteskrieger hin. „Wir konnten nicht schneller vorgehen“, verteidigt sich daher der Leiter des Inlands-Geheimdienstes DCRI, Bernard Squarcini, in der Zeitung „Le Monde“.

Verteidigungsminister Gérard Longuet gibt allerdings zu, dass die Ermittler anfangs viel Zeit verloren haben mit der Suche nach einem ehemaligen Militärangehörigen. „Wir haben beträchtliche Zeit verloren, weil einige absolut der Meinung waren, dass man in dieser Richtung suchen müsse und nicht in allen Richtungen“, sagte er dem TV-Sender Canal +. Fast 20 000 Verdächtige wurden untersucht. Die grüne Kandidatin Eva Joly kritisiert eine „Über-Mediatisierung“ des Dramas durch Innenminister Claude Guéant, der nach ihrer Ansicht vor laufender Kamera „wie ein Journalist“ das Geschehen kommentierte. Die einstige Ermittlungsrichterin sieht darin eine Einmischung in die Arbeit der Justiz. „Einen Innenminister am Einsatzort zu sehen wie er live das Geschehen kommentiert, wie er sich zum Übermittler der Worte von Mohamed Merah macht – das ist unglaublich!“, empörte sie sich im Rundfunksender France Info.

Der um seine Wiederwahl kämpfende Präsident Nicolas Sarkozy sonnte sich vor dem Hintergrund des schnellen Erfolgs bei der Aufklärung der Bluttaten in seiner staatstragende Rolle als Beschützer der Nation. Doch seine nur kurz nach dem Tod des Serienmörders verkündeten Sofortmaßnahmen gegen Hassprediger im Internet und die Besucher ihrer Websites wurden bereits am Freitag von Kritikern als blinder Aktionismus abgetan. Virginie Duval von der Richter-Gewerkschaft betonte, dass eine entsprechende Gesetzgebung bereits existiere. „Problematisch ist die Umsetzung“, meinte sie. Internet-Experten schlagen in die gleiche Kerbe und weisen auf technische Schwierigkeiten hin, solche Aktivitäten nachzuweisen.

Selbst die Umstände der Polizeiaktion geraten in die Kritik. Warum hat man den Täter nicht mit Tränengas zum Aufgeben gezwungen, fragt etwa der frühere Leiter der Spezialeinheit GIGN, Christian Prouteau. „Wie kann es angehen, dass es der besten Einheit der Polizei nicht gelingt, einen einzigen Mann festzunehmen?“, warf er in einem Interview die Frage auf, die auch viele andere Franzosen bewegen dürfte.

(dpa)