Dieter Althaus, Stanislaw Tillich und Peter Müller (alle CDU) regieren in Thüringen, Sachsen und im Saarland. Jetzt müssen sie um ihre Macht fürchten.

Hamburg. Gibt man bei Google die Namen Müller und Lafontaine ein, landet man in der Trefferliste ausgerechnet bei Christa Müller, der Gattin von Oskar Lafontaine. Das kann einem Ministerpräsidenten, der auch Müller heißt, kaum gefallen. Erst recht nicht, wenn dieser Ministerpräsident Müller sehr gern in der Öffentlichkeit über Oskar Lafontaine redet. Peter Müller sagt etwa, das Saarland werde zur Lachnummer der Republik, sollte „der Oskar“ der nächste Ministerpräsident werden. „Der Peter“ selbst würde auch zur Lachnummer werden, wenn er diese Wahl verliert. Gegen einen wie Lafontaine darf das nicht geschehen.

Müller könnte gleichwohl in die Geschichte eingehen als der Regierungschef, der das erste Linksbündnis in einem westdeutschen Flächenland nicht zu verhindern wusste. Sogar als derjenige, dessen Wahlergebnis am Ende die Strategien von Union und SPD im Bundestagwahlkampf erschütterte. Es wäre seine Katastrophe.

Es ist heiß und schwül an diesem Mittag im Landkreis Neunkirchen, als der Regierungschef wandern geht. Er legt ein ordentliches Tempo vor. Wasser hat er nicht dabei. Vom Dorf Welschbach über die Dörfer Hirzweiler und Hüttigweiler zurück nach Welschbach führt sein Weg. Ein ziemliches Auf und Ab durch Wald und Wiesen ist das. Wer ein paar Takte mit dem Ministerpräsidenten reden will, und das wollen ziemlich viele, muss mit ihm Schritt halten. Dafür redet Müller dann auch wirklich mit jedem.

Der "Oskar" ist im Saarland das große Thema

„Ich komme mit den Leuten ins Gespräch, und das total stressfrei“, sagt er. In seinem Schlepptau versuchen 200 weitere Wanderer, darunter Landtagsabgeordnete, ein Minister und Lokalpolitiker aller Parteien, mal an ihn heran zu kommen. Nur die Linkspartei ist nicht dabei. Das muss sie auch nicht. „Der Oskar“ ist auch so das große Thema bei Müllers Wanderung. Der Ministerpräsident spricht über den Linken-Spitzenkandidaten bei Kilometer zwei, bei Kilometer fünf und auch noch mal bei Kilometer acht auf der neun Kilometer langen Strecke. Dass „der Oskar“ von gestern sei und dass das erste Spitzenduell mit dem Oskar vor ein paar Wochen „easy“ gewesen sei, sagt er. Und immer wieder: „Oskar Lafontaine ist die personifizierte Vergangenheit.“

Peter Müller findet diesen Wahlkampf richtig gut. Dabei ist seine politische Zukunft so unsicher wie noch nie. Die absolute Mehrheit, mit der er seit 1999 regiert, wird er den Umfragen zufolge verlieren. Selbst für Schwarz-Gelb wird es eng. Die CDU käme derzeit auf 36 Prozent, die FDP auf neun Prozent. Die SPD hat sich mit 27 Prozent klar von der Linkspartei (18 Prozent) abgesetzt. Die Grünen kommen auf sieben Prozent und sind das Zünglein an der Waage.

Müller könnte auch mit der SPD eine Große Koalition eingehen. Aber das geht nur, wenn Lafontaine schwach abschneidet. Also ist Müllers Feindbild der Oskar und gar nicht so sehr der ewig blasse SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas. Der wiederum liebäugelt inzwischen auch öffentlich mit Rot-Rot-Grün und bekommt dafür Rückendeckung von Parteichef Franz Müntefering: Er habe „keine Sorgen“ angesichts eines Bündnisses mit Lafontaines Truppe, sagte Müntefering vor kurzem. Sorgen haben bei dieser Konstellation eher die Grünen, die für eine Ampel unter Maas werben. Im Saarland ist alles möglich nach dem 30. August. Auch das Ende von Peter Müller.

