Hamburg . Die Branche boomt, die Reedereien locken mit immer neuen Zielen. Kleine Schiffe erweitern den Radius. Umweltschützer warnen.

Fira, Santorini. Vor der griechischen Vulkaninsel wirft die „Mein Schiff 4“ (TUI Cruises) die gut 350 Meter lange Ankerkette. Für die Gäste bietet sich ein atemberaubender Blick auf ein Insel-Archipel im östlichen Mittelmeer, das durch einen der größten bekannten Vulkanausbrüche entstand. Mit Tenderbooten und danach auf Maultieren oder per Seilbahn gelangen die 2500 Reisenden zur Inselhauptstadt Fira. Die „Mein Schiff 4“ ist an diesem Tag nicht das einzige Kreuzfahrtschiff. In der Hauptsaison liegen bis zu fünf Traumschiffe gleichzeitig vor Santorini – das sind bis zu 10.000 Passagiere gleichzeitig.

Port Lockroy, Antarktische Halbinsel. Die „Bremen“ (Hapag-Lloyd ­Cruises) mit rund 150 Passagieren an Bord legt vor ihrer Rückreise durch die stürmische Drake Passage einen Zwischenstopp vor dem südlichsten Postamt der Welt ein. Auf einem schmalen Pfad stiefeln die Gäste durch das ewige Eis hoch in ein Holzhaus, um – begleitet von neugierigen Eselspinguinen – in eine stillgelegte britische Antarktis-Station zu gelangen.

220 Cruise-Anläufe in Hamburg

Hamburg, Cruise Terminal Steinwerder, 17. November 2018. Die ADIAmar wird um 8 Uhr festmachen. Passagierwechsel. Pünktlich zehn Stunden später legt das Kreuzfahrtschiff Richtung Westeuropa ab. In diesem Jahr gibt es in der Hansestadt 220 Cruise-Anläufe von Reedereien aus der ganzen Welt, im nächsten Jahr sind es 217.

Welche Ziele „AIDAmar“, „Bremen“ und „Mein Schiff 4“ gerade ansteuern, wurde von langer Hand vorbereitet. Die Reiseplaner und Kreuzfahrt-Scouts, die beim Routing der Schiffe Jahre und Monate vorausdenken müssen, arbeiten in den Zentralen der Reedereien – auch in Hamburg. Sie gießen die Träume der Gäste in Zeit und Raum, in Fahrpläne, Jahreszeiten und Häfen. Und suchen immer neue exotische Ziele.

299 Ziele im Programm

Allein bei AIDA Cruises mit Sitz in Rostock ist die Zahl der weltweiten Destinationen von 195 im Jahr 2013 auf derzeit 299 gestiegen. Während die Mein-Schiff-Flotte von TUI Cruises mit Sitz in Hamburg vor fünf Jahren Nordland, Ostsee und Baltikum, Westeuropa, Großbritannien, Mittelmeer, Kanaren, Emirate und Karibik ansteuerte, so sind inzwischen auch Nordamerika, Mittelamerika und Asien im Programm. Im kommenden Jahr fährt Hapag-Lloyd Cruises mit den Expeditions- und Luxusschiffen knapp 500 Ziele weltweit an, so beispielsweise Japan, die Antarktis, den Amazonas, die Südsee, Australien und Neuseeland ebenso wie die Britischen Inseln oder das Baltikum

Die Fachabteilungen der Planer heißen „Itinerary Management & Planning“ (TUI Cruises), „Yield Management“
(AIDA Cruises) und Expedition Cruises und Touristik (Hapag-Lloyd Cruises). Sie alle werden von den nautischen Abteilungen beraten. Bei den Kreuzfahrtriesen soll nichts dem Zufall überlassen werden. Bei den Expeditionsschiffen ist das ein bisschen anders. „Wind, Wetter und Eis können immer wieder für Überraschungen sorgen“, sagt Kapitän Thilo Natke von Hapag-Lloyd Cruises. „Dadurch kann der ganze Fahrplan umgeworfen werden. Man muss eben immer einen Plan B und C haben.“

