Der Tag nach einer Bundestagswahl gehört der Intepretation der Ergebnisse. Die einen Politiker versprechen, die anderen drohen.

Berlin. Am Tag nach einer wichtigen Wahl treffen sich in Berlin die wichtigsten Gremien der Parteien, um die Ergebnisse des Vorabends auszuwerten und erste Überlegungen zu neuen Strategien anzustellen. Auf Pressekonferenz versuchen die Spitzenkräfte der Partein dann, ihre Sicht der dinge der Öffentlichkeit zu vermitteln. So war es auch dieses Mal am Tag nach der Bundestagswa. abendblatt.de hat die wichtigsten Aussagen der einzelnen Politikerinnen und Politiker zusammengetragen:

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU):

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, dass die neue schwarz-gelbe Koalition spätestens am 9. November stehen soll. „Am 9. November, wenn der 20. Jahrestag des Mauerfalls ist, dann würde ich ganz gerne die vielen europäischen Staats- und Regierungschefs und andere Gäste, die kommen, mit einer neuen Regierung begrüßen“, sagte die CDU-Chefin am Montag nach den Sitzungen der Parteigremien in Berlin. „Das wäre kein Fehler.“ Der neue Bundestag muss sich spätestens bis zum 27. Oktober konstituieren.

Die Frage, welche Rolle der unterlegene SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier bis zum Ende der Wahlperiode habe, brachte die Kanzlerin dagegen leicht in Verlegenheit. Sie könne sich nur schwer vorstellen, dass ein Fraktionsvorsitzender gleichzeitig auch Außenminister sein könne, sagte Merkel. Sie habe aber auf jeden Fall nichts dagegen, wenn Steinmeier bis zum Ende der Legislaturperiode Vizekanzler bleibe. Steinmeier soll nach bisheriger Planung schon an diesem Dienstag von der SPD-Fraktion zum Nachfolger von Peter Struck als Fraktionschef gewählt werden. „Man kann nicht gleichzeitig Außenminister und Fraktionsvorsitzender sein“, sagte die Kanzlerin.

Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen mit der FDP vermied die Kanzlerin zunächst eine klare Festlegung zu längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Union werde sich mit der FDP über das Thema unterhalten: „Jetzt schauen wir mal, was wir daraus machen“, sagte Merkel. Sie habe aber nicht die Absicht, ihr Regierungsprogramm zu widerrufen. Darin hat sich die Union zu längeren Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke bekannt. Umweltschützer fürchten, dass die Atomindustrie mit längst abgeschriebenen, alten Meilern Milliarden-Zusatzgewinne einstreichen will.

Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier (SPD):

Einen Tag nach dem Wahldebakel hat SPD-Chef Franz Müntefering seine Bereitschaft zum Rückzug von der Parteispitze signalisiert. Die SPD werde bis zur „übernächsten Woche“ ein Personaltableau für den im November geplanten SPD-Bundesparteitag in Dresden vorlegen, kündigte der 69-Jährige nach mehrstündigen Sitzungen der SPD-Spitzengremien am Montag vor der Presse in Berlin an. Beim Dresdner Parteitag stehen turnusgemäß Vorstandsneuwahlen an.

„Ich habe deutlich gemacht, dass ich als Parteivorsitzender um meine Verantwortung weiß“, sagte Müntefering, der erst vor einem Jahr das Amt von seinem gescheiterten Vorgänger, dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, übernommen hatte. Er halte es jedoch für „völlig falsch wegzulaufen“. Zu Spekulationen über seinen Abschied vom SPD-Vorsitz befragt sagte Müntefering, dies sei „nah an der Wahrheit“. Endgültig äußerte sich Müntefering, der die Partei bereits zum zweiten Mal führt, nicht. „Ich will mithelfen, dass wir uns in den nächsten Tagen und Wochen aufstellen für die dann kommende Zeit“, sagte er.

Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, der an diesem Dienstag zum neuen SPD-Fraktionschef gewählt werden soll, hatte zuvor im SPD-Präsidium vor personellen Schnellschüssen gewarnt. In der anschließenden Vorstandssitzung wurde nach dpa-Informationen deutliche Kritik an Münteferings Wahlkampfkonzept geübt. Mehrere Teilnehmer forderten eine inhaltliche Aufarbeitung auch strittiger Themen in der Partei wie Rente mit 67 und Zukunft des Afghanistan-Einsatzes.

Guido Westerwelle (FDP):

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle strebt nach dem Erfolg der Liberalen bei den Bundestagswahlen die schnelle Einigung auf eine gemeinsame Regierung mit der Union an. „Wir werden jetzt zügig die Koalitionsgespräche führen, aber auch gründlich“, sagte Westerwelle. „Deutschland hat sich für klare Verhältnisse entschieden“, fügte Westerwelle mit Blick auf die klare Mehrheit für ein schwarz-gelbes Regierungsbündnis im künftigen Bundestag hinzu. Westerwelle kündigte an, bei der konstituierenden Sitzung der neuen FDP-Fraktion am Dienstag erneut für den Vorsitz zu kandidieren, um dann als Partei- und Fraktionschef die Koalitionsverhandlungen mit der Union zu führen. Er ließ erneut offen, welche Ressorts die Freien Demokraten in einer schwarz-gelben Regierung beanspruchen könnten. Neben der Wirtschafts- und Steuerpolitik nannte der FDP-Chef auch Bildung, Bürgerrechte, Umwelt und Abrüstungspolitik als wichtige Themen für die Liberalen.

