Hamburg. Hamburg profitiert seit Jahren von einem Boom. Wybcke Meier von Tui Cruises und Karl J. Pojer von Hapag-Lloyd Cruises im Gespräch.

Jedes Jahr gehen Hunderttausende Kreuzfahrtpassagiere in Hamburg an oder von Bord. Die Lust auf diese Reiseform – sie wurde 1891 vom Hamburger Albert Ballin erfunden – scheint ungebrochen, viele neue Schiffe wurden getauft oder sind noch im Bau. Ob Hafengeburtstag im Mai oder Cruise Days im September: Solche maritimen Events sind Volksfeste mit jeder Menge Besuchern.

Doch der Trend zu immer mehr Passagieren und immer größeren Schiffen hat auch Schattenseiten. Erste Häfen klagen über Overtourism, zudem stellt sich die Frage, wie zeitgemäß Kreuzfahrten in Zeiten von Luftverschmutzung und Klimawandel sind. Darüber haben wir im Abendblatt-Podcast mit Wybcke Meier, Chefin von Tui Cruises, und Karl J. Pojer, Chef von Hapag-Lloyd Cruises, gesprochen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Hamburger Abendblatt: Die Kreuzfahrt steht im Fokus der Kritik, weil sie Schadstoffe und klimaschädliche Gase freisetzt. Wie passen Umweltschutz und Kreuzfahrt zusammen?

Wybcke Meier: Die Kreuzfahrt hat sich von Anfang an auf die Fahnen geschrieben, so umweltfreundlich wie möglich unterwegs zu sein. Von den 350 Kreuzfahrtschiffen weltweit sind mittlerweile 112 mit Abgasnachbehandlungsanlagen ausgerüstet. Tui Cruises verwendet modernste Umwelttechnologien, beispielsweise bei der umfangreichen Abgasnachbehandlung. Damit können wir die Emissionen bei uns massiv senken: 99 Prozent weniger Schwefeloxide, 75 Prozent weniger Stickoxide und 60 Prozent weniger Partikel. Das Thema Energie-Effizienz ist am wichtigsten. Denn die beste Tonne Treibstoff ist die, die wir gar nicht verbrauchen. Die neue „Mein Schiff 2“ verbraucht 40 Prozent weniger Energie als ältere Schiffe vergleichbarer Größe.

Was bedeutet das konkret?

Meier: Wir haben pro Person und Übernachtung im vergangenen Jahr durchschnittlich 17,58 Kilo Treibstoff verbraucht.

Karl J. Pojer: Weltweit gibt es übrigens 50.000 Handelsschiffe. Die Kreuzfahrtschiffe machen also weniger als ein Prozent der Schiffe weltweit aus. Wir bei Hapag-Lloyd haben entschieden, ab 2020 auf Schweröl komplett zu verzichten und fahren heute in der Flotte schon zu 70 Prozent ohne Schweröl.

Die norwegische Reederei Hurtigruten setzt neuerdings ein Batterie-Hybrid-Schiff ein ...

Pojer: Diese Antriebsart ist meines Wissens noch nicht ausgereift, man kann nur 13 bis 15 Minuten im Batteriebetrieb fahren. Außerdem ist die Entsorgung alter Akkus ein Problem. Wir halten uns stattdessen an Marinediesel und sehen darin eine gute Alternative.

Kann es eines Tages Kreuzfahrtschiffe geben, die CO2-neutral unterwegs sind?

Meier: Ich glaube nicht, dass so etwas möglich ist. Tui Cruises wird die Schiffe, die 2024 und 2026 an den Start gehen, mit Flüssiggas betreiben. Eine weitere umweltfreundliche Möglichkeit ist der Landstrom. Auch unsere Schiffe sind landstromfähig. Den Landstrom am Cruise Terminal in Altona werden wir demnächst nutzen. Bislang konnten wir es nicht tun, weil die Landstromanlage für Schiffe unserer Größe nicht rund um die Uhr bereitgestanden hat.

Dubrovnik, Santorin, Venedig, Palma de Mallorca – die Klagen über zu viele Gäste werden immer lauter. Wir reagiert die Branche auf diesen „Overtourism“?