Er hatte eigentlich schon vor vier Jahren genug vom kleinsten Flächenland der Republik. Er war Angela Merkels Schattenminister für Wirtschaft und Arbeit, er war der Gegenspieler von Superminister Wolfgang Clement. Dann kam die Große Koalition, und für Müller war doch kein Platz mehr am Kabinettstisch. Seitdem heißt es, er agiere recht lustlos und sei amtsmüde. Der Ministerpräsident mag das Thema nicht. Er weicht mit Humor aus: „Ab und zu ist selbst der Müller müde. Dann sind die anderen aber längst erschöpft in Tiefschlaf gesunken“, sagt er dem Hamburger Abendblatt.

Allein „mangels sachlicher Kritikpunkte“ versuche es die Opposition mit der Legende von der Amtsmüdigkeit, fügt der Ministerpräsident hinzu. „Aber ich will noch viel bewegen und mindestens fünf Jahre weiter regieren.“ Was soll er anderes sagen? Müller ist erst 53 Jahre alt. Vier Wochen nach der Landtagswahl wird im Bund gewählt. Selbst wenn die Kanzlerin ihn bitten würde, würde er wohl nein sagen. „Mich zieht es nicht nach Berlin“, sagt er und blickt dabei entspannt über die sanften, saftigen Hügel seines kleinen Saarlands. Die Hauptstadt ist von hier aus sehr weit weg, nicht nur geographisch.

„Man muss auch mal einen Sturm aushalten“

Vor ein paar Monaten, da war die Hauptstadt dafür ganz nah bei einem anderen wahlkämpfenden CDU-Ministerpräsidenten. Das Konrad-Adenauer-Haus rief in der sächsischen Staatskanzlei in Dresden an. Ob man irgendwie helfen könne, ob die Merkel oder der Pofalla etwas tun oder sagen sollten, wollte man in Berlin wissen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich lehnte jegliche Hilfe aus Berlin ab. Er wollte allein die Debatte um seine Vergangenheit durchstehen. „Man muss auch mal einen Sturm aushalten“, sagt er. Vielleicht hatte er sich da verschätzt. Der Wahlkämpfer Tillich hat es jetzt vor allem mit sich selbst und seiner eigenen Geschichte zu tun. Und seine Gegner wittern wieder Morgenluft.

Als im November 2008 Details aus Tillichs DDR-Karriere publik wurden, war das die erste Bewährungsprobe für den seit einem halben Jahr amtierenden ersten ostdeutschen Regierungschef Sachsens. Es ging um einen Fragebogen, den Tillich 1999 vor seinem Amtsantritt ins Kabinett Biedenkopf ausgefüllt hatte. Bei der Frage nach herausgehobenen Funktionen in der DDR schrieb er: „Handel und Versorgung, Mitglied d. R. d. Kr.“ Das war zwar formal richtig, aber nicht die ganze Wahrheit:

Von Mitte 1989 bis Mitte 1990 war Tillich, damals schon Mitglied der SED-treuen CDU, sogar stellvertretender Vorsitzender des Rates im sächsischen Kreis Kamenz, zuständig für Handel und Versorgung. Wie politisch dieser Posten war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Auch darüber, wie sehr Tillichs monatelanges Taktieren und Zögern ihm geschadet haben, bis er vor einigen Wochen den Fragebogen nach steigendem Druck von Medien und politischer Konkurrenz endlich veröffentlichte. Der Befreiungsschlag kam zu spät, um die Diskussion zu beenden.

Tillich wird die Fragen nach seiner Vergangenheit nicht los

Tillich wird die Fragen um seine Vergangenheit auch in der heißen Wahlkampfphase nicht mehr los. „Ich kann mich nicht über Öffentlichkeit beschweren“, sagt er und klingt dabei ein bisschen gequält. Der Ministerpräsident sitzt in einem Restaurant direkt neben der Nikolaikirche, der Ort, an dem vor 20 Jahren die friedliche Revolution ihren Lauf nahm. Er würde gern mehr über die Wiedervereinigung, ihre Folgen und das Zusammenwachsen von Ost und West sprechen. Aber dazu kommt er zu selten. Tillich führt einen Rechtfertigungskampf um die eigene Person, den er für unnötig hält. „Die SED hat damals die Politik in der SED-Diktatur bestimmt“, sagt er genervt. Er sei als Ratsmitglied des Kreises „der Mangelverwalter“ gewesen.

