Eine Affäre aus dem Innenleben der katholischen Kirche erschüttert den Vatikan. In Rom macht das Wort vom Aufstand gegen den Papst die Runde.

Es gibt ein Hotel hinter den dicken Mauern des Vatikans. Unerreichbar für gewöhnliche Sterbliche liegt dort das Domus Sanctae Marthae in abgeschiedener Stille an der Südseite des Petersdoms hinter der Audienzhalle. Die Kardinäle, die hier übernachten, müssen nach links schauen, sobald sie aus dem Hotel nach draußen treten, denn von der Tankstelle brausen die Vatikan-Mitarbeiter vorbei, die den Billigsprit des Papstes (1,30 Euro pro Liter) tanken dürfen. Doch in diesen Tagen gehen die kirchlichen Würdenträger ohne aufzuschauen aus dem Hotel. Sie meiden den Blick nach links zur Tankstelle, denn dahinter liegt die Polizeiwache des Vatikans, und in der sitzt seit einer Woche in einer der beiden Zellen der ehemalige päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele, 46.

Natürlich wissen die kirchlichen Würdenträger, was die vatikanischen Polizisten denken, die ihnen zusehen, wenn sie das Hotel verlassen, weil das im Vatikan derzeit alle denken: Einige der Kardinäle in purpurrotem Outfit haben den guten alten Paolo Gabriele dazu benutzt den Papst auszuspionieren, die Frage ist nur, wer das war.

Die Verhaftung eines Verräters bedeutet im Vatikan allein deswegen schon eine Ungeheuerlichkeit, weil es 143 Jahre her ist, dass ein Papst zum letzten Mal Verräter festnehmen ließ. Am 10. Dezember 1868 befahl Papst Pius IX., einige Spione hinzurichten. Vergeblich flehte der italienische König Viktor Emanuel damals um ihr Leben. Eine Hinrichtung muss Paolo Gabriele nicht befürchten, auch im Vatikan ist die Todesstrafe abgeschafft, aber eine Gefängnisstrafe bis zu 30 Jahren könnte ihm drohen.

Neue geheime Vatikan-Dokumente aufgetaucht

Benedikt XVI. – der deutsche Papst wird 85

Die Zeichen sind eindeutig, es gibt einen Aufstand gegen Papst Benedikt XVI. Die Kirchenregierung (Kurie) hat eine regelrechte Revolte angezettelt. Einen Aufstand solchen Ausmaßes gab es zum letzten Mal im Jahr 1870, damals verließen 60 Kardinäle aus Protest gegen das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes den Petersdom.

Dass sich Joseph Ratzinger der Macht der Kurie ausgeliefert hat, lässt sich nicht mehr übersehen. Es rächt sich jetzt sein größte Schwäche: die leidenschaftliche Liebe für das einsame Studierzimmer. Joseph Ratzinger hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er keinerlei Interesse habe, den Thron des Papstes zu besteigen und sich mit der Kurie herumzuschlagen. Seine Wahl verglich er mit seiner Enthauptung. "Als das Fallbeil fiel", sagte er im Jahr 2005 und verglich seine Einsetzung in das Amt zum 264. Nachfolger Petrus' mit dem Ende seines Lebens. Joseph Ratzinger, 85, wusste ganz genau, warum er nicht der richtige Mann war, um es mit der mächtigen Kurie aufzunehmen. Er hat einfach viel zu wenige Freunde und Verbündete im Vatikan.

Der stille Theologe aus Bayern liebte die Ruhe seines Arbeitszimmers, seine engsten Freunde waren seine Bücher. Freundschaften mit echten Menschen, die im Vatikan zählten, unterhielt er nur eine. Und genau das wird dem Papst jetzt zum Verhängnis.

In den 24 Jahren seiner Amtszeit in Rom als Präfekt der Glaubenskongregation freundete sich Joseph Ratzinger nur mit einem Mitarbeiter wirklich an, dem langjährigen Bischof von Genua, Tarcisio Bertone, 77. Immerhin arbeiteten sie zehn lange Jahre zusammen. Die Fehler dieses Mannes und der offene Hass gegen ihn scheinen den Papst jetzt mitzureißen.

Der fußballvernarrte Bertone hatte Joseph Ratzinger immer geschmeichelt, indem er ihn den "Beckenbauer der Theologie" nannte. Die Entscheidung des Papstes, ausgerechnet Bertone zum Staatssekretär zu ernennen, bedeutete ein riesiges Problem, aber in Ermangelung anderer Lösungen tat Benedikt XVI. es trotzdem.

Der Kardinalstaatssekretär im Vatikan ist vor allem der Chef aller Diplomaten des Staates des Papstes. Er muss eine lange Erfahrung als Diplomat hinter sich haben, doch Bertone hatte von Diplomatie keine Ahnung. Sein Hauptproblem war, dass er im Staatssekretariat niemanden gut kannte, keine Freunde, kein Netzwerk besaß. Aber damit nicht genug: Eine einfache Grundvoraussetzung für einen Chef der Diplomatie ist es, Englisch sprechen zu können, aber Kardinal Bertone kann kein Englisch. Helfen lassen wollte sich Tarcisio Bertone in dem neuen Job offenbar auch nicht. Statt sich in Ruhe von einem Fachmann einarbeiten zu lassen, schmiss er den wichtigsten Mitarbeiter im Staatssekretariat, Kardinal Giovanni Lajolo, an dem Tag raus, als er selber völlig unerfahren das Amt antrat.