Meier: Er ist vor allem ein Wahrnehmungsthema. Mallorca und Barcelona haben deutlich mehr Touristen, die nicht mit einem Kreuzfahrtschiff anreisen. Ein Schiff fällt eben aufgrund der Größe auf. Mit den Partnern vor Ort können wir aber sehr genau absprechen, wann die Gäste bei den Landausflügen von Bord gehen. Dubrovnik hat die Zahl der Kreuzfahrtschiffe pro Tag inzwischen begrenzt. In Venedig sind nur vier Prozent der Gäste Kreuzfahrer.

Herr Pojer, Sie sind Chef von Clia Deutschland, das ist der weltweite Fachverband für die Kreuzfahrtindustrie. Diese Organisation arbeitet eng mit den Häfen und lokalen Agenturen zusammen. Wie genau?

Pojer: Wir müssen die Besucherströme steuern und planen mindestens zweieinhalb Jahre vorher das Routing. Manchmal kann man es aber nicht vermeiden, dass fünf oder sechs Schiffe zu gleichen Zeit am gleichen Ort sind.

Müssen denn die Schiffe überall hinfahren?

Meier: Es gibt auch Tabus. Wir als Tui Cruises haben von Anfang an gesagt, dass wir nicht nach Venedig fahren. Über die Clia gehen wir mit den einzelnen Häfen in den rechtzeitigen Planungsaustausch. So macht es in der Karibik keinen Sinn, dass zwei große deutschsprachige Schiffe gleichzeitig im Hafen liegen, weil dann die Kapazität von deutschsprachigen Reiseleitern erschöpft wäre.

Herr Pojer, wie gehen Sie damit um, wenn die Natur Schaden durch Kreuzfahrten nimmt? Ich erinnere an den Fall des erschossenen Eisbären auf Spitzbergen, der ein Crewmitglied – einen Eisbärwächter – angegriffen hat.

Pojer: Dieser unglückliche Vorfall vor einem Jahr war nicht zu verhindern. Trotzdem haben wir alle Regularien noch einmal geprüft. Wir fahren jetzt zusätzlich die Küste vorher noch einmal ab und sehen, ob Eisbären unterwegs sind. Das Bewahren und das Erleben der Natur ist unser größtes Motiv. Dafür gibt es international strenge Regeln. In der Antarktis etwa darf man gleichzeitig mit maximal 100 Gästen von Bord gehen.

Ihre Reederei wird also weiterhin Passagiere in Polarregionen an Land bringen?

Pojer: Das ist Teil des Erlebnisses. Ich kann Ihnen versichern, dass unser Ziel ist, die Schönheit der Destination zu bewahren. Sonst würde die ganze Expedition ad absurdum geführt.

Was sind die Motive für Kreuzfahrten?

Meier: Der Wunsch nach Entspannung und Entschleunigung gehört dazu – mit dem Interesse, etwas von der Welt zu entdecken. Komfortabler kann man nicht reisen.

Und es gibt viel zu essen.

Meier: Ja, das Angebot ist groß. Aber es gibt zugleich viele Sport- und Fitnessangebote an Bord, gerade bei unseren Schiffen.

Wie wichtig sind für Ihre Branche Veranstaltungen wie die Cruise Days und der Hafengeburtstag in Hamburg?

Pojer: Sie zeigen nicht nur das schöne Gesicht der Branche, sondern auch von Hamburg. Diese Events sind sehr wichtig für die Bevölkerung und die Passagiere. Für unsere Passagiere ist Hamburg als Ausgangs- und Zielpunkt ihrer Reise ein Highlight.

Meier: Wir sind mit Leib und Seele Hamburger, freuen uns über den Standort von Tui Cruises in Hamburg – und über die Veranstaltungen, die es hier gibt.

Frau Meier, die Schiffe von Tui Cruises heißen alle „Mein Schiff“, dann folgt eine Nummer. Welches ist eigentlich IHR Schiff?

Meier: Es sind alles unsere und damit auch meine Schiffe. Mein aktueller Favorit ist die „Mein Schiff 2“, die wir zuletzt in den Dienst gestellt haben. Aber auch für die ältere „Mein Schiff Herz“, vormals „Mein Schiff 2“, schlägt mein Herz. Mit ihr nahm nämlich die Erfolgsgeschichte von Tui Cruises Fahrt auf.