Eigentlich ist Tillich nach Leipzig gefahren, um für den Tourismusstandort zu werben. Er hat ein gutes Dutzend Stadtführer getroffen und Sehenswürdigkeiten besichtigt. Viele schöne Bilder des stets gebräunten Regierungschefs sind dabei entstanden. „Die Menschen in Sachsen sind durch meine Vergangenheit in der DDR nicht irritiert. Sie haben verstanden, dass es hier nicht um Aufklärung, sondern eine Kampagne geht“, sagt er.

Die Wahlumfragen geben ihm derzeit Recht. Im Moment käme die CDU auf 42 Prozent, die FDP auf elf – das würde zum gemeinsamen Regieren reichen. Die Liberalen sind Tillich weitaus lieber als sein jetziger Koalitionspartner SPD. Aber mit den Sozialdemokraten würde er auch weitermachen, vielleicht auch auf die Grünen zugehen. Tillich ist kein Scharfmacher und mag keine Konflikte. Der Sohn eines leitenden SED-Funktionärs mit sorbischen Wurzeln sucht noch seine Rolle. Über seine frühere sagt er demütig: „Ich war damals kein Held.“ So will er seine Gegner entwaffnen.

Sein Hauptgegner ist André Hahn, Fraktionschef der Linken im Landtag und Spitzenkandidat für den 30. August. Er will Tillich als Regierungschef ablösen und mit der SPD und den Grünen zusammen ein Linksbündnis eingehen. Theoretisch kann er das schaffen. „25 Prozent plus X“ lautet sein Wahlziel. Er muss dafür noch Mobilisierungsarbeit leisten. Aber das Ergebnis von 2004, als die PDS auf der Zielgeraden 23,6 Prozent holte, bestärkt seinen Optimismus. Die Linke steht derzeit nur bei 17 Prozent, die SPD bei 14, die Grünen bei sieben: Für ein Linksbündnis müssten die drei Parteien noch zulegen. Hahn gibt sich vorsichtshalber bescheiden: „Von Thüringen wird zurzeit eher eine rot-rote Regierung erwartet.“

Rot-Rot in Thüringen?

Weil dies so ist, wird auch der Wahlkampf in Thüringen schon jetzt mit besonderer Schärfe geführt. Noch regiert Dieter Althaus mit absoluter CDU-Mehrheit. Die wird er Umfragen zufolge verlieren. Die CDU steht bei 40 Prozent. Linke und SPD kämen derzeit auf 24 und 16 Prozent der Stimmen. Die FDP mit sechs Prozent und die Grünen mit sechs Prozent würden wieder in den Landtag ziehen. Es wird eng zwischen Rot-Rot-Grün und Schwarz-gelb. Dieter Althaus muss also kämpfen. Rund 100 Auftritte will er insgesamt absolvieren. Er weiß, dass es um sein politisches Überleben als Ministerpräsident geht. Noch läuft er sich warm.

Als er am vergangenen Freitag in Meiningen seine Auftritts-Tournee eröffnet, ist der Marktplatz vielleicht zu einem Drittel gefüllt. Ein wenig hölzern und mit beiden Händen ans Mikro geklammert spricht Althaus auf der Bühne nur noch von einer „Gestaltungsmehrheit“ für Thüringen und darüber, dass man im Osten sehr wohl die von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften habe, in Thüringen sogar doppelt so viele Autobahnkilometer wie 1990 und dazu eine Luft, die man gerne wieder atme. Er dankt seiner Stellvertreterin Birgit Diezel für die Zeit, „in der ich schwer verletzt im Krankenhaus lag“. Mehr Reflexion gibt Althaus auf der Wahlkampf-Bühne nicht preis.