Kleine Schiffe für Eisregionen

Isolde Susset leitet die Abteilung Expedition Cruises und Touristik bei Hapag-Lloyd Cruises. Ihr Büro befindet sich im gläsernen Reederei-Gebäude am Hamburger Heidenkampsweg. Die gelernte Touristikerin, die sieben Jahre lang an Bord gearbeitet hat, plant mit ihrem Team das Routing der „Bremen“ und der drei neuen Expeditionsschiffe „Hanseatic nature“ (Jungfernfahrt April 2019) und „Hanseatic inspiration“ (Oktober 2019) und „Hanseatic spirit“ (2021). „Im Januar 2019 starten unsere Planungen für den Katalog 2021/22“, sagt sie. Neben dem Team in Hamburg sind bei den Absprachen auch die Kapitäne und landeskundliche Experten mit im Boot. Die kleinen Expeditionsschiffe, ausgestattet mit der höchsten Eisklasse für Passagierschiffe PC6/E4, geringem Tiefgang und robusten Zodiac-Schlauchbooten, können Regionen auf der Welt besuchen, die für die Kreuzfahrtriesen tabu sind.

Wie die Antarktische Halbinsel und die Marshall-Inseln in Mikronesien – Eilande, die nur zwei Meter über dem Meeresspiegel liegen und von den Folgen des Klimawandels besonders bedroht sind. „Bis 2015 hatten wir die Marshall-Inseln nicht im Programm. Aber ich fand das Ziel schon immer sehenswert – und begann mit Planungen“, erzählt die gebürtige Schwäbin Susset, die heute in St. Georg wohnt. Am Anfang stand der Blick auf die Landkarte, um die Inselgruppe in der Südsee im gesamten Routing zu platzieren. Dann folgten Internet-Recherche, Gespräche mit Experten, Lotsen, mit Einheimischen und Tourismus-Agenten vor Ort. Auch die Nachbarinseln wurden in die Planungen mit einbezogen. Schließlich lief die „Bremen“ 2015 erstmals die Marshall-Inseln an. Die weitverstreuten Atolle und mehr als 1000 Inseln gelten bis heute als besonderes Expeditionsrevier, verbunden durch ihre unverfälschte Kultur, Kolonialgeschichte – und ungewisse Zukunft.

Logistische Herausforderung

Wer entlegene Regionen wie die Marshall-Inseln im Programm anbietet, muss auch bedenken, wo Treibstoff und Proviant aufgenommen werden. Erst recht bei der 31-tägigen Halbumrundung der Antarktis von Feuerland bis nach Neuseeland ist das eine logistische Herausforderung. Manche Ziele wie der Gambia-River in Afrika zählen allerdings nicht mehr zu den Fahrtgebieten, weil sie verschlammt sind, sagt Isolde Susset.

Wie lange die Erschließung neuer Routen dauern kann, zeigen die Planungen von Hapag-Lloyd Cruises für die legendäre Nordostpassage, der Seeweg im Nordpolarmeer. Von der Idee des Kapitäns bis zur Premierenfahrt vergingen gut zehn Jahre, bis Thilo Natke mit der „Hanseatic“ die Reise 2014 erstmals unternehmen konnte. Notwendig waren zahlreiche Genehmigungen russischer Behörden, das intensive Studium der wissenschaftlich erhobenen Eisdaten, die Lektüre von Seefahrtshandbüchern, Reiseblogs und der Seekarten sowie Informationen über die jeweiligen Häfen.

Schweröl vermeiden

Umweltschützer lehnen Expeditionsfahrten in polare Regionen mit wenigen Gästen an Bord nicht grundsätzlich ab. Sie fordern aber, dass Schweröl wie in der Antarktis nun auch in der Arktis verboten wird. In den sensiblen Fahrtgebieten Arktis, Antarktis, Kam­tschatka, Grönland, Alaska und Hawaii setzt Hapag-Lloyd Cruises bereits schadstoffärmeres Marine-Gasöl ein. Greenpeace-Experten plädieren derweil für mehr Kontrolle – nicht zuletzt deshalb, um die Tiere besser zu schützen. „Jede Störung durch Touristen oder Schiffe sorgt bei ihnen für einen höheren Energieumsatz“, sagt Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. Für Walbeobachtungen gebe es zwar strenge Vorschriften. Ob diese aber auch eingehalten würden, werde kaum kontrolliert.