Herr Pojer, zur Reederei gehören die „Europa“, die „Europa 2“ und Expeditionsschiffe. Was würden Sie am liebsten an einem Seetag machen?

Pojer: Wir sind bei Hapag-Lloyd im Luxus- und Expeditionsbereich unterwegs. Den Seetag auf einem Expeditionsschiff würde ich auf einem Zodiac verbringen, so nah wie möglich an der Natur.

Auf dem Amazonas oder im Eis?

Pojer: Das Eis hat schon seine Vorzüge. Man erlebt das Gefühl, dass man ein kleiner Mensch ist im Universum. Wenn ich mal auf einem Luxusschiff bin, genieße ich die Annehmlichkeiten an Bord mit 400 oder 500 Passagieren und treffe dort gern die Reisenden.

Mehr als zwei Millionen Deutsche haben im vergangenen Jahr eine Kreuzfahrt gebucht. Wird der Markt weiter wachsen? Mitbewerber Aida verkauft seine Reisen inzwischen auch bei Aldi.

Meier: Gerade wenn man 20 Jahre zurückblickt, sind 2,2 Millionen Kreuzfahrtpassagiere im Jahr 2018 eine stolze Zahl. Diese Entwicklung wird ganz klar angetrieben durch neue Schiffe. Bei Tui Cruises sind wir mit unseren sieben Schiffen sehr erfolgreich unterwegs. Wir haben eine gute Auslastung.

Was heißt das?

Meier: Wir erreichen übers Jahr rechnerisch tatsächlich mehr als 100 Prozent. Das ist möglich, weil in Ferienzeiten viele Doppelkabinen mit Familien belegt sind. Wenn man die Zahl von 2,2 Millionen in Relation zu den 70 Millionen Menschen stellt, die organisiert reisen, dann ist Kreuzfahrt allerdings immer noch eine Nische.

Herr Pojer, wer kann sich bei Ihnen eine Reise leisten?

Pojer: Wir sprechen eine andere Zielgruppe an, die sich bereits aus der Größe der Schiffe ergibt. Von 500 bei der „Europa 2“ bis maximal 230 bei den neuen Expeditionsschiffen „Hanseatic nature“, „Hanseatic inspiration“ und „Hanseatic spirit“. Unser Kunde entscheidet sich vor allem für die Routenvielfalt. Das Hauptmotiv ist es, neue Länder zu bereisen und sich zu bilden. Das Routing und die exzellente Gastronomie sind starke Motive.

Und die Stammgäste, die Sie haben, wollen wieder das Gefühl haben, nach Hause zu kommen?

Pojer: Ja, wir haben Gäste, die waren schon insgesamt jeweils 3500 Tage auf unseren Schiffen. Der durchschnittliche Stammkundenanteil liegt bei 70 Prozent.

Wie erklären Sie sich den Boom bei Expeditionskreuzfahrten?

Pojer: Es gibt heute für eigentlich jeden Geschmack und fast jeden Geldbeutel das richtige Schiff. Es kommen in den nächsten Jahren 20 neue Expeditionsschiffe auf das Wasser, aber es sind insgesamt nur 6000 Passagiere. Wenn man das im Verhältnis sieht, ist das ein kleiner Teil. Die Menschen haben das Bedürfnis, noch mehr von der Welt kennenzulernen und dabei unvergessliche Erlebnisse mitzunehmen.

Meier: Auch unsere Gäste – die Schiffe haben eine Kapazität von 1900 bis 2800 Passagieren – nutzen die Reise, um Land und Leute kennenzulernen. Jeder Gast macht bei einem einwöchigen Törn im Durchschnitt drei Ausflüge. Wir haben extra zur Vorbereitung landeskundliche Lektoren an Bord.

In welchen Fahrtgebieten ist die „Mein Schiff“-Flotte unterwegs?

Meier: In den Sommermonaten haben wir vier Schiffe im Norden positioniert, die in Hamburg, Bremerhaven und Kiel abfahren – Richtung Norwegen, Baltikum und Westeuropa. Drei Schiffe liegen im Mittelmeer. Und in den Wintermonaten geht es dorthin, wo es warm ist: Emirate, Karibik, Kanaren, Asien.

