Im Streit um den Posten des ZDF-Chefredkateurs haben 35 Staatsrechtler der Politik unzulässige Einmischung vorgeworfen.

Frankfurt/Main. Wenige Tage vor der Entscheidung über die Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender haben 35 führende Staatsrechtler den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch indirekt scharf angegriffen. In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ äußerten die Juristen in einem offenen Brief ihre Bedenken gegen eine Einflussnahme von Politikern. Es gebe einen „offenkundigen Versuch, einen unabhängigen Journalisten zu verdrängen und den Einfluss der Parteipolitik zu stärken“, schrieben sie.

CDU-Politiker, allen voran Hessens Ministerpräsident Roland Koch, hatten sich unter anderem wegen der Quotenentwicklung im Informationsbereich gegen eine Vertragsverlängerung Brenders im kommenden Jahr ausgesprochen. In dem 14-köpfigen ZDF-Verwaltungsrat - Koch ist stellvertretender Vorsitzender – wird eine Mehrheit dem konservativen Lager zugerechnet. Brender selbst ist parteilos, wird aber in der Farbenlehre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dem linken Lager zugerechnet.

Auch unter Politikern regt sich Widerstand gegen die politische Einflussnahme: Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum sieht in der „causa Brender“ eine „causa Grundgesetz“. Es stehe „das Prinzip Staatsferne auf dem Prüfstand“, sagte er dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Politiker raus aus den Aufsichtsgremien!“ Es sei „unerträglich, dass Politiker, die Gegenstand einer kritischen Berichterstattung sind, gleichzeitig eine Kontrollfunktion ausüben“.

ANALYSE: Die „causa Brender"

Auch FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht die Einmischungsversuche kritisch: „Die Parteien sind gut beraten, sich weitestgehend zurückzunehmen.“ „Wenn das durchgeht“, sagte Grünen-Chef und ZDF-Fernsehratsmitglied Cem Özdemir, „dann ist endgültig klar, dass künftig die Unions-Staatskanzleien und das Kanzleramt das ZDF führen und eine unabhängige Berichterstattung damit gefährdet ist". Der Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn fordert: „Wir müssen den Einfluss der Staatskanzleien im öffentlichen-rechtlichen System zurückdrängen.“

Thomas Gruber, Intendant des Bayerischen Rundfunks, sieht jetzt schon „Kollateralschäden am System“. Er hoffe, „dass die Politik noch rechtzeitig erkennt, dass sie hier zu weit geht, und nicht das Verfassungsgericht bemüht werden muss“.

Der Vorstandschef des Medienunternehmens Axel Springer, Mathias Döpfner, sagte, auch früher schon hätten sich Politiker in unzulässiger Weise in journalistische Stellenbesetzungen eingemischt. „Aber es ist noch nie so unverhohlen gemacht worden“, sagte Döpfner in Hamburg bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung „Die Zeit“ und von Deutschlandradio Kultur. In der Unverhohlenheit liege „eine neue Qualität“. „Wenn das so durchgeht und Schule macht, haben wir ein Problem.“

Die Staatsrechtler schrieben in ihrem Brief: „Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert die Rundfunkfreiheit. Sie ist eine wichtige Säule unseres demokratischen Staatswesens. An dieser Säule wird gerade gesägt, und zwar von einigen Mitgliedern des Verwaltungsrats beim ZDF. Nikolaus Brender soll keine oder eine unüblich kurze Vertragsverlängerung als Chefredakteur erhalten, angeblich weil die Quoten im Informationssegment nicht stimmen." Um diese Frage aber gehe es in Wahrheit nicht, hieß es weiter. Es gehe schlicht darum, wer das Sagen, wer die Macht beim ZDF habe. Es handele sich um den offenkundigen Versuch, einen unabhängigen Journalisten zu verdrängen und den Einfluss der Parteipolitik zu stärken.

Damit werde die Angelegenheit zum Verfassungsrechtsfall „und deshalb mischen wir uns ein“. Die Staatsrechtler betonten ausdrücklich, dass Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes die Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks garantiere. „Was geschieht, wenn es die Garantie der Staatsfreiheit nicht gibt, wird uns derzeit am Beispiel anderer europäischer Staaten vor Augen geführt“, hieß es. „Wir appellieren dringend an die Vernunft und die Sachkompetenz aller Vertreter im Verwaltungsrat. Beteiligen Sie sich nicht an der beabsichtigten staatlichen Einflussnahme auf die Wahl des Chefredakteurs. Qualitätsvoller und unabhängiger Journalismus liegt im Interesse aller.“

Das ZDF wollte den Vorstoß nicht kommentieren, man verfolge ihn aber mit Interesse, hieß es am Sonntag. Zuletzt hatte Intendant Markus Schächter seinem Chefredakteur den Rücken gestärkt. Der Verwaltungsrat, so sehen es die Statuten vor, soll „im Einvernehmen mit dem Intendanten“ den Chefredakteur benennen. Brenders Vertrag läuft 2010 aus. Verlängert wird üblicherweise um fünf Jahre. Damit die Personalie den Verwaltungsrat passiert, sind neun der 14 Stimmen nötig. Vor kurzem wurde spekuliert, dass Brenders Vertragsmöglicherweise erst einmal um ein Jahr verlängert würde - dies wurde jedoch dementiert.