Noch vor vier Monaten war der Ministerpräsident in klinischer Behandlung. Drei Monate dauerte die Rehabilitation. Auch deshalb muss er sich Fragen nach seiner Gesundheit gefallen lassen. Die lässt er über sich ergehen. An den Skiunfall am Neujahrstag, bei dem eine Frau starb, kann er sich ohnehin nicht erinnern. Dafür spricht er viel über das Ereignis. Als er vor kurzem der „Bild am Sonntag“ erzählte, dass der „Unfall ein Schub für mehr Sensibilität“ gewesen sei, und es für ihn sehr wichtig gewesen sei, am Grab der getöteten Frau beten zu können, da platzte der Opposition der Kragen.

Der sonst so zurückhaltende SPD-Spitzenkdandidat Christoph Matschie warf Althaus „schamlose Selbstinszenierung im Wahlkampf“ vor. „Er bricht damit den Konsens, den Unfall nicht zum Wahlkampfthema zu machen“, sagte er „Spiegel Online“. Auch Linken-Spitzendandidat Bodo Ramelow zeigte sich empört. Nur Althaus kann die Aufregung nicht nachvollziehen. „Der Skiunfall ist in Interviews immer mal ein Thema, das von Journalisten aufgegriffen wird“, verteidigt er sich, während er sich in seinem angemieteten Wahlkampf-Reisebus nach der Marktplatzrede kurz entspannt. Mit seinem Amt und seinem Wahlkampf sollen seine Äußerungen nichts zu tun haben. „Ich bete jeden Tag und denke an Frau Christandl, ihren Sohn und den Ehemann. Aber das sind private Gedanken, und die haben auf meine tägliche Arbeit keinen Einfluss.“

Unfreiwillige Wahlkampfhilfe für die Linke

Seine tägliche Arbeit ist derzeit der Kampf um Wählerstimmen. „Die Frage lautet: Dieter Althaus oder Bodo Ramelow als Ministerpräsident?“, sagt er gelassen. Als ob sich der Wähler zwischen Urlaub auf den Malediven oder in Wanne-Eickel zu entscheiden habe. Als ob seine Abwahl und Rot-Rot in Erfurt keinerlei Einfluss auf den Bundestagswahlkampf hätten. Ganz so entspannt wie Althaus geht seine Anhängerschaft nicht mit Ramelow um. Die CDU zog bereits ein Postkartenmotiv der Jungen Union (JU) aus dem Verkehr, in dem Ramelow unter dem Slogan „Keiner von uns - keiner für uns“ wegen seiner westdeutschen Herkunft angegriffen wird. Das Motiv zeigt als „echte Thüringer“ eine Bratwurst, als „falschen Thüringer“ den in Niedersachsen geborenen Ramelow.

Gegen eine andere JU-Kampagne, die Aktion „Stoppt Ramelow“, ist der Linken-Politiker juristisch vorgegangen. Auf Flyern der JU steht, Ramelow wolle „die drei alten DDR-Bezirke wieder einführen“ und „alle Gymnasien in Thüringen schließen“. Gegen diese „Lügen“ habe er eine Einstweilige Verfügung an einem Berliner Gericht beantragt, so Ramelow. Für ihn steht der wahre Schuldige der Kampagne fest: Dieter Althaus. Der Regierungschef habe es nicht geschafft, seiner „Krabbelgruppe“ Einhalt zu gebieten, meint Ramelow.

Die unfreiwillige Wahlkampfhilfe der Jungunionisten hat ihm noch mehr Selbstbewusstsein gegeben – spätestens jetzt weiß er, dass die CDU wirklich Angst vor ihm hat. Der Fraktionsvize im Bundestag war bereits 2004 gegen Althaus angetreten und hatte 26 Prozent erzielt. Jetzt ist der Einzug in die Staatskanzlei näher denn je.

Dort wird auch Althaus in den verbleibenden Tagen bis zu Wahl kaum zu sehen sein. In einem angemieteten Reisebus reisen er und sein Team durch das Land. Nach der Rede in Meiningen zieht sich Althaus kurz in den Bus zurück. Ein Schluck Wasser, einmal durchatmen, einmal dem Lärm der Wahlkampfparty entkommen. „Es wird eine zugespitzte Auseinandersetzung, aber kein schmutziger Wahlkampf“, sagt er und schaut dabei zur Bustür, die offen steht. Dieter Althaus hält es kaum auf seinem Sitz. Er will schon wieder hinaus. Draußen sind schließlich Menschen, die Bodo Ramelow wählen könnten.