Claudia Roth und Cem Özdemir (Grüne):

Die Grünen wollen sich als harte, aber sachbetonte Opposition gegen Union und FDP für die kommenden Wahlkämpfe in Stellung bringen. Führende Parteivertreter äußerten sich angesichts des 10,7-Prozent-Rekordes selbstbewusst, aber auch enttäuscht, weil die Grünen das Wahlziel verfehlten, Schwarz-Gelb zu verhindern. „Das ist sehr, sehr bitter“, sagte Parteichefin Claudia Roth. Auch den angestrebten dritten Platz unter den Parteien verfehlten die Grünen deutlich und wurden erneut kleinste Oppositionskraft. „Aufgrund der Schwäche der SPD werden wir jetzt schauen müssen, dass wir die Rolle des Oppositionsführers ausfüllen im nächsten Deutschen Bundestag“, sagte Parteichef Cem Özdemir dennoch. „Das werden wir allein nicht schaffen, das werden wir nur schaffen mit breiten gesellschaftlichen Bündnissen.“ Roth ergänzte: „Opposition ist angesagt – und zwar knallgrün, aber nicht eine Lautsprecher-Opposition“.

Spitzenkandidat Jürgen Trittin stimmte die Partei auf die kommenden Wahlkämpfe an: „Wir können und müssen dafür sorgen, dass Schwarz-Gelb nicht im Bundesrat eine Mehrheit hat.“ Er erläuterte: „Wir wollen, dass die schwarz-gelbe Mehrheit in Nordrhein-Westfalen beendet wird.“ Dort wird im kommenden Mai gewählt. „Wir haben Schwarz-Gelb nicht verhindern können, weil selbst unser Rekordergebnis nicht ausreichte, um die Rekordverluste der SPD auszugleichen“, sagte Trittin. Spitzenkandidatin Renate Künast räumte ein: „Wir hatten uns natürlich ein anderes Ergebnis noch gewünscht, aber wir sind immerhin größer geworden.“ Einen Kurswechsel erwarte sie nicht. „Wir haben ja längst angefangen damit, zu wissen, dass wir Mitte-Links uns aufstellen müssen.“ Sie ergänzte: „Wir haben Umwelt, Klima, Wirtschaft und den Faktor Arbeit miteinander verbunden. Ich denke, dass wir in dem Bereich weitermachen werden.“

Horst Seehofer (CSU):

CSU-Chef Horst Seehofer kündigte CDU und FDP harte Koalitionsverhandlungen an. „Wir wollen, was wir im Wahlkampf in Aussicht gestellt haben, so stark wie möglich zum Tragen bringen. Das wird unsere Richtschnur sein“, sagte Seehofer in München. Der Parteivorstand habe „sehr stark auf die Glaubwürdigkeit der CSU in den Koalitionsverhandlungen Wert gelegt“, sagte Seehofer. Steuerentlastungen und der Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft in Bayern seien zentrale Forderungen der CSU und sollten auch in den Koalitionsverhandlungen eine zentrale Rolle spielen, sagte der bayerische Ministerpräsident: „Wir werden sehr dafür kämpfen, dass es in die Koalitionsvereinbarungen kommt.“ Die CSU hatte die Senkung der Einkommensteuer 2011 und 2012, die Senkung der Mehrwertsteuer für Handwerk und Gastronomie und Korrekturen der Erbschafts- und Unternehmenssteuer gefordert. In einem Vier-Augen-Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel werde er am Dienstag den weiteren Fahrplan und die Delegation für die Koalitionsverhandlungen mit der FDP besprechen, sagte Seehofer und fügte hinzu: „Ich werde für die CSU diese Verhandlungen führen.“ Der CSU-Landesgruppe werde er den bisherigen Chef Peter Ramsauer am Dienstag zur Wiederwahl vorschlagen.

Oskar Lafontaine (Linke):

Linkenchef Oskar Lafontaine will Union und FDP über den Bundesrat das Regieren schwermachen. „Wir schlagen vor, dass die Parteien SPD, Grüne und die Linke den Bundesrat im Auge haben und über den Bundesrat Widerstand gegen den Sozialabbau organisieren“, sagte der Politiker. Die FDP werde ihr Heil darin suchen, soziale Kürzungen vorzuschlagen, um die aus dem Ruder laufenden Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen. Und das werde dann die Auseinandersetzung der nächsten Monate bestimmen. Zum Abschneiden seiner ehemaligen Partei SPD sagte Lafontaine: „Da kann man ja nicht zufrieden sein, denn die Tatsache, dass viele sozialdemokratische Wähler zuhause geblieben sind, führte zu einer überraschenden bürgerlichen Mehrheit, die ja eigentlich in der jetzigen Zeit, wenn man so will, paradox ist.“ Denn jetzt gehe es darum, dass der Staat die Wirtschaft rette und dass die Banken reguliert würden. In einer solchen Zeit sollte „man eigentlich nicht Parteien beauftragen, die das Gegenteil in den vergangenen Jahren vertreten haben“.

Linken-Chef Lothar Bisky sagte, er freue sich nicht über das Absacken der SPD. Das habe sie sich aber selber erarbeitet, weil sie nicht mehr kenntlich sei. „Die SPD ist so mit der CDU zu verwechseln, dass sie sich nicht zu wundern braucht. Wenn sie ihr Profil wiederfindet als sozialdemokratische Partei, sich also resozialdemokratisiert, dann hat sie auch wieder eine Chance.“ Bisky äußerte Zweifel, ob eine Erneuerung der SPD mit dem alten Personal geschehen könne. „Selbst Müntefering kann sich erneuern, wenn er will. Die Frage ist, ob er will. Ich glaube nicht.“