Oberbaudirektor Franz-Josef Höing spricht im Podcast über die Wahrnehmung der Stadt, neue Quartiere – und Postkarten von 2050.

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Dieser Zufall ist dem Oberbaudirektor etwas peinlich. Gleich drei Stationen verbinden Franz-Josef Höing mit seinem legendären Vorgänger Fritz Schumacher: Beide wirkten in den frühen Jahren in Bremen, zwischenzeitlich in Köln – und dann wieder in Hamburg. Die Parallelen im Lebenslauf sind dem 56 Jahre alten Münsterländer fast unangenehm: „Das erhöht den Druck und macht mich eher verlegen“, sagt er im Abendblatt-Podcast „Was wird aus Hamburg“.

Aber wie Schumacher, der von 1909 bis 1933 in der Hansestadt wirkte, muss Höing einen Umbruch, muss die 20er-Jahre gestalten: Hamburg wächst und verlangt nach Wohnraum, es gilt, neue Stadtteile zu entwickeln, Magistralen neu zu denken und die Verkehrspolitik zu modernisieren. Es sind Zeiten des fundamentalen Wandels: „Aber jeder Vergleich mit Schumacher wäre trotzdem vermessen“, so Höing.

Machtfülle des Oberbaudirektors Schumacher ist geschwunden

Denn die Zeiten haben sich geändert – die Machtfülle des Oberbaudirektors Schumacher ist geschwunden, die Demokratisierung macht vor der Stadtentwicklung nicht halt. Das 21. Jahrhundert kommt demütiger daher, es geht nicht nur um die Frage, wohin sich die Stadt entwickeln soll, sondern auch, woher sie kommt, was ihre Seele prägt. „Hamburg hat einen Kompass, die Stadt weiß, was sie kann“, charakterisiert Höing. „Und die Stadt will etwas, sie lässt sich nicht treiben.“

Darin liegen Chancen und Herausforderungen zugleich. Höings Aufgabe verlange eine „Antenne für die Unterschiedlichkeit“ der Stadt. „Ich hoffe, die Atmosphäre einschätzen zu können, überall dort, wo sich Hamburg verändert.“ Man benötige ein Gespür für den richtigen Maßstab und für die Menschen, die dort leben. Höing kennt die Stadt nicht erst seit seinem Amtsantritt 2017, er arbeitete von 2000 bis 2004 als persönlicher Assistent seines Vorgängers Jörn Walter.

2019 rückt Höing die Magistralen ins Blickfeld

Er hat Projekte und Aufgaben aus dieser Zeit übernommen und Neues angestoßen. Mit dem Bauforum 2019 rückt er die Magistralen ins Blickfeld – die großen Einfallstraßen, die sich schon im legendären Fächerplan von Schumacher finden. Diese Blutbahnen der Mobilität, einst prächtige Chausseen, sind von der automobilen Gesellschaft überrollt und zubetoniert worden. „Diese Stadträume haben wir in den vergangenen Jahrzehnten etwas aus dem Blick verloren – da sehen wir die Ergebnisse von Briefmarkenplanung, wo sich die Bestandteile noch nicht zu einem Bild zusammenfügen“, sagt Höing. „Das ist eine Aufgabe, die uns nicht überfordert, aber sicher ex-trem fordert.“ Höing spricht im Zusammenhang mit den Magistralen immer wieder von einem „Generationenprojekt“.

Manche sehen schon eine Zeitenwende, erwarten die Verkehrswende weg vom Auto hin zum öffentlichen Nahverkehr, zu intelligenten Konzepten wie Moia oder Carsharing, hin zum Fahrrad. „Es bewegt sich viel, aber es bewegen sich immer noch sehr viele Autos durch die Stadt“, tritt Höing auf die Bremse. Ausdrücklich begrüßt er die Programme für eine nachhaltige Mobilität. „Jeder Euro für den Radverkehr und den ÖPNV ist richtig investiert. Aber die Verkehrswende rollt nicht von allein auf uns zu. Man muss sie auch wollen.“ Ohne Weichenstellung geschehe zu wenig, die gerühmte Elektromobilität ist für die Stadtplanung ein Nullsummenspiel: „Auch das E-Auto wird Platz brauchen und fahren.“ Er warnt vor überzogenem Optimismus.

