Spekuliert wurde darüber seit Tagen, jetzt ist es amtlich: Der bisherigen Bundesumweltminsiter Sigmar Gabriel soll neuer SPD-Chef werden.

Berlin. Mit Leidenschaft, Witz und Mut hat Sigmar Gabriel als Umweltminister seit 2005 gegen die Erderwärmung und die Atomkraft-Lobby gekämpft und dabei an Format gewonnen. Weil sich der 50-Jährige schnell und gründlich in das komplexe Fachgebiet eingearbeitet hat, genießt der Niedersachse inzwischen Respekt - bei Freund und Feind. Lange haftete dem oft forschen „Harzer Roller“ das Image eines Luftikus an, doch selbst hat er nie an sich gezweifelt. Nun winkt unerwartet ein Karriere-Sprung: der SPD-Parteivorsitz.

Die Vorentscheidung fiel am Donnerstag in einer Spitzenrunde in der Parteizentrale, dem Berliner Willy-Brandt-Haus. Unter Leitung des scheidenden Vorsitzenden Franz Müntefering und des gescheiterten Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, der nun Oppositionsführer ist, verständigte sich die engste Führungsriege auf das künftige SPD-Spitzenteam, das sich Mitte November auf dem Parteitag in Dresden zur Wahl stellen soll. Neben Gabriel, der dem rechten Parteiflügel nahesteht, soll die Parteilinke Andrea Nahles als Generalsekretärin wirken und damit Hubertus Heil nachfolgen. Es ist ein Spitzen-Tandem mit Zündstoff, denn Gabriel und Nahles wird bisher ein distanziertes Verhältnis nachgesagt.

Die Karrierekurve des Gymnasiallehrers aus Goslar hatte früh steil nach oben gezeigt, brach aber ebenso steil ab. Schon mit 30 war Gabriel Landtagsabgeordneter, mit 38 niedersächsischer SPD-Fraktionschef. Mit 40 wurde er einer der jüngsten deutschen Ministerpräsidenten, als er Gerhard Schröder und Gerhard Glogowski nachfolgte. Seine politische Reifeprüfung – die Niedersachsenwahl von 2003 – verlor er dann jedoch mit Pauken und Trompeten. Bei Amtsantritt der Großen Koalition 2005 bot ihm Müntefering überraschend den Umweltministerposten an. Gabriel, der bis dahin als SPD-Popbeauftragter viel Spott (“Siggi Pop“) ertragen musste, wühlte sich mit viel Fleiß in die komplexe Thematik hinein und erarbeitete sich Anerkennung. Er erhielt den neckischen Spitznamen „Bio-Tonne“, das Image des Luftikus verblasste.

Mehrmals hat Gabriel zudem im vergangenen Jahr mit strengen Ermahnungen das öffentliche Erscheinungsbild der SPD gerügt und zu Disziplin und Loyalität aufgerufen. Seine inhaltlichen Vorgaben dürften vielen Parteilinken aber nicht schmecken, ähneln sie doch stark der Marschroute Steinmeiers. Gabriel steht nämlich dem SPD-intern als rechts geltenden Seeheimer Kreis und dem Netzwerk nahe, einem Zusammenschluss zumeist jüngerer SPD-Abgeordneter.

Gabriel warnte etwa im vergangenen Jahr, die SPD müsse sich wieder auf die Mittelschicht als „die wahren Leistungsträger Deutschlands“ besinnen und ihnen glaubwürdige Angebote machen. Kern bleibe eine überzeugende Wirtschafts- und Finanzkompetenz. „Eine Reduzierung auf soziale Kompetenz allein wird nicht reichen, zumal dies zwangsläufig auf einen Wettbewerb um die jeweils populärste sozialpolitische Forderung mit der Linkspartei hinauslaufen würde“, warnte er.

Ins Rampenlicht brachten Gabriel die Hiobsbotschaften des Weltklimarates und der Klimaschwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Und er bewies Geschick für grüne Themen: Etwa, als er mit Kanzlerin Merkel einen grönländischen Eisfjord besuchte, in dem von einem riesigen Gletscher abgebrochene Eisberge treiben. Diesen Sommer zog er zufrieden Bilanz. Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, die enorme Steigerung des Umweltetats aus Mitteln des Emissionshandels, die Schaffung Tausender neuer „grüner Jobs“ in der Umwelttechnik: „Das sind die Dinge, auf die wir stolz sind“, sagte Gabriel. Gegenwind kam allerdings von den Grünen. Die Öko-Partei mit Tradition wies darauf hin, dass Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele „krachend“ verfehlen werde.

Doch auch Gabriel selbst spricht Misserfolge offen an, wenn es sein muss: Nach dem UN-Gipfel zum Klimaschutz in New York etwa zeigte er sich enttäuscht und forderte ein weiteres Spitzentreffen der G-20 noch vor der entscheidenden Weltklimakonferenz von Kopenhagen im Dezember. Nun scheint der bodenlose Absturz der SPD zu seinem Haupt-Arbeitsgebiet zu werden. Zuhause im niedersächsischen Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel konnte er immerhin das Schlimmste verhindern: Gabriel gewann das Direktmandat mit 44,9 Prozent der Erststimmen, 7,4 Prozentpunkte weniger als 2005.