Deutschland ist geschockt von den Bildern aus Afghanistan. Doch was geht in den jungen Soldaten vor, die am Hindukusch ihren Dienst tun, irgendwo zwischen Routine und Tod?

Hamburg - Wenn der deutsche Obergefreite auf einem afghanischen Knochenacker den dänischen Prinzen Hamlet gibt, dann droht eine Tragödie. Bundeswehrsoldaten als Leichenschänder: Diese griffige Zeile schlägt wie eine Hohlladung in das blank polierte Selbstverständnis der deutschen Streitkräfte ein. Hamlets bange Totenkopf-Frage nach Sein oder Nichtsein stellt sich nun in Hinsicht auf die Karriere der fotofreudigen Schwachköpfe. Aber sind dies nun extreme Einzelfälle, oder ist gar die ganze Expeditions-Truppe unter dem Eisernen Kreuz der Bundeswehr aus dem Ruder gelaufen?

Die Vorgänge in Afghanistan sind geschmacklos, nach deutschem Recht strafbar und müssen Konsequenzen haben. Und doch ist es kaum anzunehmen, dass die jungen Soldaten bewusst die Totenruhe gestört haben. Sie waren einfach dem permanenten Druck der risikoreichen Situation in Afghanistan nicht gewachsen. Und unter Druck haben sich Soldaten immer ein Ventil gesucht. Selbst in der Sicherheit der heimischen Garnison.

Rückblende. Es ist der Beginn der Siebzigerjahre. Und es herrscht Krieg. Jedenfalls in den Köpfen der jungen Soldaten eines Jägerbataillons an der Ostsee. Man hat ihnen immer wieder eingeschärft, dass sie für einen entsetzlichen Ernstfall trainieren, der jederzeit eintreten könne. Der Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag liegt noch nicht lange zurück.

Vor allem die hartgesottenen Mannschaftsdienstgrade der 2. Kompanie, der Kampfkompanie des Bataillons, leben viele Stunden des Tages in dieser Lage. Und sie sind äußerst schlichte Gemüter. Als der Autor dieser Zeilen, damals ein junger Offiziersanwärter, nach dem Olympia-Attentat von München einen Unterricht über die verantwortliche palästinensische Terrororganisation mit den Worten einleitet: "Meine Herren, ich werde ihnen jetzt erläutern, wie gefährlich der Schwarze September ist", entgegnet ein Hauptgefreiter: "Ich trinke seit Jahren Goldener Oktober, und der ist mir immer gut bekommen."

Dauerstress und Langeweile münden in plötzliche Ausraster

Wenn derartige Typen ständig in ein virtuelles Kriegsszenario gestellt werden, steigt der Druck im Kessel immens. Immer wieder wird den Jägern eingehämmert, dass sie im Ernstfall gegen die Elite der Gegenseite antreten. Die Auswirkung von Dauerstress und mangelnder sinnvoller Ablenkung an einem Einödstandort, kombiniert mit den rauen Regeln einer Männergesellschaft, münden nicht selten in plötzliche Ausraster.

Einmal glauben die Raubeine der 2. Kompanie einen Außenseiter entlarvt zu haben. Sie schließen ihn in einen Spind und werfen ihn mitsamt dem Möbelstück aus dem 1. Stock. Der Spind erleidet bei dem Fenstersturz Totalschaden, der unglückliche Insasse bleibt weitgehend intakt.

Ein anderes Mal schließt der zivile Kantinenpächter seinen Laden vor der Nase der 5. Kompanie, die gerade völlig erschöpft hereinschlurft, mit den Worten "Jetzt ist geschlossen!" Einer der schwankenden Gestalten läuft zurück zu seinem Kanonenjagdpanzer und rammt mit der 90-Millimeter-Kanone des 500 PS starken Ungetüms die Tür der Kantine auf. "Jetzt ist wieder geöffnet."

Jeder Soldat kann Geschichten dieser Art erzählen. Soldaten leben in einem eigenen Kosmos. Der abwechselnd harte, dann wieder eintönige Dienst, die ständige Übung mit tödlichen Waffen, die gedankliche Dauerkonfrontation mit dem Tod schaffen ein latent aufgeladenes Klima. Hinzu kommt die Gruppendynamik eines martialischen Männer-Bundes. Seit Jahrtausenden ist sie gültig: Wer sich hier als Erster bewegt, hat gewonnen. Und wer am meisten Mut zeigt, ist der Leitwolf. Es entsteht ein bisweilen gefährlicher Sog innerhalb der Gruppe.

Die Freiheit, Politiker-Rechnungen mit seinem Leben zu bezahlen

Um wie viel stärker ist all dies in einem potentziell tödlichen Einsatzland wie Afghanistan! Viele der Afghanistan-Soldaten haben bereits entsetzlich verstümmelte Tote gesehen. Schillers Behauptung aus "Wallensteins Lager", nur der Soldat sei ein freier Mann, da er dem Tod ins Angesicht schauen könne, darf angezweifelt werden. Der Soldat ist vielmehr derjenige, der offene Politiker-Rechnungen mit seinem Leben bezahlen darf. Natürlich ist das Bild eines Skeletts mit BundeswehrBarett und Pistole eine unerträgliche Herabwürdigung der Toten. Doch nur oberflächlich gesehen geht es hier um einen geschmacklosen "Scherz" unter Soldaten. Möglicherweise bedeutet eine solche Tat für einen psychisch überforderten Soldaten einfach: Du könntest einer von uns sein. Und mir könnte es bald genauso gehen wie dir.