Die Stadtplanung nimmt weniger Rücksicht auf Autos

Und doch zeigt sich in der Stadtplanung schon, wie sich das Denken wandelt: Von der Trasse der Ost-West-Straße, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Schneise ohne Rücksicht auf Verluste in die Altstadt geschlagen wurde, über die HafenCity, die mit jedem Planungsabschnitt dem Auto weniger Platz einräumte, bis zum aktuellen Projekt des Kleinen Grasbrooks. „Er hat anders als die HafenCity kaum noch breite Straßen“, betont Höing.

Am Südufer der Norderelbe, gegenüber der östlichen HafenCity, sollen auf einer Fläche von 46 Hektar dereinst Wohnungen für 6000 Bewohner und bis zu 16.000 Arbeitsplätze entstehen. „Wir haben dort den Hafen in der Nachbarschaft. Das muss zusammen funktionieren“, sagt Höing. „Die Baufelder mögen wirken wie in der HafenCity. Aber dort versuchen wir, einen neuen Maßstab für Hamburg zu entwickeln. Wir reden über eine Höhe und Dichte, die in der Stadt ungewöhnlich sind.“ Die Dichte etwa von Hoheluft – dem am dichtesten besiedelten Stadtteil der Republik – wird aber nicht erreicht. „Eigentlich ist es schade, dass wir uns an die Dichte der Gründerzeit heute nicht mehr herantrauen – diese Viertel sind ja enorm beliebt.“

Oberbillwerder: Mehr Stadt an neuen Orten

Während auf dem Grasbrook „mehr Stadt in der Stadt“ entsteht, geht es in Oberbillwerder auf 124 Hektar um „mehr Stadt an neuen Orten“. „Das ist eine fantastische Kulturlandschaft am Rande Hamburgs“, wirbt Höing. Noch existiert der 105. Stadtteil nur auf dem Reißbrett. Geplant sind bis zu 7000 Wohnungen für 15.000 Menschen sowie Büro- und Gewerbeflächen für bis zu 5.000 Arbeitsplätze. Es soll ein Stadtteil der Zukunft werden, der Nachhaltigkeit ebenso mitdenkt wie Nachbarschaft, Sport ebenso wie Barrierefreiheit.

Oberbillwerder und der Grasbrook verbindet die Suche nach der richtigen Nutzungsmischung. „Der Mix macht‘s: Wie schaffen wir Lebendigkeit, wie organisieren wir Mobilität und die Versorgung?“ Zugleich seien die Herausforderungen aber andersartig: „Unterschiedliche Lagen erfordern unterschiedliche Antworten“, sagt Höing. Er will sich nicht allein auf Großprojekte wie den Grasbrook, die Science City oder Oberbillwerder fokussieren, sondern die ganze Stadt in den Blick nehmen. „Hamburg besteht aus großen Nachkriegsquartieren. Die kommen weniger spektakulär daher als die Elbvororte oder die Gründerzeitviertel an der Alster, aber sind Heimat für sehr viele Hamburgerinnen und Hamburger. Es geht darum, diese Viertel weiterzuentwickeln.“

Die Pandemie und ihre Folgen dürften die Entwicklung erschweren. Corona hat zwei zentrale Pfeiler der erwünschten Nutzungsvielfalt, den Einzelhandel und die Gastroszene, massiv erschüttert. Trotzdem bleibt Höing Optimist: „Ich habe mich nicht an den apokalyptischen Abgesängen beteiligt. Es mag im Handel Einbrüche geben, aber wir werden schon in einigen Monaten weniger pessimistisch auf die Lage schauen. Der Einzelhandel wird sich neu erfinden und die Gastronomie vielleicht einen noch größeren Stellenwert gewinnen als heute.“

Gestaltung des Alten Walls ist ein wichtiges Projekt

Zuversichtlich sieht er auch die Entwicklung der Innenstadt: Ein wichtiges Projekt ist für ihn die Gestaltung des Alten Walls. „Diese Verbindung zwischen Hafen und Rathaus wirkt derzeit wie ein Dienstboteneingang der Stadt, man muss ihn aktivieren.“ Hinzu kommt für den Oberbaudirektor die Aufhübschung der Plätze, die aber deutlich weiter vorangeschritten sei, als Kritiker wahrnehmen. „Man muss die Situation mit der vor 15 Jahren vergleichen – es hat sich eine Menge getan, egal ob am Gänsemarkt oder am Adolphsplatz.“ Beide Plätze seien inzwischen vorzeigbar und besser mit ihrer Umgebung verknüpft. „Nun kommen endlich der Burchardplatz mitten im Weltkulturerbe und der Hopfenmarkt an die Reihe“, verspricht Höing. „Man kann nicht alles in einem Rutsch machen.“