Wenn Bischof Carlo Maria Viganò, 71, nicht so fleißig gewesen wäre, hätte es vermutlich nie einen Aufstand gegen Bertone und dieses Komplott gegen den Papst gegeben. Papst Benedikt XVI. hatte den tüchtigen Viganò zum Chef des Gouvernatorates gemacht. Es ist nichts weiter als die Verwaltungszentrale. Dort werden Gehaltsforderungen verhandelt, Aufträge vergeben und der gigantische Immobilienbesitz des Vatikans verwaltet. Carlo Maria Viganò stellte alles auf den Kopf und entdeckte einen gewaltigen Sumpf von Korruption, mitten im Reich des Mannes, der sich Vikar Jesu Christi nennen darf. Die korrupten Kirchenmänner, die Viganò erwischt hatte, wandten sich in ihrer Not an Papst-Freund Bertone. Sie forderten: Nimm Viagnò aus seinem Amt und schicke ihn weg, weit weg.

Genau das tat Tarcisio Bertone. Statt ihn zu belohnen, weil er begonnen hatte, die Korruption zu bekämpfen, wurde Viganò im Frühjahr 2012 weggeschickt über den Atlantik nach Washington. Empört schrieb Viganò einen Brief an den Papst, in dem er sich beklagte, dass man ihn strafversetzt habe, weil er angefangen hatte, den Korruptionssumpf trockenzulegen. Die Gegner Bertones wussten, dass dieser Brief an den Papst eine vernichtende Waffe darstellt, um dem Kardinalstaatssekretär empfindlich zu schaden. Das Problem war, wie man an den Brief herankommen könnte.

Alle geheimen Unterlagen für den Papst landen in seinem Vorzimmer: Dort stehen drei Tische: Der Schreibtisch des Privatsekretärs Dr. Georg Gänswein, 55, der von Alfred Xuereb, 53, dem zweiten Sekretär, und der des Kammerdieners Paolo Gabriele, 46, Spitzname Paoletto. Auf diesen Schreibtischen landete der brisante Brief des Bischofs Viganò. Und der Kammerdiener hatte alle Zeit der Welt, ihn zusammen mit Hunderten anderen Unterlagen zu fotokopieren. Denn wenn die beiden Sekretäre stundenlang beim Papst sitzen, ist Paolo in dem Büro allein. In welchem Auftrag er den Brief, der wie eine Bombe die Karriere des Tarcisio Bertone bedrohte, beschaffte und in Umlauf brachte, Zeitungen und Buchautoren zuspielte, das würden die Richter im Vatikan gern wissen. Sie hoffen auf Paolos Aussagen, denn der Brief von Carlo Maria Viganò war nicht die einzige Munition, nach der er suchen sollte. Es gab noch etwas, und das bedrohte nicht nur Bertone allein, sondern den Papst.

Für lange Zeit war eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Vatikans das Luxusleben des Don Luigi Maria Verze. Offiziell wurde er verehrt als hingebungsvoller Gründer des Mailänder Großkrankenhauses San Raffaele: In Wirklichkeit führte er ein Doppelleben und verprasste das Geld der Kirche. Er legte sich einen Privatjet zu, und da er den schon mal hatte, wollte er auch irgendwo hinfliegen.

Also kaufte er sich ein Luxus-Resort am Strand - in Brasilien. So häufte er Schulden über Schulden an, die das Krankenhaus begleichen musste, bis es finanziell zusammenbrach - und eine Milliarde Euro Schulden produzierte.

Don Verze starb im gesegneten Alter von 91 im Jahr 2011. Und Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone wollte den Ruf des Priesters und des Krankenhauses retten. Das bedeutete, dass der Vatikan eine Milliarde Euro auf den Tisch legen sollte. Tarcisio Bertone bat die Vatikan Bank Istituto per le Opere di Religione (IOR), das Geld bereit zu stellen. Doch Bankchef Ettore Gotti Tedeschi, ein unendlich frommer Mann von Opus Dei, weigerte sich. Deswegen flog er unehrenhaft raus, vermutlich auf Betreiben von Tarcisio Bertone.

Jetzt brauchten die Verschwörer nur noch die Unterlagen über diesen geheimen Rettungsplan für das Krankenhaus. Dann konnten sie nachweisen, dass der Papst zusammen mit Tarcisio Bertone dabei war, den Vatikan zu ruinieren, um die Prassereien eines Priesters zu decken. Das sollte reichen, um den Papst darüber nachdenken zu lassen, ob er vom Paragrafen 332 b des Kirchenrechtes Gebrauch machen wollte: zurückzutreten. Papstsprecher Federico Lombardi sagte zum Hamburger Abendblatt: "Der Papst und der Vatikan erleben eine schwere Prüfung."

Die Unterlagen über diese Deals soll Kammerdiener Gabriele mitgenommen haben. Jetzt wird es darauf ankommen, ob er auspackt und sagt, wer seine Auftraggeber waren. Als Vatikanbürger hat er das Recht, den Papst persönlich zum Richter zu benennen. Der kann ihm einfach vergeben oder ihn in der Zelle schmoren lassen.

Der Nachfolger von Paolo Gabriele nahm unterdessen seine Arbeit auf: Als der Papst am Sonnabend in Mailand den Familientag feierte, trug der neue Kammerdiener Sandro Mariotti zum ersten Mal die Koffer des Papstes. Der 1,92 Meter große Mann gilt als absolut loyal. Einen eigenen Schreibtisch im Vorzimmer des Papstes wird er aber nicht mehr haben.

Entscheidend wird jetzt sein, ob Papst Benedikt XVI. die Kraft findet, reinen Tisch zu machen. Einsam wird es um ihn allemal: Am 2. Dezember wird Tarcisio Bertone 78 Jahre alt, dann hat er die Amtszeit schon um drei Jahre überzogen, denn mit 75 Jahren werden alle Kardinäle normalerweise pensioniert. Dann wird er gehen müssen, einen engen Freund hat der Papst dann nicht mehr im Vatikan.