Gibt es schon konkrete Planungen für neue Destinationen?

Meier: Wir laufen mit der „Mein Schiff Herz“ 2020 erstmals Südafrika und Namibia an und haben die Asienrouten mit Japan und Hongkong erweitert.

Was kostet der Bau eines neuen Kreuzfahrtschiffes – und wie lange muss es unterwegs sein, damit sich die Investition lohnt?

Pojer: Das ist von der Größe abhängig. In den nächsten Jahren werden weltweit 70 Kreuzfahrtschiffe gebaut, 20 davon für den deutschsprachigen Markt. Die Nachfrage ist da. Im Jahr 2020/21 werden wir drei Millionen deutsche Kreuzfahrer haben.

Wie teuer war denn das neue Expeditionsschiff „Hanseatic nature“?

Pojer: Solche Beträge nennen wir nicht so gerne öffentlich.

Ein großes Schiff kostet um die 600 Millionen Euro, heißt es ...

Pojer: So in der Regel. Und ein Schiff soll 30 Jahre lang fahren.

Was kostet ein Tag an Bord für den Passagier?

Meier: Bei Tui Cruises sind es im Durchschnitt pro Tag 178 Euro mit dem Alles-inklusive-Konzept. Das ist dann also ein Urlaub ohne Nebenkosten – Landgänge ausgenommen.

Pojer: Bei Hapag-Lloyd Cruises sind es um die 625 Euro pro Tag und Passagier. Wir fahren fast 1:1 im Verhältnis von Crew und Gast. Für diesen Preis müssen wir höchste Qualität liefern.

Warum wurde das Expeditionsschiff „Hanseatic nature“ später als geplant fertig? Die Taufe in Hamburg musste ausfallen.

Pojer: Die Werft war für diese Verzögerung verantwortlich. Wir hatten aufgrund der großen Auftragslage eine Werft wählen müssen, die noch nicht so viel Erfahrung in diesem Segment hatte. Die Taufe haben wir dann später im kleinen Kreis nachgeholt. Unsere Passagiere, die gebucht hatten, bekamen den Reisepreis zurück und einen Rabatt von 50 Prozent für die nächste Reise.

Im Herbst steht der Umbau der „MS Europa“ in Hamburg an. Was wird sich ändern, auch am Konzept?

Pojer: Aus der Marktforschung wissen wir, dass sich der Luxus vom Haben zum Sein wandelt. Wir wollen deshalb die „Europa“ etwas legerer und entspannter machen. Es gibt ein neues Restaurant mit dem Hamburger Spitzenkoch Kevin Fehling. Es wird überall freie Sitzplatzwahl und kein Captains Dinner mehr geben. Die „Europa“ wird eine Verjüngung erfahren, die Seele des Schiffes bleibt aber erhalten.

Herr Pojer, als Österreicher liegt Ihnen das Meer ursprünglich nicht im Blut. Wie verlief Ihr Weg zur Kreuzfahrtbranche?

Pojer: Als ich Bereichsvorstand bei Tui für die Hotellerie war, kam ich in Berührung mit der Kreuzfahrt. Bei der Gründung von TUI Cruises war ich von Anfang an dabei, später als Aufsichtsrat. Als der Ruf kam, Hapag-Lloyd Cruises zu leiten, war der Reiz da, die besten Schiffe der Welt weiterzuentwickeln.

Frau Meier, hätten Sie sich mal vorstellen können, statt an Land auf See zu arbeiten?

Meier: Das hätte ich mir früher nicht vorstellen können – weil ich auf Helgoland aufgewachsen bin und als Kind bei den stürmischen Überfahrten oft seekrank wurde. Heute muss ich mich damit nicht mehr auseinandersetzen. Ich gehe jetzt wahnsinnig gerne auf Schiffe.

Warum machen Kreuzfahrtschiffe immer einen Bogen um Helgoland?

Meier: Helgoland hat einen erheblichen Tidenhub. Das Tendern mit großen Schiffen ist daher nicht zu empfehlen. Es kann kabbelig werden. Die Helgoländer müssten eine Pier bauen. Das wäre die Lösung.