Hamburgs Stadtentwicklung hält derzeit viele Bälle in der Luft – manche sagen, zu viele. „Das ist eine Frage, die wir uns jeden Tag selber stellen“, sagt Höing. „Wir dürfen uns auch nicht zu viel vornehmen.“ Zumal nicht alle Projekte so laufen, wie es sich der Oberbaudirektor wünschen dürfte. Die Entscheidung von Gruner + Jahr, nicht mehr in die geplante Immobilie in der HafenCity einzuziehen, will Höing nicht kommentieren, übt sich aber in Zweckoptimismus: „Der Ball hat an Höhe verloren, ist aber noch nicht im Aus.“

Die unendliche Geschichte des Holsten-Areals

Deutlicher wird er bei der unendlichen Geschichte des Holsten-Areals: Ursprünglich sollten auf dem ehemaligen Brauereigelände schon in diesem Jahr die ersten Wohnungen bezogen werden. Doch während Holsten seit 2019 in Hausbruch produziert, passiert in Altona wenig. Auf der Website der Stadt heißt es nebulös: „Wenn der städtebauliche Vertrag geschlossen und das Baurecht geschaffen ist, können die Baumaßnahmen starten – voraussichtlich in der ersten Hälfte der 2020er-Jahre.“

Immerhin haben sich das Bezirksamt Altona und der Projektentwickler Consus nun auf den Entwurf für einen städtebaulichen Vertrag verständigt. Höing sagt: „Ich bin zuversichtlich, dass wir da auf die Ziellinie kommen. Das ganz lange Warten ist irgendwann zu Ende.“ Eine Stadt sei gut beraten, ihre Positionen dem Investor deutlich zu machen, und habe das Recht, Ansprüche an eine Quartiersentwicklung zu formulieren. „Wir beobachten, wie sich Investoren verhalten – geht es ihnen um die Entwicklung von Quartieren oder haben sie lediglich das Interesse, mit Grundstücke zu handeln?“

Höing über den Elbtower: Das wird ein dolles Haus

Spricht Höing über den Elbtower, ist seine Vorfreude kaum zu überhören: „Das wird ein dolles Haus – es wird nicht allen gefallen, aber es hat eine sehr hohe Qualität.“ Schon heute lässt sich der Bau erahnen, der 245 Meter hoch in den Hamburger Himmel wachsen soll: Stadtauswärts steht auf der linken Seite des S-Bahnhofs Elbbrücken ein Modell, laut Höing ein „aufgeständertes Schmuckkästchen“, welches das Gebäude mit seiner eigenwilligen Fassade zeigt. „Das wird wirklich beeindruckend.“

Der Oberbaudirektor wirbt um ein mutiges Voranschreiten: „Wir dürfen uns nicht ausruhen und nicht selbstgefällig werden.“ Stillstand kann sich eine Stadt nicht leisten, erst recht keine Me-tropole wie Hamburg, auf die viele im In- und Ausland mit Interesse blicken: „Wer meint, wir könnten unbemerkt Mittelmaß produzieren, irrt“, sagt Höing. „Hamburg steht international im Fokus – das ist uns oftmals gar nicht klar.“ So gebe es keinen Stadtteil in Europa, der es in seiner Dimension mit der HafenCity aufnehmen könne. „Wir registrieren einen regen Tourismus von Stadtplanern, die nach Hamburg kommen. Ich bin immer wieder überrascht, wie gut sich internationale Architekten in Hamburg auskennen. Hamburg hat eine Planungskultur, die nicht alltäglich ist.“

Höing will das Gesicht der Stadt bewahren

Metropolen stehen aber nicht nur im Austausch, sondern auch im Wettbewerb. „Andere Städte schlafen nicht“, sagt Höing. Derzeit passiere viel in Belgien, etwa in Brüssel oder Antwerpen. „Fast unbemerkt hat sich da eine engagierte Planerszene entwickelt, die großräumig über die Stadt nachdenkt.“ Auch Kopenhagen gehe ein hohes Tempo. „Da können wir uns nicht ausruhen.“

Bei allem Wandel aber will Höing das Gesicht der Stadt bewahren: Wie werden Postkarten im Jahr 2050 Hamburg zeigen? „Dann wird man eine fantastisch schöne Stadt am Wasser sehen, die immer noch grün ist“, verspricht Höing. „Wir wollen die Stadt nicht entstellen, sondern ihre Charakterzüge bewahren.“