Auch AIDA und TUI Cruises haben neue exotische Ziele im Programm, darunter die kolumbianische Hafenstadt Cartegena (TUI Cruises) und das südliche Afrika (AIDA Cruises). „Der Entscheidung, welche Häfen auf welchen Routen mit welcher Schiffsklasse angelaufen werden, geht eine langfristige Planung voraus“, sagt Tobias Waack, Director Yield Management bei AIDA Cruises. Bei der Wahl der Ziele stehen die ­„Wünsche unserer Gäste“ ebenso im Mittelpunkt wie die Flugkapazitäten, Infrastruktur für Liegeplätze und ihre Verfügbarkeit, Logistik, attraktive Landausflüge, Sicherheit und Umwelt.

Das Kreuzfahrtschiff
Das Kreuzfahrtschiff "AIDAperla" im Hafen von Ajaccio auf der Insel Korsika. © picture alliance / Hauke-Christi

Wie AIDA verweist auch TUI Cruises darüber hinaus auf ausreichenden Tiefgang am Liegeplatz und entsprechend große Poller, damit die Schiffe dort sicher vertäut werden, sowie eine ausreichende Länge des Liegeplatzes.

„Die großen und bekannten Städte wie Barcelona, Lissabon, Southampton, Stockholm, Kopenhagen, Amsterdam und Hamburg sind für unsere Schiffsgröße kein Problem“, sagt Friedrike Grönemeyer von der TUI Cruises Unternehmenskommunikation in Hamburg. „Aber Häfen wie Belfast oder Dublin können wegen nicht ausreichender Tiefe der Einfahrt nur zu bestimmten Zeiten, also bei Flut, angelaufen werden.

Attraktive Häfen würden eigentlich von allen Reedereien angelaufen, fügt Friedrike Grönemeyer hinzu. Dazu gehörten Barcelona, Civitavecchia für Ausflüge nach Rom oder auch Dubrovnik in Kroatien. Auch wenn diese Häfen von den Kreuzfahrern und Landtouristen frequentiert werden – „ein komplettes Weglassen dieser Häfen in den Routings wäre nicht im Interesse unserer Gäste“, heißt es bei TUI Cruises. Deshalb ist ein Stopp vor der griechischen Vulkaninsel Santorini selbstverständlich.

Ziele wurden auch gestrichen

Manche Reiseziele wurden oder werden allerdings zeitweise aus dem Programm genommen, weil die poli­tische Lage, die Gefahr von Überfällen und Anschlägen dagegen sprechen. „Im Moment laufen wir keine Häfen in Nordafrika an“, heißt es bei AIDA Cruises. TUI Cruises verweist darauf, dass in der Vergangenheit Ziele in der Türkei, Israel und Ägypten kurzfristig gestrichen wurden.

Neu im Programm hat TUI Cruises im Winter 2019/2020 die Kanaren in der Kombination mit den Azoren und den Kapverdischen Inseln. Auch Hapag-Lloyd Cruises will die Kapverden künftig stärker einbeziehen. „Die Inseln bieten sehr viel – traumhafte Strände, Wüste, Gebirge und eine vielfältige Vegetation“, sagt Isolde Susset. Das wäre dann praktisch eine „Expedition vor der Haustür“, schmunzelt sie und nennt zudem die Azoren und die Kanalinseln, die ebenfalls intensiver als bisher erkundet werden könnten.

Mit der „Bremen“ und den neuen Expeditionsschiffen gebe es für die Gäste noch mehr Möglichkeiten. „Wir können in einer Saison gleichzeitig in der russischen Arktis, den grönländischen Fjorden und in der norwegischen Arktis mit Spitzbergen sein“, schwärmt die Touristikerin. Isolde Susset und ihr Team müssen nur noch alles in Fahr­pläne gießen.